Nachhaltige Architektur:Frisch vom Dach

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  • Erstmals wird in Deutschland in einem Architekturprojekt ein zentral gelegenes städtisches Bürogebäude landwirtschaftlich genutzt.
  • Im 29-Millionen-Euro-Projekt "Altmarktgarten", einem in das Gebäude integrierten Gewächshaus, ist das neue Oberhausener Jobcenter untergekommen. Außerdem soll das Fraunhofer-Institut das Gewächshaus beziehen und dort forschen.
  • Das Ruhrgebiet, das einem anhaltenden Strukturwandel unterworfen ist, steht vor einigen Heruasforderungen. Den historischen Kern von Oberhausen wiederzubeleben, ist ein zentrales Ziel des Projektes von Architekt Wilfried Kuehn.

Von Alexander Menden

Auf dem Altmarkt von Oberhausen sind an einem grauen Herbsttag bereits Buden für den Weihnachtsmarkt aufgestellt. Sabine Lauxen bedauert das ein bisschen. Sonst wäre hier normaler Markttag, und die örtliche Beigeordnete für Umwelt, Gesundheit und Mobilität könnte dem Besucher den Stand präsentieren, an dem ziemlich spezielle Kräuter verkauft werden: Basilikum, Koriander, Petersilie und anderes wird vis-a-vis, nur 20 Meter höher angebaut, auf dem Dach des benachbarten Jobcenters. "Wir liefern auch Salat ins 'Gdanska'", sagt Lauxen, und deutet auf ein Restaurant am Altmarkt.

Möglich macht die kurzen Wege ein Architekturprojekt, das erstmals in Deutschland ein zentral gelegenes städtisches Bürogebäude landwirtschaftlich nutzt: Das Berliner Büro "Kuehn Malvezzi" hat im Auftrag der Oberhausener Gebäudemanagement-GmbH nicht nur das neue Jobcenter mit 230 Einzelbüros errichtet, es hat nach Maßgaben der Stadt auch 1 000 Quadratmeter Dachfläche für die Errichtung eines Gewächshauses genutzt. Und diese gläserne Krone auf dem dunkelroten Backsteinbau ist ein Blickfang. Hinauf zur Dachterrasse mit ihrem weiten Blick gelangt man vom Altmarkt aus über einen "Vertikalen Garten". Das durch Plattformen unterteilte Stahlgerüst an der Südseite des Gebäudes strahlt momentan eine industrielle Strenge aus; im Laufe der Zeit sollen sich an ihm Weinreben, Hopfen und Kletterhortensien hinaufranken.

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Das ökologische Projekt "Altmarktgarten" ist ein bauliches Hybridmodell. Seine ambitioniertesten, auf Nachhaltigkeit abzielenden Details standen bereits bei der Ausschreibung 2016 weitgehend fest. Zuvor war geplant gewesen, durch den Abriss einer leer stehenden Markthalle Platz für eine neue öffentliche Grünfläche zu schaffen. Auch, nachdem klar war, dass der Raum für ein neues Jobcenter genutzt werden würde, das Büros bündeln sollte, wollte man den Begrünungsaspekt erhalten. Die Lösung, von Kuehn Malvezzi um zusätzliche Begrünung erweitert, ist ein Haus, in dem Gebäudetechnik, Freizeitraumgestaltung, Lebensmittelproduktion und Forschung ineinandergreifen.

Die Abwärme aus den Büros fördert im Gewächshaus das Pflanzenwachstum

"Uns war zum Beispiel sehr wichtig, Regenwasser zur Bewässerung zu nutzen", erklärt Sabine Lauxen. "Es wird im Keller in zwei 20 000-Liter-Tanks gesammelt und aufs Dach gepumpt." Zudem wird das in Oberhausen beheimatete Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik demnächst einen eigenen Abschnitt in einem Längstrakt des U-förmigen Gewächshauses beziehen. Dort werden die Mitarbeiter unter anderem untersuchen, wie man auch das Grauwasser, das im dem Jobcenter in Spülen und Handwaschbecken läuft, für die Bewässerung aufbereiten kann. Die Abluft aus den Büros fördert im Gewächshaus das Pflanzenwachstum. Welche Pflanzen angebaut werden, richtet sich nach dem örtlichen Bedarf. Wenn ein Restaurant zum Beispiel etwas Exotischeres als Zutat brauche, so Lauxen, müsse man es nicht aus Südostasien einfliegen, sondern könne es mit relativ geringem Vorlauf hier ziehen.

Die sich aus einem anhaltenden Strukturwandel ergebenden Herausforderungen der Gemeinden des Ruhrgebiets sind vielfältig und ortsspezifisch. In Oberhausen etwa steht die Innenstadt in einem unbestreitbaren Konkurrenzverhältnis zum berühmten "Centro". Der gigantische Einkaufs- und Entertainmentkomplex, gelegen in der "Neuen Mitte", einem ehemaligen Industriegebiet im Nordosten der Stadt, hat zur Entvölkerung des historischen Kerns beigetragen.

Dessen allmähliche Wiederbelebung sieht auch Architekt Wilfried Kuehn als ein zentrales Ziel des Altmarktprojektes, das die Städtebauförderung des Bundes mit 2,3 Millionen Euro bezuschusst hat: "Einer Entleerung kann man nicht allein mit der Neuansiedlung von Einzelhandel oder anderem Gewerbe begegnen", sagt Kuehn. "Deshalb ist so ein nachhaltiges Experiment mit der öffentlichen Hand als Partner besonders wichtig - einerseits hat das Gebäude eine klare und wichtige Bürgerfunktion, andererseits soll speziell der Garten neue Treffpunkte für Menschen schaffen, die hier sonst vielleicht keine Zeit verbringen würden."

Die Handschrift des Berliner Büros ist in allen Teilen des 29-Millionen-Euro-Unterfangens erkennbar: Kein anderes deutsches Jobcenter dürfte mit einer derart großzügigen Lobby aufwarten, deren wichtigste Gestaltungselemente Lichtdurchlässigkeit, helle Flächen aus Gussbeton und der Verzicht auf eine abgehängte Decke zugunsten der vollen Raumhöhe sind.

Die hintere Glaswand gibt den Blick auf einen "Hofgarten" genannten Innenhof frei, in dem auf einer gewellt gestalteten Landschaft ebenfalls erste Pflanzen wachsen. Dahinter wird der Vertikale Garten demnächst einen grünen Prospekt bilden. Eine Ästhetik, die wenig überrascht. Schließlich ist Büro-Mitbegründer Wilfried Kuehn Professor für Ausstellungsdesign und kuratorische Praxis in Karlsruhe. Viele der prominentesten Projekte im Portfolio von Kuehn Malvezzi betreffen die Gestaltung oder Umgestaltung von Galerien und Museumsräumen, etwa im Wiener Schloss Belvedere und im Berliner Museum Berggruen.

"Warum sollten in Zukunft nicht auch Kindergärten und Schulen auf dem Dach zu finden sein?"

Das Oberhausener Projekt ist jedoch alles andere als gekünstelt, praxisfremd oder konzeptlastig. Tatsächlich ist flexible Bespielbarkeit integraler Bestandteil des Gebäudes. Durch seine sogenannte "Warehouse"-Typologie ist eine spätere Umwidmung in Wohnungen oder eine gemischte Wohn- und Gewerbenutzung relativ leicht möglich. Ein höchst umweltschädlicher Abriss wird so weitaus unwahrscheinlicher.

Gerade die Dächer, heute werden sie so oft in Penthäuser umgewandelt, seien sehr wichtig "als Aktivitätszonen, als Investitions- und Grünflächen", findet Wilfried Kuehn: "Man muss ja nicht beim Gewächshaus stehen bleiben - warum sollten in Zukunft nicht auch Kindergärten und Schulen auf dem Dach zu finden sein?" Kuehn sieht den Oberhausener Bau als Schritt zur Neuerfindung eines "neuen Ökosystems für unsere Innenstädte" - wörtlich genommen, aber auch in der Neuschaffung sozialer Zusammenhänge.

Im Frühjahr, so hofft Sabine Lauxen, könnte der Vertikale Garten nach einer endgültigen Sicherheitsprüfung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Das Gewächshaus wird mit geführten Touren begehbar sein, ein neues, vom Jobcenterbetrieb separiertes Café im Erdgeschoss wird dann Produkte vom Dach anbieten. Es werde schon viel erreicht sein, findet die Umwelt-Beigeordnete, wenn das Altmarktprojekt "Zuversicht und Bewegung in die Innenstadt bringt".

© SZ vom 15.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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