Obamas Bin-Laden-Rede:Obamas Gratwanderung

Es ist einer seiner größten Erfolge - doch jubeln darf er nicht: Wie US-Präsident Obama die Verkündung von Bin Ladens Tod zu einem Lehrstück für wortgewandtes Reden machte: So klingt heutzutage der militärisch-rhetorische Komplex.

Johan Schloemann

Seit seinem Amtsantritt im Jahr 2009 - Entschuldigung, stilgerecht müsste es besser folgendermaßen heißen: Seit jenem kalten Januarmorgen unter sonnigem Winterhimmel auf dem Kapitolshügel, dem Morgen, als der Atem in der Luft gefror, in Amerikas Herzen aber der Funke der Hoffnung entzündet wurde... - Seit seinem Amtsantritt also haftet Barack Obama der Makel an, ein Mann des blumigen Wortes, aber nicht der Tat zu sein.

Barack Obama

Barack Obama möchte der Welt mit seiner Rede beweisen, nicht nur ein Mann des Wortes, sondern auch der Tat zu sein.

(Foto: AP)

Wie schon zuvor bei seinen beeindruckenden Wahlkampfreden, so hieß es, sei der amerikanische Präsident zwar niemals um ein smartes Statement verlegen, niemals um eine herzerwärmende, mutmachende Rede zur Examensfeier an einer Universität; doch auf den wichtigen Handlungsfeldern der Politik, von Afghanistan bis zur Wall Street, da bringe er eigentlich nichts so recht zustande.

Als Obama nun am späten Sonntagabend vor die Kameras und den Teleprompter trat, um die Tötung des zehn Jahre lang gesuchten Terroristenführers zu verkünden, da hätte er den Vorwurf wortreicher Tatenlosigkeit ganz leicht parieren können: Nun war ja wirklich einmal eine spektakuläre Tat gelungen; in einer kurzen No-Nonsense-Ansprache hätte Obama die zentralen Fakten aus Pakistan mitteilen können, gipfelnd in dem wirkungsvollen Kernsatz seiner Rede: "Justice has been done" - "Der Gerechtigkeit wurde Genüge getan."

Doch Barack Obama tat in diesem siegreichen Moment im Weißen Haus etwas ganz anderes: Wie um zu beweisen, dass sein oft üppiger, teils kühl reflektierter, teils gezielt pathetischer Redestil keineswegs im Gegensatz zu entschlossenem Handeln stehe, sondern dass seine Art zu reden und zu denken mit solchem Handeln eng zusammenhänge, sprach Obama knappe zehn Minuten lang.

Dies ist für die allererste Mitteilung eines bedeutenden Ereignisses durch die US-Regierung an die Weltöffentlichkeit - eines Ereignisses, welches sich in einem einzigen Satz benennen lässt - eine überaus lange Redezeit. Zumal in der Ära der Eilmeldungen und Twitternachrichten.

Und über eine bemerkenswert weite Strecke dieser Zeit spannte der Präsident die Zuschauer mit einer emotionalen, breit ausgemalten Erzählung von den Anschlägen am 11. September 2001 und den folgenden Antiterrormaßnahmen auf die Folter. Ganz zu Anfang sagte er lediglich, dass die USA Osama bin Laden getötet hätten. Bis dann aber überhaupt die wesentlichen Fragen beantwortet wurden: Wo und wie wurde er getötet? Wo ist die Leiche? - bevor also die klassischen Regeln einer Pressemitteilung erfüllt wurden, fuhr Obama in einem über vier Minuten reichenden Spannungsbogen alles auf, was die Rhetorik dieses Präsidenten und seines Redenschreibers Jon Favreau kennzeichnet: eine anschauliche narratio, poetisch, bilderreich und personalisierend.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Obamas Botschaft zu entschlüsseln ist.

Hier spricht der militärisch-rhetorische Komplex

Da war vom inzwischen zum Topos gewordenen "wolkenlosen Septemberhimmel" in New York die Rede, der von den Angriffen verdunkelt worden sei; von dem ungesehenen Leid, das hinter den Bildern der Attacken stehe: "Der leere Stuhl am Tisch beim Abendessen. Kinder, die ohne ihre Mutter oder ihren Vater aufwachsen mussten. Eltern, die niemals das Gefühl einer Umarmung ihres Kindes kennen sollten."

Es wurde sodann in langen Sätzen die Einigkeit und Solidarität der Amerikaner besungen, die der 11. September gebracht habe; auf ein Trikolon wie das zitierte, einen rhetorischen Dreischritt also, folgte ein kraftvoller zweischrittiger Parallelismus: "We offered our neighbors a hand, and we offered the wounded our blood", und darauf wieder ein effektvolles Trikolon, das die Szenerie zur Weltpolitik hin erweiterte ("unsere Mitbürger, unsere Freunde, unsere Verbündeten"), bis dann kurz vor Auflösung der Spannung dem Al-Qaida-Netzwerk mit einem alliterierenden Trikolon zugesetzt wurde: "... disrupt, dismantle, and defeat ..."

Erst nach diesem "Was-bisher-geschah" dann wurde Obama konkret, nannte er den pakistanischen Ort Abbottabad und die Umstände der Militäroperation.

Ein öffentlich sprechender Politiker muss sich um eine schwierige Balance bemühen. Redet er zu nüchtern und blutleer, sieht man ihn als austauschbaren Technokraten (oder als zynischen Kriegsherren). Er darf aber auch nicht zu dichterisch werden, selbst in den USA nicht, wo die Lizenz zum Pathos deutlich größer ist als bei uns.

Wie immer man Obamas Gratwanderung bewerten will, der sich historische Redner wie Abraham Lincoln zum Vorbild nimmt - fest steht, dass seine Osama-bin-Laden-Erklärung als eines der längsten retardierenden Momente in die Geschichte der amerikanischen Redekunst eingehen könnte.

Und mit den genannten Stilmitteln und Bildern war Obamas Arsenal am Abend des Triumphes, der nicht zu triumphierend klingen sollte, noch lange nicht leergeräumt. Es folgten nach der eigentlichen Information sowie nach der Beschwichtigung, es gehe nicht um Feindschaft mit dem Islam generell, noch so einige gedrechselte Formeln wie "service, struggle, and sacrifice"; es folgten Poetizismen wie der bei Obama beliebte, es sei der Terrorismus "to our shores" gekommen, also "bis an unsere Gestade". Man könnte auch einfach sagen "in unser Land", aber schon in seinen Wahlkampfreden verwendete Obama gerne die Formel "from shore to shore", wenn er das inklusive, überparteiliche Brausen der Veränderung beschwören wollte.

Und natürlich folgten am Schluss wieder starke, transzendental begründete Bekräftigungen des weltweiten amerikanischen Sendungsbewusstseins ("America can do whatever we set our mind to ...").

Eine Ansprache wie diese Bin-Laden-Rede erfordert recht viel Arbeit und Feinschliff. Der Aufwand ist so groß, dass der Text nahezu gleichzeitig mit dem Zugriff der Geheimdienstkräfte in Pakistan erarbeitet worden sein muss.

Obamas Botschaft heißt also: Ich bin ein Mann des Wortes und der Tat. Amerika mag vielleicht bald nicht mehr das mächtigste Land der Welt sein; unübertrefflich aber ist Amerikas militärisch-rhetorischer Komplex.

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