Süddeutsche Zeitung

Obama zeichnet Bob Dylan aus:Ehre dem Chefgott

Wer vom US-Präsidenten die Freiheitsmedaille verliehen bekommt, dem soll gesagt werden: Du bist Amerika. Bob Dylan verkörperte schon 1964 ein Amerika, in dem ein Schwarzer Präsident werden kann: Er hat über den Rassismus in einer Weise gesungen, die dazu beitrug, dieses Land zu verändern. Da ist sogar der erste Mann im Staat vor Respekt gerührt.

Kurt Kister

Kann das sein? Ist das Forrest Gump, dem der Präsident die Medal of Honor umhängt, weil er im Dschungel seinen verwundeten Leutnant gerettet hat, dafür aber einen Schuss in den Hintern erhielt? Und wird Forrest Gump gleich dem Präsidenten seinen nackten Hintern mit der Narbe zeigen?

Nein, es ist Bob Dylan, dem der Präsident das zivile Gegenstück zur kriegerischen Medal of Honor, die Presidential Medal of Freedom, verleiht. Der Präsident wird demnächst 51. Bob Dylan ist gerade 71 geworden. Was ist das für eine Welt, in der amerikanische Präsidenten viel jünger sind als Bob Dylan?

Obama, man sieht es ihm an, hat Respekt, er ist gerührt, er ist starstruck. Das ist interessant, denn schließlich ist Obama mutmaßlich der berühmteste Mensch der Welt, auf jeden Fall aber der berühmteste und mächtigste Politiker.

Die Medal of Freedom ist eine hoch seriöse, pathetische Angelegenheit. Obama hat sie dem Erzbischof Tutu und der schwarzen Lyrikerin Maya Angelou verliehen, aber auch gänzlich unlyrischen Leuten wie Warren Buffett oder Angela Merkel. Die Medaille sagt: Du bist Amerika oder wenigstens bist Du wichtig für Amerika oder zumindest soll es so aussehen, als seist Du wichtig für Amerika.

Bob Dylan ist Amerika. Er ist jenes Amerika, das selbst Anti-Amerikaner lieben. Er trägt zur Ordensverleihung eine Ray Ban, die er nicht abnimmt, weil er der einzig mögliche Gesandte ist aus einer Welt, deren Bewegung dadurch entsteht, dass er sich seit Jahrzehnten auf seiner niemals endenden Tour befindet.

Dylan hat viele 68er bestärkt und manche Babyboomer

Aber Bob Dylan war schon 1964 jenes Amerika, das Obama 2008 zum Präsidenten wählte, als genau jenes Amerika noch lange nicht existiert hat: ein Amerika, in dem ein Schwarzer Präsident werden kann. Als Dylan noch nicht der verehrungswürdige, dünnbärtige Anderweltler mit der Rabenstimme war, hat er, der nie schwarze Musik gemacht hat, über den Rassismus in Amerika in einer Weise gesungen, die dazu beitrug, dieses Land zu verändern, ja vielleicht sogar geholfen hat, Obama an die Macht zu bringen.

Wer dies in einem einzigen Song hören will, der höre "The Lonesome Death of Hattie Carroll". Spätestens dann wird er wissen, warum es gut und richtig ist, dass Obama dem Mann aus Duluth, Minnesota diese Medaille verliehen hat.

Zweifelsohne ist Bob Dylan der Chefgott aus jener Ära, in der Rockmusik im weitesten Sinne nicht nur alle wichtigen Fragen stellte, sondern auch viele Antworten gab. Seine LP "The Times They Are A-Changin'" gehört zu den politisch einflussreichsten Kunstwerken der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Dylan hat viele 68er bestärkt und manche Babyboomer, zu denen Obama gerade noch zählt, politisiert. Dylan hat da begonnen, wo Woody Guthrie endete und er ist bis heute dort, wo noch nicht einmal Bruce Springsteen hinkommt, der ebenfalls zu den Gebenedeiten zählt.

Ja, gewiss, Bob Dylan ist etwas seltsam geworden, nicht nur, weil er mit der angeblich realen Welt hauptsächlich über die Zusammenstellung seiner set lists bei den Konzerten kommuniziert. In dem Song "It's Alright, Ma" heißt es: "Even the President of the United States sometimes must have to stand naked." So einen Moment gab es, als Obama, äußerlich in einen wohlsitzenden Anzug gehüllt, Dylan die Medaille umhängte.

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SZ vom 31.05.2012/pak
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