"Nymphomaniac 2" im Kino:Jägerin der verlorenen Lust

Charlotte Gainsbourg und Jamie Bell in "Nymphomaniac"

Die "Nymphomanin" (Charlotte Gainsbourg) sucht den Schmerz - bei Jamie Bell.

(Foto: Concorde Filmverleih)

Keine märtyrerhafte Opfergestalt, keine apokalyptischen Visionen: Im zweiten Teil von "Nymphomaniac" mit Charlotte Gainsbourg wird zwar der Sex härter, aber Lars von Trier wirkt so entspannt wie noch nie.

Von Rainer Gansera

So zart und spielerisch hat Lars von Trier noch nie erzählt - mit Witz, Poesie, Selbstironie. Diesmal keine Heldin, die pathetisch zur märtyrerhaften Opfergestalt stilisiert werden muss. Keine apokalyptischen Visionen, die uns mit Haut und Haar verschlingen wollen. Stattdessen eine "Sandwich"-Nummer mit zwei afrikanischen Drogendealern als muntere Burleske, oder - lächerlich und anrührend zugleich - die Suche nach einem Zeichen persönlicher Zuwendung im Sadomasochistischen Ritual, das als abstrakte Dienstleistung exekutiert wird.

Sex-Kasperei und Verzweiflungs-Theater, intimes Bekenntnis und visionäre Ausschweifung, Psychogramm und Selbstportrait - all dies ist auch der zweite Teil des "Nymphomaniac"-Diptychons, obwohl es an der Oberfläche nur um die härteren Episoden aus dem Sexleben der Heldin geht. Die Story setzt exakt dort ein, wo der erste Teil endete: Joe (androgyn, fragil, faszinierend: Charlotte Gainsbourg) erzählt dem Mann, der ihr die Lebensbeichte abnimmt, dem mönchisch hausenden Privatgelehrten Seligman (Stellan Skarsgård), von dem schrecklichen Moment, an dem sie plötzlich empfindungslos wurde. Aus dem abenteuerlich erregten Lustkörper der Sexobsession wird der Schmerzenskörper der verlorenen Lustempfindung, die Joe nun mit Gewalt zurückholen will.

Joe sieht den Akt ihrer physischen Züchtigung und Degradierung als Widerstandsakt der Selbstbehauptung. Widerstand auch gegen ärztliche Diagnosen - und gegen Seligmans Flunkereien. Sie besteht darauf, eine "Nymphomanin" zu sein und nicht - wie die Therapeutin es ausdrückt - an "Sexsucht" zu leiden. Was sie zwölfjährig als verzückende, orgasmisch erregende Marienerscheinung erlebt hat, soll geheimnisvoll bleiben und muss gegen die ärztlich Deutung als "epileptischer Anfall" und Seligmans Besserwisserei verteidigt werden. Diese Maria sei wohl eher die "Hure Babylon" gewesen, meint der. Und wieder lockt uns Lars von Trier ins Labyrinth seiner Paradoxien.

Als Komplize seiner Heldin besteht er darauf, dass ihre Erlebnisse visionär ausleuchtbare, existenzielle Rätsel bleiben. Ähnlich wie Albrecht Dürer in seinem berühmter Kupferstich "Melencolia I" (1514) die Melancholie nicht länger als Gemütszustand lasterhafter Trübsal zeigt, sondern als Quell des Schöpferischen, zelebriert Lars von Trier nun die seelischen Verstörungen seiner Heldin. Womit dann auch seine "Trilogie der Depression" zum grandiosen Abschluss kommt - nach "Antichrist" und "Melancholia".

Von Trier sucht obsessiv nach den wunden Punkten, an denen sich Extreme berühren, oder besser: miteinander kollidieren. Ausschweifung und Askese, Kontrolle und Hingabe. Hier die sexbesessene Joe - dort der asexuelle Seligman. Die Kamera rückt den Darstellern peinigend nah auf die Pelle, um sich im nächsten Moment magische Welten zu erträumen. Der Filmemacher erscheint wie ein Marionettenspieler, der jede Geste seiner Figuren führt und sich zugleich danach sehnt, dass sich die Welt in Schönheit und Schrecken wie von selbst offenbaren möge.

Kontraste, zur schroffen Versuchsanordnung konstruiert, bei denen man nicht übersehen darf, dass Joe und Seligman eines gemeinsam haben: ihre traurige, leergefegte Einsamkeit. Im Kern erzählt "Nymphomaniac" die Geschichte einer Frau, die alle Empfindsamkeit verloren hat und versucht, wenigstens das kleine Einmaleins des Fühlen-Könnens neu zu erlernen. Tatsächlich wird sie zärtliche Momente in freundschaftlichen Umarmungen finden - und die Erinnerung an den "Seelenbaum", den der Vater ihr in Kindheitstagen zeigte, erscheint als tröstliche Vision, auch wenn sie im Konjunktiv der Sehnsucht formuliert wird.

Nymphomanic - Volume II, Dänemark/D 2013 - Buch und Regie: Lars von Trier. Kamera: Manuel Alberto Claro. Mit: Charlotte Gainsbourg, Stellan Skarsgård, Christian Slater. Concorde, 124 Min. In deutschen Kinos ab dem 3. April 2014.

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