Münchner Kammerspiele:Wortfackelträger, vom Reißbrett

Münchner Kammerspiele: Familienaufstellung unterm Strahlenkranz - oder ist es eine Dornenkrone? Szene mit Zeynep Bozbay, Mehmet Sözer, Edith Saldanha, Sema Poyraz und Elmira Bahrami (v.l.).

Familienaufstellung unterm Strahlenkranz - oder ist es eine Dornenkrone? Szene mit Zeynep Bozbay, Mehmet Sözer, Edith Saldanha, Sema Poyraz und Elmira Bahrami (v.l.).

(Foto: Krafft Angerer)

Die Münchner Kammerspiele zeigen "Das Erbe" über die Brandanschläge in Mölln 1992. Ein Theaterabend als Zumutung.

Von Christine Dössel

Die Religionswissenschaftlerin Leyla ist nicht gut auf Deutschland und die Deutschen zu sprechen. "Widerliches Nazi-Volk", ätzt sie hasserfüllt. "Wir sind denen doch egal, nur Arbeitsmaschinen. Vieh, das auf die Schlachtbank muss." Zwar ist sie in diesem "Scheißland" geboren und aufgewachsen, als Tochter eines türkischen Gastarbeiters, der es zu einem Firmenimperium gebracht hat. Aber längst lebt sie in Istanbul, trägt (ein schickes) Kopftuch und hat dort eine eigene Familie, mit einem Mann, der Imame ausbildet und, wie auch sie, seine Hoffnung auf einen aufstrebenden Politiker namens Recep Tayyip Erdoğan setzt. Wir schreiben das Jahr 1992. Leyla ist nur deshalb in "diese Hölle" Deutschland zurückgekehrt, weil ihr Vater gestorben ist. Zur Beerdigung kommen die drei Geschwister im Elternhaus, einer 20-Millionen-Villa, zusammen. In die Trauerrunde hinein platzt die Nachricht von den rassistischen Brandanschlägen in Mölln am 23. November 1992 - Grundlage für einen gut gemeinten, aber alles andere als gut gemachten Theaterabend in den Münchner Kammerspielen.

"Das Erbe" heißt das als "Tragödie" deklarierte Stück von Nuran David Calis, uraufgeführt just am 30. Jahrestag der rechtsextremen Anschläge, die damals drei Menschenleben forderten. Der Titel bezieht sich einerseits auf das Testament des verstorbenen Murat Doğan, der verfügt, dass sein milliardenschweres Transportunternehmen von seinen Kindern von Deutschland aus weitergeführt werden soll, was denen überhaupt nicht passt. Aber natürlich meint der Titel vor allem das verheerende Nazi-Erbe in Deutschland, das von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mölln über die Verbrechen des NSU bis zu den Anschlägen der jüngeren Zeit etwa in Halle und Hanau reicht.

Als Chefanklägerin gegen dieses "gnadenlose" Land mit seiner "monströsen Gewaltgeschichte" fungiert in dem aus Informationen und Deklarationen zusammengebauten Text die bereits zitierte Leyla (Zeynep Bozbay). Ihre aus dem "poshen London" angereiste Schwester Arzu hingegen findet: "Wenn Mölln etwas nicht erreichen darf, ist es, das letzte Wort zu haben. Über uns. Über diese Gesellschaft." Womit sie eher auf der Linie der Anwältin Ilias ist, die als Schwarze (Edith Saldanha) ihre eigene Rassismuserfahrung miteinbringt. Sie sagt Sätze wie: "Die Dominanzgesellschaft muss endlich anfangen, die Perspektiven der Betroffenen anzuhören." Ja, so reden die hier. Da ist es dann auch schon egal, dass Begriffe wie "divers" oder "migrantisiert" 1992 noch gar nicht eingeführt waren.

Nuran David Calis, Sohn armenisch-jüdischer Einwanderer aus der Türkei, ist ein renommierter Autor und Regisseur, dessen Stärken vor allem im Dokumentartheater liegen. Er hat, meist unter Mitwirkung von Betroffenen, mehrere Inszenierungen zu den Anschlägen des NSU und auch bereits einen Abend über Mölln gemacht, sich in verdienstvoller Weise am deutschen Rechtsextremismus abgearbeitet. "Das Erbe" jedoch ist ihm als Stück komplett missraten. Nicht nur bleiben die am Reißbrett der politischen Empörung und Agitation entworfenen Figuren bloße Wortfackelträger, ihre Erklärsprache eine Zumutung. Auch inhaltlich fügt sich das, was Calis da alles reinpackt, weder zu einem aufwühlenden Polit- noch zu einem emotionalen Generationendrama. Herauskommt vielmehr ein stark proklamatorisches, anklagendes, mahnendes Belehrungstheater, das sein bedröppelt dasitzendes Publikum noch dazu in moralische Geiselhaft nimmt.

Szenisch belässt es die Regisseurin bei einer Familienaufstellung

Dass Calis sein Stück an einer migrantischen Erfolgsgeschichte festmacht, ist prinzipiell eine zündende Idee. Die Doğans sind superreich, Musterbeispiele der Integration. Dass sie nach den Anschlägen von Mölln ihre ganze Existenz, ihre Identität, Integration und Sicherheit hinterfragen, wirkt bei diesen Privilegierten schon auch etwas übertrieben. Um mehr über sie zu erfahren, bleiben die Figuren nun mal zu eindimensional. Und so, wie die zum Leitungsteam der Kammerspiele gehörende Pınar Karabulut sie inszeniert, bilden sie eher das Personal für eine Vorabend-Soap, samtig-chic ausstaffiert von Sara Giancane, die erblindende Mutter (Sema Poyraz) mit extradicker Perlenkette. Sohn Halil (Mehmet Sözer) ist pleite, die in London lebende Arzu (Elmira Bahrami) lesbisch, das sind so die Familiengeheimnisse. Einmal sitzen die drei Geschwister zusammen und rauchen einen Joint - eine der wenigen Szenen, in denen diese Statement-Statuen auch mal menscheln. Ansonsten lässt die Regisseurin sie wie bei einer Familienaufstellung auf der leeren Rundhorizont-Bühne herumstehen, die Aleksandra Pavlovic mit einem blauen Vorhang verkleidet hat. Über ihnen schwebt bedrohlich ein Monstrum von einem Strahlenkranzleuchter, unter dem sie schon mal tanzen wie in einem Techno-Club. Der Rest dieser hilflosen Inszenierung sind Filmszenen, gedreht im Garten des Münchner Lenbachhauses, das als Anwesen der Familie dient. Mit dem Verwalter Gerhard aus Eisenach (Stefan Merki) und dessen Neffen (Vincent Redetzki) kommt auch noch ein Ossi-Strang ins Spiel. "Unsere Geschichten müssen erzählt werden", lautet das Fazit der Thesen-Anwältin. Ja, stimmt. Aber es geht auch darum, sie gut zu erzählen.

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