Nürnberger Gesetze:Die Trophäe

In den USA soll es ein Original der Nürnberger Gesetze geben - jener Regelungen, mit denen die Juden 1935 aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen wurden. Nur: In Nürnberg liegt auch ein Original.

Willi Winkler

Die Unserem Erlöser geweihte episkopalische Kirche in San Gabriel wäre nicht weiter der Rede wert, lockte sie den patriotischen Touristen nicht mit einem Glasfenster, das den Hl. Georg im Kampf mit dem Drachen zeigt. Dieser Drache ist besonders böse, denn seine Schuppen ziert das Hakenkreuz, und mitten im sonnigen Kalifornien triumphiert der gut katholische Hl. Georg über den Nationalsozialismus. Ganz unten, wo in der klassischen Ikonographie die Stifterfiguren auftreten, entdeckt man die Auflösung der Allegorie: George S. Patton, General der III. Armee und in der populären Mythologie selber ein wehrhafter Hl. Georg, sitzt auf einem Panzer, mit dem er gleich Deutschland erobern wird.

George S Patton Jr., Robert Millikan

George S. Patton marschierte 1945 quer durch Süddeutschland. Unterwegs entdeckten seine Soldaten in Eichstätt ein Exemplar der 1935 vom Reichstag beschlossenen "Nürnberger Gesetze" und machten sie ihrem Chef zum Geschenk.  Auf dem Bild aus dem Juni 1945 überreicht Patton Robert Millikan von der Huntington Library die Gesetze. Sind sie wirklich das Original?

(Foto: AP)

Tatsächlich marschierte die III. Armee mit Patton an der Spitze 1945 über den Rhein quer durch Süddeutschland bis nach Pilsen durch. Unterwegs entdeckten seine Soldaten im Tresorraum der Hypotheken- und Wechselbank in Eichstätt ein Exemplar der 1935 vom Reichstag beschlossenen "Nürnberger Gesetze" und machten sie ihrem Chef zum Geschenk. (Der Finder ist gerade, am 18. August, verstorben.) US-Präsident Roosevelt hatte zwar verfügt, dass die Soldaten Trophäen sammeln dürften, doch galt dies nicht für Dokumente, die von zeithistorischem und juristischem Interesse sein konnten. Patton, berüchtigt und bewundert wegen seiner nonchalanten Art, kümmerte sich nicht darum, sondern nahm den Fund als Kriegsbeute mit, als er im Juni seinen Heimaturlaub antrat und sich im heimatlichen Pasadena feiern ließ. Bald müssen ihm Zweifel gekommen sein, denn er schenkte das Raubstück der Huntington Library, wo es bis 1999 im Archiv verschwand.

Am Mittwoch dieser Woche übergab die Huntington Library ihr Exemplar des "Originals der Nürnberger Gesetze" den National Archives, die in einem Vorort von Washington untergebracht sind. Dort war die Freude groß über dieses mit 65 Jahren Verspätung einpassierte Dokument, hatte man sich doch beim Tribunal gegen die Hauptkriegsverbrecher, das 1945 ebenfalls in Nürnberg begann, mit einer beglaubigten Kopie behelfen müssen. In nächster Zeit soll das kostbare Stück öffentlich ausgestellt werden, damit jeder im Typoskript lesen kann, wie mit dem "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" und dem "Reichsbürgergesetz" die Juden aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen wurden.

Ehen zwischen Juden und Deutschen waren fortan verboten, selbstverständlich auch der außereheliche Geschlechtsverkehr. Das wichtigste davon, das so genannte Blutschutzgesetz, trägt die Unterschrift des Innen- und Justizministers, des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß sowie des "Führers und Reichskanzlers". Hitler bestellte den Reichtag am 15. September 1935 nach Nürnberg zum "Reichsparteitag der Freiheit" und ließ die von Juristen formulierten Gesetze einstimmig verabschieden.

Das Original, so die Auskunft des Nürnberger Stadtarchivs, gelangte 1938 als Ehrengabe an den Ort, an dem die Gesetze beschlossen wurden, und befindet sich noch heute dort. Gibt es also neben dem Patton-Prunkstück noch weitere Originale? Auf Nachfrage erklärt die Huntington Library vorsichtig, dass es sich bei ihrem jetzt ausgelieferten Original um das "einzige Original in den USA" handle. Ein weiteres "Original" befinde sich in Nürnberg. Dieses Exemplar ist, wie der Archivleiter Michael Diefenbacher versichert, von Hitler persönlich mit blauer Tinte unterschrieben. Auch das amerikanische Dokument trägt seine Unterschrift. Wie steht es also mit dem Original?

Patton war ein Haudegen, aber kein Fälscher. Vielmehr sind in Nürnberg auf dem Parteitag vier leicht variierte Fassungen entstanden, alle wurden vom "Führer" unterschrieben, aber nur eine, die "Fassung D", wurde vom Reichtag verabschiedet. Beweis: Die Fassung D enthält etliche Korrekturen. So ist zum Beispiel aus dem "außerehelichen Geschlechtsverkehr" ein neutraler "Verkehr" geworden. Der Nürnberger wie der kalifornische Text bildet die juristischen Grundlage für die systematische Ausrottung der europäischen Juden.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: