NSU-Theaterstück in München:Sprachfanfaren gegen das schreckliche Schweigen

Fotoprobe 'Das schweigende Mädchen'

Schauspieler Stefan Hunstein in "Das schweigende Mädchen"

(Foto: dpa)

Konzentration auf suggestiven Gruselsound: Das Theaterstück über den NSU-Prozess von Elfriede Jelinek leistet intensive Trauerarbeit. Dabei verändert Dramaturg Tobias Staab die Buchvorlage gehörig.

Von Christine Dössel

Eineinhalb Jahre dauert der NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht nun schon, und in all der Zeit hat die Angeklagte Beate Zschäpe sich mit keinem Wort zu dem Fall geäußert. Sie schweigt vor Gericht. Die beiden Hauptverdächtigen, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sind tot, ihnen kann man den Prozess nicht mehr machen. Und die Dritte im Nazi-Bunde sitzt da und schweigt zu dem Ungeheuerlichen, das die Zwickauer Terrorzelle verbrochen hat. Aber "einer muss ja endlich sprechen", findet die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, "es muss jemand sprechen, der den Schrecken aushält". Und weil es sonst keiner tut, übernimmt eben sie diesen Part. Einer muss ja die Drecksarbeit machen.

Wenn Zschäpe schweigt und niemand spricht, ruft Jelinek zum Sprachgericht: 224 eng beschriebene DIN A4-Seiten umfasst ihr Stück "Das schweigende Mädchen", das nun von Johan Simons an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde - ein manischer Wortschwall, wie frisch aus einem auf Hochtouren arbeitenden, mit Fakten und Fragen vollgesogenen, sich glühend an den NSU-Taten abarbeitenden Gehirn gepresst. Ein Text von schier biblischer Wut und Wucht, Anklageschrift, Geschichtsstunde und Totenklage zugleich, zusammenmontiert aus Medienberichten, Aktenbefunden und Fakten, mythologisch und religiös aufgeladen bis zur Wunderlichkeit.

Jelinek ruft mit Sprachfanfaren zum Jüngsten Gericht, lässt tatsächlich Engel und Propheten zu Wort kommen und tritt mit ihrer nervenden "ICH"-Stimme auch immer wieder selber in den Zeugenstand - zumindest im Original ihres überbordenden, überfordernden, weiß Gott nicht immer ganz verständlichen Textkonvoluts. Jelinek liefert da auch viel heiligen Bimbam und verbrämt Zschäpe zur "Jungfrau", die zwei Erlöser gebar.

Für die Uraufführung an den Kammerspielen hat der Dramaturg Tobias Staab das alles gehörig eingedampft: auf 40 überschaubare Textseiten und eine Theaterverhandlung, die nach zwei pausenlosen Stunden zu Ende ist. Das ist nur ein Bruchteil des Stückes, geht aber gut, weil doch sehr nahe. Johan Simons inszeniert nicht groß herum, er verweigert die Bilder, das Spiel, wenn man so will drückt er sich davor. Stattdessen packt er Jelineks Text bei seiner musikalischen Struktur, nimmt ihn als Partitur und macht aus dem Gerichtsprozess ein nachtschwarzes Oratorium. Carl Oesterhelt hat ihm dafür die Musik komponiert, einen suggestiven Gruselsound, gespielt von Sachiko Hara am Piano, Salewski am Synthesizer und Gertrude Schilde (mit Jelinek-Frisur) an der Violine; das geht von bedrohlichen Elektro- bis hin zu kirchlichen Bach-Klängen.

Große Minimal-Performance

Der Anfang gehört Stefan Hunstein, der aus dem Parkett heraus in einem hitzigen Empörungsmonolog Jelineks Intro übernimmt: Heiliger Zorn, Anklage, Mordbefund. Will wirklich niemand etwas gewusst, niemand etwas gesehen haben? Wütend dampft Hunstein durchs Parkett ab, eine Obstkiste mit der Aufschrift "Heimaterde" schleppend. Dann wird es finster, und die große Totenklage setzt ein. Die Schauspieler sind auf Stühlen vor Notenständern postiert, lesen ihren Text zum Teil vom Blatt, zum Teil singen sie ihn, man kennt das schon aus so manchen Simons-Inszenierungen.

Es ist der szenische Lesungs-Stil, mit feinen stimmlichen und gestischen Details. In der Mitte: Thomas Schmauser als Richter, ganz große Minimal-Performance. Ihm zur Seite die "Engel" in schwarzen Gewändern: die Schönsprecher Wiebke Puls, Steven Schwarz und der wieder mal fein ironisierende, den Text travestierende Benny Claessens. Links außen bilden Annette Paulmann und Hans Kremer als (falsche) "Propheten" und deutsche Eltern ein uniformiertes Einspruchs-und Rechthaber-Duo. Der stumme Beisitzer ganz rechts außen ist der zarte Este Risto Kübar in Jesusgestalt. Wenn er, der "Fremdling" mit dem Akzent - das potenzielle Opfer - am Ende doch noch stockend das Wort erhebt, ist das sehr eigen, sehr berührend.

Wie der Abend ohnehin Kraft aus seiner Zartheit, seiner Menschlichkeit, seiner Ruhe und Konzentriertheit schöpft. Aus seiner Vergegenwärtigung des Todes. Der Toten. Was hier geleistet wird, ist intensive Trauerarbeit. Einer muss es ja tun.

Eine ausführliche Kritik lesen Sie in der Montagsagausgabe der Süddeutschen Zeitung oder auf dem iPad.

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