NS-Raubkunst:Die Slums von Schwabing

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Zwei Gemälde aus der Plünderung des Münchner "Führerbaus" von 1945 wurden entdeckt, eines davon im Handel, das andere im Museum.

Von Ira Mazzoni

Die SS-Wachen waren abgezogen, die Amerikaner noch nicht ins Zentrum Münchens vorgedrungen, da wurden die mit Lebensmitteln, Wein und Kunst vollgestopften Keller von Hitlers "Führerbau" am Königsplatz geplündert (SZ vom 12. Juli 2014). In den letzten Apriltagen 1945 sollen aus dem Luftschutzkeller an die 650 Kunstwerke geraubt worden sein. Die in München zwischengelagerten Gemälde und Skulpturen waren für Hitlers Museum in Linz bestimmt. Etliche hatten die Nazis zuvor von jüdischen Sammlern erpresst. Darunter war die berühmte Altmeister-Sammlung von Adolphe Schloss, welche die Geheime Staatspolizei mit Hilfe des französischen Vichy-Regimes auf Schloss Chambon bei Tulle beschlagnahmt hatte. 230 Gemälde des 17. Jahrhunderts, inklusive Werke von Rembrandt und Rubens, kamen im Winter 1943 nach München. 161 Werke aus der Sammlung Schloss sind bis heute verschollen; Interpol fahndet nach ihnen.

Ein Werk taucht bei einer Auktion auf, eines im Museum

Vor einigen Tagen wollte das Wiener Auktionshaus "Im Kinsky" ein strenges Herrenporträt des niederländischen Malers Bartholomeus van der Helst aus der Sammlung Schloss versteigern. Es machte keinen Hehl daraus, dass es sich um Raubkunst handelt. Das Auktionshaus wollte einen Deal zwischen den Schloss-Erben und dem "gutgläubigen" Einlieferer erzwingen. Denn private Eigentümer sind, anders als öffentliche Institutionen, nicht an die Washingtoner Prinzipien, der internationalen Vereinbarung zur Raubkunst, gebunden und damit bisher nicht zur Rückgabe verpflichtet. Der Handel bietet daher gerne an, den angeblich unwissenden Einlieferer mit Zweidritteln und den rechtmäßigen Erben mit einem Drittel am Verkaufserlös zu beteiligen.

Propagandabild des Führerbaus und Ehrentempels auf dem Königsplatz in München, 1936. (Foto: Vladimir Efimov/SZ Photo)

Doch in diesem Fall ging die Rechnung nicht auf. Die Anwälte der Schloss-Erben machten den Deal nicht mit. Sie halten einen gutgläubigen Erwerb für schlicht ausgeschlossen, zumal die verschollene Sammlung Schloss leicht im Internet nachrecherchiert werden kann. Französische Behörden schalteten sich ein. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft Wien die vorläufige Sicherstellung des Gemäldes verfügt. Schon einmal, vor 15 Jahren, hat der Oberste Gerichtshof in Paris einen amerikanischen Kunsthändler, der ein Gemälde von Frans Hals aus der Sammlung Schloss auf einer französischen Kunstmesse angeboten hatte, wegen Verletzung der Sorgfaltspflicht verurteilt. Eine Entscheidung im Wiener Fall wird Signalwirkung auch für andere Raubkunstgemälde in Privatbesitz haben.

Das van Helst-Porträt befand sich bis 1999 zusammen mit weiteren elf aus der Sammlung Schloss in Besitz einer Münchner Antiquitätenhändlerin. Deren Erben haben einige davon an einen österreichischen Händler verkauft. Wo befinden sich all diese Werke jetzt?

Dass die Spur nach München weist, ist kein Zufall. Bereits der amerikanische Kunstoffizier Edgar Breitenbach hatte nach dem Krieg mit detektivischem Gespür dubiose Antiquitätenhändler nahe dem Münchner "Führerbau" ausfindig gemacht. Er sprach von einem System, das bis zur Währungsreform 1948 blendend funktionierte. 1949 resümierte Breitenbach bitter: "Viele Gemälde sind noch in den Slums von Schwabing versteckt".

Das van Helst-Porträt. (Foto: oh)

Seit zwei Jahren wird der "Führerbau"-Diebstahl am Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) erforscht. Anhand von alten Fotografien und Inventaren fragen sich die Kunsthistoriker: Welche Werke befanden sich eigentlich in den Bunkergewölben des "Führerbaus" und wurden dort 1945 entwendet? Eines hat jetzt Stephan Klingen vom ZI ausfindig gemacht. Der Weg führte diesmal in eines der renommiertesten deutschen Museen, in die Gemäldegalerie Berlin. Das biblische Historienbild des französischen Ruinenmalers Hubert Robert (1733-1808) zeigt die Vertreibung der Händler aus dem Tempel. Der Sonderbeauftragte für Hitlers Linzer Museum, Hermann Voss, hatte das außergewöhnliche Gemälde im Mai 1944 über die Chemnitzer Kunsthandlung Gerstenberger für 36 000 Reichsmark erworben. Der Geschäftsführer der Galerie hatte es bei einer seiner vielen Geschäftsreisen nach Paris gekauft. Über den Vorbesitzer wissen die Forscher bis heute nichts.

Das Gemälde wurde von den Französischen Behörden nicht als gestohlen gemeldet. Da aber alle Handelstransaktionen während der Besatzungszeit danach für null und nicht erklärt worden waren, hätte das Werk nach dem Krieg an Frankreich zurückgegeben werden müssen. Wäre es denn nicht aus dem Depot im "Führerbau" verschwunden.

Auch dieses Kunstwerk wanderte - so Klingens Recherchen - über den Münchner Kunstmarkt zunächst zu einem Münchner Sammler. 1961 machte das englische Fachblatt Burlington Magazine auf das Werk aus der Sammlung Gunter Scharnowski aufmerksam. Der kurze Artikel erweckte die Aufmerksamkeit eines Kunstexperten, der das Werk bestens kannte, hatte er es doch für Hitler inventarisiert: Robert Oertel war als Kustos der Dresdner Gemäldegalerie die rechte Hand des Sonderbeauftragten für Linz gewesen. Nach dem Krieg gelang dem Spezialisten für italienische Malerei eine zweite Karriere: Er wurde 1958 Hauptkonservator in der Alten Pinakothek in München und von November 1964 an Direktor der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen in Berlin.

In dieser Position wandte er sich an den Sammler Scharnowski und erwarb das Bild für 80 000 Mark. Dies geht aus den Büchern des Zentralarchivs der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hervor, das von den Recherchen des Zentralinstituts überrascht wurde. Denn eine wirklich gründliche Analyse der Nachkriegsankäufe durch Oertel wurde immer noch nicht geleistet.

Ob im Kunsthandel, in Privatbesitz oder in Museumsdepots: Die geraubten Kunstwerke aus Hitlers "Führerbau" sind offenbar keineswegs verschollen. Mit weiteren Überraschungen ist durchaus zu rechnen.

© SZ vom 20.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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