NS-Geschichte:Der Vater seufzt, die Tochter begreift

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Ein Sammelband mit Aufsätzen, Artikeln und Vorträgen des Historikers Götz Aly.

Von Per Leo

Stellen wir uns den Haushalt eines Professors für Zeitgeschichte vor. Es ist Samstagmorgen, die Familie sitzt am Frühstückstisch, als die vielleicht vierzehnjährige Tochter fragt, wer eigentlich dieser Götz Aly sei. Der Vater schreckt aus seiner Lektüre auf, er sammelt sich kurz, faltet die Zeitung zusammen und fragt dann zurück, warum sie das wissen wolle, betont beiläufig, trotzdem klingt es etwas gereizt. Nun, sie habe sich im Bücherregal der Eltern umgesehen, da stünde ja einiges zur Hitlerzeit, aber beim Rumblättern hätten eigentlich nur Alys Bücher ihre Neugier geweckt. Der Vater seufzt, er kennt das schon von seinen Studenten. Warte, sagt er, verschwindet in seinem Arbeitszimmer und kommt mit einem Buch wieder, das den Titel "Volk ohne Mitte" trägt, einem gerade veröffentlichten Aufsatzband von Götz Aly. Hier, lies das zuerst, da bekommst du einen guten Überblick über seine Arbeit. Was er alles kann, wirst du selbst bemerken, was er alles nicht kann, sage ich dir, wenn du es gelesen hast. Alter Angeber, du bist doch nur neidisch, denkt die Tochter bei sich, um sich dann für den Rest des Wochenendes mit dem Buch auf dem Sofa zu vergraben. Nach zwei Tagen aufmerksamer Lektüre hätte sie vom Nationalsozialismus wohl mehr begriffen, als ihr auch der beste Geschichtsunterricht je vermitteln könnte.

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