NS-Dokumentationszentrum in München:Am Tatort

  • Am 1. Mai eröffnet das NS-Dokumentationszentrum in München. Die SZ setzt sich in mehreren Texten mit der schwierigen Vergangenheit der Stadt auseinander und wirft einen ersten Blick in das neue Haus.
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  • In diesem Text lesen Sie, ob die neue Dauerausstellung an einem Schauplatz des NS-Terrors den hohen Erwartungen gerecht werden kann.

Von Sonja Zekri

Wie konnte das geschehen?, ist eine ziemlich überholte Frage. Es geschah in München so leicht wie überall, zum Beispiel im Juli 1939 im Café Luitpold in der Brienner Straße. Die Damen tragen luftigste Kleider, über ihnen wiegen sich Palmen. Es ist eine Welt voll buttercremesatter Zufriedenheit, und gegenüber, unübersehbar, aber mit feiner Präzision ignoriert, ragt Münchens Gestapo-Zentrale empor.

Kein Unterdrückerregime kann sich ohne Duldung der Unterdrückten halten, nicht aller Unterdrückten, aber doch mehr als jener, die aufbegehren. Jetzt, mehr als siebzig Jahre nach dem Buttercreme-Horror schaut auch München dieser Erkenntnis ins Auge. Und erblickt, nicht weit von der einstigen Gestapo-Zentrale: einen weißen Würfel, Kantenlänge 22,5 Meter, über die Ecken laufen Fensterschlitze wie Kühlrippen, dahinter die Geschichte der Finsternis. München, Hitlers "Mekka", die "Hauptstadt der deutschen Kunst", vor allem aber: die "Hauptstadt der Bewegung", hat mit geschätzten 30 Jahren Verspätung sein NS-Dokumentationszentrum eröffnet. Halleluja.

Tonnenschwer ruht die Erwartung darauf, angehäuft in Epochen des Zwists, der Peinlichkeiten und der Verdrängung. Was kann München bieten, was die Berliner Topographie des Terrors schuldig bleibt, die schwarze Quelle der Gewaltherrschaft? Oder das Dokumentationszentrum auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, wo die Inszenierungskünste der Nazis vorgeführt werden? Wie ergänzt es den Obersalzberg, wo Hitler die Bergkulisse zur Einschüchterung von Gästen nutzte?

Unorte sind keine Gedenkstätten

Zuallererst und wie man später sehen wird: komplizierterweise ist da erst mal - der Ort. Das Zentrum wurde auf dem Gelände der einstigen NSDAP-Parteizentrale errichtet. Das "braune Haus" war das erste Gebäude in der eleganten Maxvorstadt, das die Nazis bezogen, um dann das gesamte Areal um den Königsplatz von Paul Ludwig Troost mit dem klobigem Zwillingspaar aus Führerbau und Verwaltungsgebäude zuzuklotzen und mit seinen Ehrentempeln für Weihe- und Mobilisierungszwecke aufzurüsten. Am Ende umfasste der NS-Verwaltungsbezirk 68 Gebäude mit 6000 Angestellten, Ämtern für Volksgesundheit oder Buchbinderei. Und wenn es je Beweise gebraucht hätte, dass das Verbrechen aus dem Schoß eines Karteikastens gekrochen war, dann lagen sie hier.

Orte wie dieser sind immer ein Problem, es sind Tatorte, Unorte, keine KZ-Gedenkstätten, wo sich die Besucher mit dem Leid der Opfer identifizieren können. Am Münchner Königsplatz soll sich niemand identifizieren, und Besucher, die im einstigen Führerbau, der heutigen Musikhochschule mal einen Blick ins Hitlerzimmer werfen wollen, werden abgewiesen.

Verglichen mit der schieren Dimension dieses Viertels wirkt der Platz der Ausstellung bescheiden. Von oben nach unten schreitet der Besucher Stockwerk für Stockwerk die historischen Schichten vom Ersten Weltkrieg bis zur Gegenwart hinab. Und wenn man unten angekommen ist, reibt man sich die Augen: Dafür das ganze Getöse? Diese Schau soll München so absolut unerträglich gewesen sein?

Hitler profitierte von einem großkotzigen, krachledernen bayrischen Isolationismus

München, das legt diese Dauerausstellung kristallklar offen, hat eine besondere Verantwortung. Hier wurde Hitler gefördert, hier hätte er verhindert werden können. In den Schicksalsjahren von 1919 bis 1923 hofierten ihn erste Kreise der Stadt. Die Kunstverleger Hanfstaengl ebneten ihm den Weg in die Unternehmerschaft, das Klavierbauerpaar Bechstein traf ihn bei Besuchen in München und verehrte ihm einen Mercedes mit Chauffeur. Der charmant ungehobelte Newcomer verkehrte mit Künstlern, Intellektuellen und völkischen Wissenschaftlern, wurde geduldet oder gefördert von Politikern und Juristen.

Man muss die Bedeutung der Bierkeller als Brutstätte des deutschen Faschismus nicht überbewerten. Aber zweifellos profitierte Hitler von einem großkotzigen, krachledernen bayrischen Isolationismus, der in der Konfrontation mit Berlin unentwegt neue Nahrung erhielt. Dort die weltoffene Hauptstadt, Symbol für den verhassten Versailler Frieden, für Moderne, Dekadenz und Bolschewismus, hier die "Ordnungszelle Bayern", Magnet für antiliberale, antimoderne, völkische und antisemitische Strömungen aus dem ganzen Land, die sich in einer machtvollen gegenrevolutionären Bewegung wiederfanden.

Was wäre wenn ...?

Das alles legt die Ausstellung mit schönem Gespür für historischen Rhythmus dar. Hitlers Münchner Zeit verlief als Aufstieg in der Waagerechten, es gab Rückschläge, überhaupt sind gerade die Momente größter Schwäche die spannendsten, wenn man sich für eine kurze schmerzliche Sekunde den historischen Konjunktiv erlaubt. Kaum auszudenken, wie die deutsche Geschichte verlaufen wäre, wenn der Hochverratsprozess nach dem verstolperten Marsch auf die Feldherrnhalle nicht vor dem parteiischen Richter Neithardt in München stattgefunden hätte, der den Putschisten "rein vaterländischen Geist" attestierte, sondern vor dem Strafgerichtshof in Leipzig, der den Österreicher Hitler womöglich ausgewiesen hätte.

Was, wenn die Weltwirtschaftskrise ein Jahr später ausgebrochen wäre? Bei den Reichstagswahlen 1928 lag die NSDAP bei 2,6 Prozent, vier Jahre später bei gut 37 Prozent. Zusammen mit den Beispielen jener, die alles taten, um Hitler zu verhindern - Katholiken, Kommunisten, Arbeiter, Frauenrechtlerinnen und, auf einem Ehrenplatz, der gescheiterte Attentäter Georg Elser - fügen sich diese Passagen zum zwingenden und sehr modernen Bild einer vermeidbaren Katastrophe. Aber ist das alles wirklich so neu und unerhört?

Ähnlich ausgewogen moderiert die Ausstellung die folgenden Stationen: den Alltag in Nazi-München mit Café Luitpold und Kollaboration erster Münchner Unternehmen: "Die Kleiderkammer für den braunen Soldaten, für Hitler-Jungen und Hitler-Mädels - Loden Frey". Die Firma Roeckl lieferte Handschuhe für die SS. Sie zeichnet den Weg der Stadt in den Krieg nach. Das Reserve-Polizeibataillon aus München erschießt 72 Geiseln im slowenischen Celje, eine Infanteriedivision aus München ermordet Juden in Weißrussland, Münchner Gebirgsjäger Zivilisten in Griechenland, Münchner Polizisten deportierten und liquidierten. Und der Münchner Josef Kramer war ab Mai 1944 Lagerkommandant in Auschwitz.

Hitler und Schwarz auf dem Balkon des Braunen Hauses, 1933

Adolf Hitler mit Reichsschatzmeister Frank Xaver Schwarz auf dem Balkon des Braunen Hauses in München (1933)

(Foto: SZ Photo)

Man müsse einordnen, rationalisieren

All diese Ungeheuerlichkeiten präsentiert die Ausstellung mit Fotowänden und Dokumenten, Gesetzen, Aktenauszügen, Stadtplänen und einem Minimum an Grausamkeiten. Realien, echte Objekte fehlen, denn dieser Unort soll nicht zur Pilgerstätte werden oder zur schaurigen Devotionalienrevue, das ist dem Leiter der Zentrums, Winfried Nerdinger, oberstes Anliegen. Man müsse einordnen, rationalisieren.

Nur lässt sich die größte Realie eben nicht ersetzen, denn sie ist der Ort selbst. Und die Architekten Georg Scheel Wetzel haben ihren weißen Kubus ja sogar an allen Seiten aufgeschlitzt und den vergifteten Raum hineingelassen. Das Aufeinandertreffen dieser negativ aufgeladenen Architektur mit den entschlossenen Distanzierungsbemühungen aber führt zu einer eigenartig verkrampften, wenn auch aufschlussreichen Dynamik.

So blick man durch ein Fenster hinaus auf die Musikhochschule, den ehemaligen Führerbau, und eine Leinwand zeigt die Unterzeichnung des Münchner Abkommens 1938 eben dort. Aber das Video hat keinen Ton. Und darunter, auf einem anderen Bildschirm, laufen Szenen über die frühe Nachkriegsnutzung des Gebäudes, die Demokratieschulungen, "Reeducation", im Amerika-Haus. Gleich daneben führt der Blick auf den freigelegten Sockel des NS-Ehrentempels, oben laufen stumm NS-Aufmärsche, darunter die Nachkriegsnutzung.

Zum Schluss ein Foto, auf dem Neonazis Totenwache für Rudolf Heß halten

Und je länger man dieses Spannungsverhältnis zwischen vergeblichen Neutralisierungsanstrengungen und Ort wirken lässt, desto mehr drängt sich die Frage auf, ob man das Dilemma nicht hätte produktiv nutzen können. Denn der Abstand zwischen dem schuldhaften Damals und dem herrlich unbelasteten Heute wächst. Opfer und Täter sterben dahin, das Gedenken wird komfortabler und keimfreier.

Die kontrollierte Konfrontation mit der Verführungskraft solcher Regimes, und sei es durch ihre Überwältigungsbauten, könnte möglicherweise mehr dazu beitragen, jungen Leuten die Anfälligkeit des Menschen vor Augen zu führen, als die solide, aber am Ende pädagogisch strangulierend eng geführte Ausstellung. Sie widmet die zweite Hälfte der Nachkriegszeit, der geschichtsvergessenen Umwidmung Münchens als "Weltstadt mit Herz", der Empörung über die Verdrängung, dem Ringen um ein NS-Dokumentationszentrum.

Zum Schluss sieht man ein Foto, auf dem Neonazis an der Feldherrnhalle 1987 eine Totenwache für Rudolf Heß halten. Und gegenüber, genauso groß, das Bild einer Lichterkette für Frieden und Toleranz. So sieht moralisches Vollkasko aus.

Und draußen, vor dieser Ausstellung, die München bitter nötig hat, aber die der deutschen Erinnerungslandschaft wenig Umstürzendes hinzufügt, hoppeln über den kontaminierten Boden provozierend unbeschwert - drei Hasen.

Der Katalog (624 Seiten, Beck) kostet 38 Euro.

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