NS-Ausstellungen im Haus der Kunst:Hitlers Kunstschergen

Austreibung der Dämonen: Münchner Forscher erforschen und bewerten NS-Ausstellungen im Haus der Kunst neu. Und schon ist der Mythos der Propagandakunst dahin, denn was "deutsche Kunst" ist, wussten die Nazis selbst nicht.

Franz Kotteder

Am Schluss seines Vortrags kann sich der Kunsthistoriker Ralf Peters eines Stoßseufzers nicht erwehren. "Ich hätte mich auch lieber mit der Armory Show 1913 oder der Documenta 5 beschäftigt", sagt er, "aber: That's life!" Stattdessen haben Peters, sein Kollege Stephan Klingen und weitere Mitarbeiter des Münchner Zentralinstituts für Kunstgeschichte gut zwei Jahre damit verbracht, die "Großen Deutschen Kunstausstellungen" der Jahre 1937 bis 1944 im Münchner Haus der Kunst nahezu vollständig in die Internet-Datenbank gdk-research.de zu übertragen.

Hitler und Goebbels bei Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung

Adolf Hitler und Joseph Goebbels bei Eröffnung der Großen Deutschen Kunstausstellung im Haus der Deutschen Kunst in München am 16. Juli 1939.

(Foto: Scherl)

Sie basiert auf einem digitalisierten Konvolut von sechs Fotoalben aus dem Archiv des Zentralinstituts, welche die einzelnen Großen Kunstausstellungen akribisch dokumentieren. Ergänzt wird dieser Grundstock durch Bestände des Historischen Archivs im Haus der Kunst und des Deutschen Historischen Museums Berlin. Eine Tagung zur Freischaltung der Plattform befasste sich am vergangenen Donnerstag und Freitag mit der Frage, was von dem neuen Werkzeug für die Forschung zu erwarten sei. Vor allem gleich zu Anfang einige Anstrengungen, denn 24 Vorträge an einem Abend und dem folgenden Tag - das war ein recht ambitioniertes Programm.

Christian Fuhrmeister und Iris Lauterbach von der Projektleitung rechnen vor allem mit einer fortschreitenden "Entmystifizierung" von Nazi-Kunst. Lange Zeit galt ja die Auffassung, man dürfe die Propagandawerke nicht zeigen. So, als ob man alleine schon durch das Betrachten von Nazi-Kitsch zum Rechtsextremen werden könnte, quasi von einem Dämon befallen würde. Heute, gut 70 Jahre später, wird dieser Dämon endgültig ausgetrieben, so scheint es. Man tut sich offenbar leichter festzustellen, dass des Kaisers neue Kleider nie welche gewesen sind. Und dass im Falle der Kunst das Böse oft nicht nur banal, sondern geradezu lächerlich daherkommt. Man muss sich dazu nur einmal Adolf Zieglers Triptychon "Die vier Elemente" mit vier Frauenakten, von 1937 an eine der Ikonen der Nazi-Kunstpropaganda, ansehen: Da stimmt in der Perspektive nichts, Ziegler hat schon die Fluchtpunkte völlig versemmelt, was dem ganzen Weihe-Pathos etwas Komisches verleiht.

Ähnlich muss man wohl die "Große Deutsche Kunstausstellung", von der Nazi-Führung zur alljährlichen Propaganda- und Leistungsschau hochstilisiert, neu bewerten. Denn die übergroße Mehrzahl der 12 550 dort ausgestellten Exponate bestehe aus weitgehend unpolitischer Landschafts- und Genremalerei, Tierdarstellungen und Porträts, so Lauterbach und Fuhrmeister vom Zentralinstitut. Bislang waren nur etwa zehn Prozent der ausgestellten Werke bekannt, durch die neue Datenbank werden nun auch die übrigen Exponate zugänglich. Bei der Durchsicht wirken die reinen Propagandawerke manchmal beinahe wie aufgepfropft. Wohingegen die weniger plakative Nazi-Kunst eingebettet zu sein scheint in einen damals breiten gesellschaftlichen Konsens über Kunst. Was auch die hohen Besucherzahlen von im Durchschnitt 600 000 pro Jahr erklären könnte. So war das Haus der Deutschen Kunst seit seiner Eröffnung 1937 auch als Wirtschaftsunternehmen erfolgreich, wie Sabine Brantl vom Historischen Archiv des heutigen Hauses der Kunst in ihrem Tagungsbeitrag ausführte.

Rechtes Chaos bei den Kunstschergen

Auf der Tagung im Zentralinstitut für Kunstgeschichte, selbst untergebracht in veritabler Nazi-Architektur, nämlich dem ehemaligen NSDAP-Verwaltungsbau von Paul Ludwig Troost, der auch das Haus der Kunst entworfen hat, begann James van Dyke von der Columbia University, Missouri, mit der Austreibung der Dämonen. Während die Idee der großen Salon-Ausstellungen in den dreißiger Jahren eigentlich schon überholt gewesen sei und "der Kunstmarkt vom Kunsthandel übernommen wurde", hielten die Nazis daran fest, um gewissermaßen das Kunstproletariat in Lohn und Brot zu setzen: "Der kleinen Gruppe staatlich geförderter Künstler stand ja eine breite Masse von Künstlern gegenüber, die lediglich von den städtischen Wohlfahrtseinrichtungen gefördert wurden."

Die "Große Deutsche" war damit also auch ein sozialpolitisches Instrument zur Befriedung der Künstlerschaft, die ja sonst ständig um Macht und Ansehen des Einzelnen kämpfte, so van Dyke: "Man wollte einfach 13 000 Künstler hinter sich haben." Otto Karl Werckmeister, 77-jähriger Doyen nicht nur jener Kunsthistoriker, die zum Thema "Politische Ikonographie" arbeiten, gab aus dem Publikum heraus zu bedenken, dass das Haus der Kunst ursprünglich gebaut worden war für große Themenausstellungen zur deutschen Kunst vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart und man erst 1936 abrupt auf das Konzept des großen Salons umschwenkte.

Überhaupt schien anfangs ein rechtes Chaos geherrscht zu haben bei Hitlers Kunstschergen. Da wurden 1937 Künstler von einem Tag auf den anderen zu Juroren berufen und zu Jurysitzungen eingeladen, wie etwa Marlies Schmidt von der Universität Wittenberg berichtet. Dann kam zur Endjurierung schließlich der Führer höchstpersönlich, um die Auswahl wutentbrannt wieder umzuwerfen und 80 schon angenommene Werke entfernen zu lassen.

Hitler bestimmte dann den Führerfotografen Heinrich Hoffmann zu seinem persönlichen Geschmackskommissar, und Hoffmann durfte fürderhin die Ausstellung nach dem Motto: "Symmetrie ist die Ästhetik der Kleingeister" gestalten und Kunstwerke hinzufügen und nachbestellen. So entsteht erst mit den Jahren ein halbwegs stringentes, wenn auch bescheidenes Bild von erwünschter deutscher Gegenwartskunst. 1937 kam es etwa noch zu dem absurden Paradoxon, dass der Bildhauer Rudolf Belling auf Einladung der Jury in der "Großen Deutschen" ausstellte und gleichzeitig in der Hetzschau "Entartete Künstler" hundert Meter weiter im Hofgarten als "artfremd" verfemt wurde. Christian Fuhrmeister vom Münchner Zentralinstitut kommt zu dem Schluss: "Die Vorstellung von einem einheitlichen Kanon an NS-Kunst ist nur eine Behauptung, die nicht eingelöst wird."

Es klafften nationalsozialistischer Anspruch und Wirklichkeit also oft weit auseinander. Auch, was die kaum vorhandene Wahrnehmung der Ausstellungen im Ausland angeht, ja generell ihre Wirkung. So wurden in acht Jahren zwar Verkäufe für fast 13 Millionen Reichsmark getätigt. Die aber überwiegend von der Parteiführung, allein Hitler erwarb Kunst für 6,8 Millionen Reichsmark. Breitenwirkung sieht anders aus, die erreichten am ehesten noch die 450 000 Postkarten, die Führerfotograf Heinrich Hoffmann in seinem Verlag zur "Großen Deutschen" herausbrachte. Dessen Einfluss auf die Bildsprache der NS-Zeit war offenbar noch größer, als bisher angenommen wurde. Auch das ist ein Aspekt des Themas, der mit dem Werkzeug der neuen Datenbank endlich angegangen werden kann.

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