Aufbau zerstörter Kulturgüter:Notre-Dame vor der kulturellen Traumabewältigung

Von der Dresdner Frauenkirche bis zum One World Trade Center: Wie unterschiedlich zerstörte Kulturgüter wieder aufgebaut wurden.

Von Carolin Gasteiger

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Quelle: AFP

Altes wiederherstellen oder aus den Trümmern Modernes schaffen? Vor dieser Frage stehen die Verantwortlichen nach dem Brand von Notre-Dame. Der Wunsch vieler Franzosen dürfte sein, alles möglichst vollständig wiederherzustellen. Aber die Kathedrale wird nach dem Feuer nicht dieselbe sein wie vorher. Allein, weil die Steine, die heute geschlagen werden, anders aussehen würden als die, an denen ein Steinmetz im Mittelalter saß, wie Bauhistorikerin Elke Nagel der SZ sagte.

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Frauenkirche in Dresden

Brandschutz: Kaum Holz in Dresdner Frauenkirche verbaut

Quelle: dpa

Als Vorbild könnte hier womöglich Dresden dienen. Bereits mehr als 40 Jahre lang lagen die Trümmer der Frauenkirche herum, als die Stadt zu debattieren anfing, was damit geschehen soll. Manche, wie der damalige Senator Günther Behnisch, wollten den Trümmerberg als Mahnmal an den Zweiten Weltkrieg bewahren. Vor allem ältere Menschen wünschten sich das Herz Dresdens zurück und forderten, die Kirche wieder aufzubauen. Man entschied sich für eine "archäologische Rekonstruktion", wie es Thomas Gottschlich nennt. Man wollte den Zustand nicht von 1945, sondern von der ursprünglichen Barockkirche wiederherstellen. Der Architekt betreute im Team um Eberhard Burger den Wiederaufbau der Frauenkirche und erinnert sich der SZ gegenüber an das Dilemma, wie viel man alt lässt und wie viel Modernes man hinzufügt. Alles entscheidend ist Gottschlich zufolge, ein gemeinsames Ziel zu identifizieren - und dieses Vorhaben bis ins kleinste Detail durchzuexerzieren. Allein diese Entscheidungsfindung dauerte in Dresden sieben Jahre. Frankreichs Präsident Macron setzte die Rekonstruktion von Notre-Dame auf fünf Jahre an. Auch wenn der Brand von Notre-Dame nach bisherigem Sachstand nicht politisch motiviert gewesen war, sei es zu überlegen, inwieweit man den Brand thematisiere, um zu zeigen, dass die wiederaufgebaute Kathedrale eben nicht die ursprüngliche ist, so Gottschlich.

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L'Aquila

Aquila erinnert an Erdbeben vor einem Jahr

Quelle: dpa

Ihre eingestürzte Kuppel wurde vor zehn Jahren zum Symbol des schweren Erdbebens im italienischen L'Aquila. Die Kirche Santa Maria del Suffragio war Anfang des 18. Jahrhunderts schon auf den Erdbebentrümmern einer früheren Kapelle entstanden. Beim Wiederaufbau, der nur mit finanzieller Hilfe aus Frankreich gelang, bemühten sich die Verantwortlichen, die besondere klassizistische Kuppel und die neo-borromistische Fassade zu erhalten, aber den Bau auch erdbebensicherer zu machen. Grundsätzlich folgen die Italiener bei Rekonstruktionen, ob beim eingestürzten Campanile auf dem Markusplatz in Venedig oder beim ausgebrannten Opernhaus "La Fenice", dem Mantra: "Com'era, dov'era", "Wie es war, wo es war" und verfolgen damit eine sehr konservative Wiederaufbaumentalität.

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Turiner Dom

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Quelle: AP

"Gott hat mir die Kraft gegeben, das Glas zu zerschlagen", berichtete Mario Trematore nach seinem Einsatz. Der Feuerwehrmann konnte beim Brand im Turiner Dom 1997 das weltbekannte Grabtuch Christi, eine der kostbarsten Reliquien des Christentums, aus den Flammen retten. Ähnlich wie in Notre-Dame brach das Feuer in der Kathedrale aus, als die Restaurierungsarbeiten fast abgeschlossen waren. Als die an den Dom angrenzende Guarini-Kapelle, in der das Grabtuch aufbewahrt war, wiedereröffnet wurde, sprach Kulturminister Alberto Bonisoli von der kulturgeschichtlich "bedeutendsten Restaurierungsarbeit des Jahrhunderts".

Die Grabtuch-Kapelle war zwischen 1667 und 1690 von Guarino Guarini gebaut worden. Originalskizzen fehlten ebenso wie der schwarze Marmor, den der Architekt verwendet hatte. Viele unterschiedliche Institutionen, darunter die Universität von Turin, versuchten, die Techniken zu identifizieren, die Guarini verwendet hatte, und zu analysieren, welche modernen Pendants man anwenden könnte. Der damalige Bürgermeister Valentino Castellani sagte wohl auch deshalb nach dem Brand von Notre-Dame der APA: "Notre-Dame wird wieder auferstehen, wie es mit dem Turiner Dom geschehen ist. Wichtig ist der Zusammenhalt der Gemeinschaft. Die besten Energien auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene müssen sich vereinen, damit die Kathedrale so schnell wie möglich wieder errichtet werden kann."

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Welterbe in Nepal

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Quelle: AFP

Mit dem wulstigen Slogan "Build back better" widmete sich die nepalesische Regierung 2015 den Aufräumarbeiten. Zwei verheerende Erdbeben hatten die Unesco-Königsstädte Kathmandu, Bhaktapur und Patan verwüstet. Zehn Jahre waren für den Wiederaufbau angesetzt, aber es scheint schon jetzt, als dauere es länger. Bürokratie, ausländische Spekulanten, unerfahrene Handwerker vor Ort und Mentalitätskonflikte verzögern die Arbeiten. In Nepal treffen sehr unterschiedliche Interessen aufeinander, die nur schwer zu vereinen sind und zu Lasten der Rekonstruktion gehen. Erdbeben werden eher als Schicksal und unausweichlich empfunden. Das Bewahren von Altem ist vielen entsprechend weniger wichtig. Risse in den Tempeln werden deshalb eher notdürftigt kaschiert. "Ich habe schon einige Baustellen geschlossen, weil sie dort mit Beton und Zement gearbeitet haben", sagte Christian Manhart, der das Unesco-Büro in Kathmandu leitet, etwa der Welt. "Damit mache ich mir natürlich keine Freunde."

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One World Trade Center

One World Observatory

Quelle: dpa

Manche (vor allem Youtube) fühlten sich beim Brand von Notre-Dame an das größte Trauma der amerikanischen Gegenwart erinnert: die Anschläge vom 11. September 2001. Auch deren Aufarbeitung dauerte. Die Amerikaner schwankten zwischen Gedenken an die Terroranschläge und einem radikalen Neuanfang. Die Lösung lag in der Mitte. Fünf Jahre lang klaffte "Ground Zero" in New Yorks Innenstadt, acht weitere Jahre dauerten die Bauarbeiten für das One World Trade Center. Oberstes Ziel und Botschaft an die Welt zugleich war Traumabewältigung. Und: Symbole, Symbole, Symbole. Der Turm ist wie der frühere Nordturm benannt, was zugleich die Adresse des Gebäudes ist und seine Höhe misst geschichtsträchtige 1776 Fuß. Zur kollektiven Traumabwältigung gehört auch die Gedenkstätte, die am 10. Jahrestag der Terroranschläge eröffnet wurde.

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Palmyra

FILE PHOTO: Syrian army soldiers drive past the Arch of Triumph in the historic city of Palmyra, in Homs Governorate

Quelle: REUTERS

Die Kämpfe von Rebellen und Regierungstruppen fanden vor historischer Kulisse statt: Im Mai 2015 eroberten die Terroristen des sogenannten Islamischen Staats die Oasenstadt Palmyra und zerstörten bald zahlreiche der antiken Bauwerke, darunter den Tempel des Baal, den Tempel des Baal-Shamin und den Triumphbogen. Die Welt musste mit ansehen, wie historische Stätten des Nahen Ostens, Unesco-Welterbe vernichtet wurden. Zwar soll der IS russischen Informationen zufolge die Stadt geräumt haben, aber die Kulturgüter sind verloren. Viele junge Syrer sind in den Westen geflohen, um Archäologie oder Restaurierung zu studieren. Gut ausgebildet wollen sie in ihre Heimat zurückkehren um deren Kulturerbe zu rekonstruieren. Aber solange die politische Situation in Syrien unklar ist, kann auch ein Wiederaufbau nicht gelingen.

© SZ.de/biaz
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