Süddeutsche Zeitung

Brand von Notre-Dame:Wie soll die Kathedrale in Zukunft aussehen?

Barbara Schock-Werner, die frühere Dombaumeisterin von Köln, koordiniert die deutsche Hilfe für Notre-Dame. Viele wollen beim Wiederaufbau mitmachen - aber vorher sind gewichtige Entscheidungen zu treffen.

Interview von Lena Jakat

Die Architektin und Kunsthistorikerin Barbara Schock-Werner war die erste Frau, die die Dombauhütte Köln leitete. Von 1999 bis 2012 war sie als Dombaumeisterin für den Etat, für die künstlerische und bauliche Gestaltung des Domes verantwortlich. Nach der Brandkatastrophe von Notre-Dame hat die 71-Jährige von Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) den Auftrag bekommen, die deutsche Unterstützung für Paris zu koordinieren.

Frau Schock-Werner, wie viele Hilfsangebote sind bei Ihnen schon eingegangen?

Barbara Schock-Werner: Das Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz, mit dem ich die Angebote zusammen koordiniere, und ich haben bisher eine Handvoll Anfragen bekommen. Heute Morgen hat mich ein arbeitsloser Steinmetz angerufen, der mitarbeiten wollte, aus Sachsen haben sich Industriekletterer gemeldet. Menschen bieten handwerkliche Fähigkeiten an, Beratung, aber auch Materialien, zum Beispiel abgelagerte Eichenhölzer. Uns ist bei aller Hilfsbereitschaft wichtig, dass Frankreich nicht mit vielen einzelnen, auch ungeprüften Angeboten überrannt wird.

Bei welchen Fachkräften sehen Sie den größten Bedarf?

Noch weiß man ja nicht, was an Steinwerk kaputt ist. Wenn viel Steinwerk ausgeglüht ist, die innere Struktur der Steine also so zerstört ist, dass sie ausgetauscht werden müssen, dann braucht man vermutlich eine ganze Menge Steinmetze. Aber da müssen jetzt erst einmal langfristige Untersuchungen angestellt werden, die sind nicht so schnell gemacht.

Die Präsidentin der Architektenvereinigung für historische Gebäude, Charlotte Huber, hat angekündigt, dass Notre-Dame jetzt eine Art "großen Regenschirm" bekommen soll.

Das ist auch das erste, das ich gemacht hätte: ein großes, provisorisches, leichtes Schutzdach über das Ganze zu spannen. Diese Kirche hat ja nicht nur einen Brandschaden, sie hat auch einen Wasserschaden und muss erst mal trocknen. Unter diesem Schutzdach kann man dann mit den Untersuchungen beginnen - und langfristig auch mit den Wiederherstellungsarbeiten.

Wo setzt man bei der Rekonstruktion zuerst an?

Die erste Frage, die sich stellt, ist: Baut man wieder einen eichernen Dachstuhl oder einen aus Stahl?

Sie haben sich bereits für einen stählernen Dachstuhl ausgesprochen, wie ihn auch der Kölner Dom hat.

Ich würde beide Optionen prüfen. Die Entscheidung ist eine rein französische. Und eine denkmalpflegerische. Die Verantwortlichen müssen sich die Frage stellen: Soll der neue Dachstuhl genauso aussehen wie der alte, der ja eine Mischung aus mittelalterlicher Konstruktion und einer Konstruktion aus dem 19. Jahrhundert war? Oder stellt man die mittelalterliche Variante wieder her?

Gerade mit Blick auf den zerstörten Vierungsturm beginnt nun die Debatte darüber, wie sinnvoll und zeitgemäß eine reine Rekonstruktion ist. Wie stehen Sie dazu?

Der alte Vierungsturm, ein Entwurf von Viollet-le-Duc von 1844, war unglaublich schön. Aber das war ja eine Holzkonstruktion, was man beim Brand nur allzu deutlich sehen konnte. Die Frage ist: Rekonstruiert man etwas sehr Ähnliches, aber aus Metall? Oder macht man tatsächlich den Schritt nach vorne und baut etwas, das ein moderner Architekt entworfen hat? Der Kölner Dombaumeister hat sich in der Nachkriegszeit für eine moderne Neugestaltung des beschädigten Vierungsturms entschieden. Viele Besucher sagen heute: Der ist aber hässlich.

In Frankreich kann man sich wohl auch etwas Modernes vorstellen.

Präsident Macron hat ja dafür plädiert, einen Architektenwettbewerb für den verlorenen Vierungsturm auszurichten. Dabei kommen sicher ganz verrückte Dinge heraus! Man muss sehr sorgfältig prüfen, ob man ein derart fremdes Element hineinbringen will und am Ende müssen die Franzosen entscheiden, wie sie mit dieser Frage umgehen. Notre-Dame ist ja von großer emotionaler Bedeutung für Frankreich. Da saß die Staatsmacht, die Könige, später Napoleon - diese Kirche ist das Herz des ganzen Landes.

Die Brandkatastrophe ist nicht nur den Franzosen nahegegangen, Menschen aus aller Welt zeigten ihre Anteilnahme. Wie haben Sie den Montagabend erlebt?

Ich sah den Brand in den Abendnachrichten im Fernsehen - und war völlig schockiert. Noch während ich guckte, rief schon der WDR an und wollte eine erste Einschätzung. Der Moment, als diese Spitze abknickte und nach unten fiel, war schon sehr dramatisch. Da ist mir das Herz ein bisschen stehen geblieben.

Nicht nur die Anteilnahme, auch die Spendenbereitschaft ist enorm - so groß, dass nun darüber debattiert wird, ob das Geld nicht anderswo besser eingesetzt wäre.

Wenn ein solch berühmtes Bauwerk, ein solches Zeichen zerstört ist, dann geht das den Menschen ans Herz, dann wollen sie helfen. Ich glaube nicht, dass nun weniger Geld für soziale Zwecke gegeben wird - das ist eine andere Ebene. Ich finde es gut, wenn sich Menschen für sinnvolle Zwecke engagieren, was auch immer es genau ist.

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SZ.de/plin/kjan
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