Süddeutsche Zeitung

"Not Fade Away" im Kino:Fernseh-Guru auf Diät

"Not Fade Away" ist das Spielfilmdebüt von "Sopranos"-Erfinder David Chase mit James Gandolfini in einer seiner letzten und schönsten Rollen. Herausgekommen ist eine wilde Liebeserklärung an den Rock'n'Roll und das Kino - und ein Abschiedsgruß an den Serien-Hype.

Von David Steinitz

Ein kurzer Prolog über einen der großen Gründungsmythen des Rock 'n' Roll steht am Anfang des Films "Not Fade Away": Mick Jagger und Keith Richards lernen sich im rumpelnden Zug in London kennen, beschnuppern sich, rauchen eine Zigarette - ein entspannter Urknall. Weil sich Regisseur David Chase aber nicht im Geringsten für Erfolgsgeschichten interessiert, springt er sofort mit diebischer Freude zum Endergebnis dieses Treffens für den Rest der männlichen Welt - die davon träumt, ganz entspannt Rockstar zu werden.

Der Teenager Douglas (John Magaro) steht Mitte der Sechzigerjahre verzweifelt vor dem Schaufenster eines Instrumentengeschäfts in einem kleinen Kaff in New Jersey, weil man seit dem Siegeszug der Stones ohne Schlagzeug oder Gitarre kein hübsches Mädchen mehr küssen kann.

Douglas ist lockig und mager wie Bob Dylan zu seinen besten Greenwich-Village-Zeiten und außerdem das Alter Ego seines Regisseurs. Auch David Chase wuchs in einer Kleinstadt an der Ostküste auf, zog sich in den Sechzigern während eines besonders grauen Winters in die kalte Garage zurück und gründete eine Schrammel-Band, die in verrauchten Kellern vor betrunkenen Kids Buddy Holly und die Stones coverte, um an Mädchen und einen Plattenvertrag zu gelangen. Beides erwies sich als sensationell kompliziert.

Abschiedsgruß an den Serien-Hype

Chase hat deshalb seine Band-Karriere aufgegeben und wurde später als Erfinder der Mafia-Serie "The Sopranos" zum Pionier der neuen amerikanischen Fernsehserien-Kultur. Mit "Not Fade Away" gibt er im zarten Alter von 67 Jahren sein Spielfilmdebüt, und der Film ist nicht nur eine wilde Liebeserklärung an den Rock 'n' Roll, die hübschen Mädchen und das Kino. Er ist vor allem auch ein deutlicher Abschiedsgruß an jenen überdrehten Hype um amerikanische TV-Serien, den er vor bald 15 Jahren selbst ausgelöst hat.

Schon seit Jahren treibt Chase die Trend-Hipster in den Wahnsinn, wenn er in Interviews, in denen seine Gesprächspartner auf Weisheiten vom Meister warten, erzählt, er habe überhaupt keine Zeit, sich "Breaking Bad" und dergleichen anzusehen, weil er ja schließlich auch noch lesen, essen und spazieren gehen müsse.

Und jetzt verzichtet er in "Not Fade Away" rigoros auf den Kern seines "Sopranos"-Erfolgs, der auch zum Erfolgsrezept aller anderen aktuellen Hit-Serien wurde: Auf den bis ins kleinste Detail ausgetüftelten Plot. Auf dem New Yorker Filmfestival, wo er sein Debüt im letzten Jahr vorstellte, verkündete Chase fröhlich, er habe nichts gegen Aristoteles und die Dramentheorie, aber was ihn beim Filmemachen wirklich am wenigsten interessiere, sei die Story.

Chase ist ein Mann mit Humor, und in einer wunderbaren Szene sitzt folglich sein junger Doppelgänger Douglas mit seiner sprunghaften Freundin Grace (Bella Heathcote) fummelnd im Dunkel eines Vorstadtkinos, es läuft Antonionis "Blow Up". Auf der Leinwand schleicht David Hemmings durch das Blätterrauschen des englischen Parks, in dem er einen Mord beobachten wird. Und weil Antonioni sich wesentlich mehr für das Blätterrauschen als für den Mord interessiert, flüstert Douglas seinem Mädchen entsetzt ins Ohr: "Was ist denn das für ein Film?"

So hat Chase gleich selbst vorweggenommen, was viele Serien-Junkies und "Sopranos"-Apologeten zu seinem Langfilmdebüt sagen mögen, das lediglich den Hauch einer Story braucht: Ein paar Kids gründen irgendwo zwischen Kennedys Beerdigung und der ersten Single der Sex Pistols eine Band, mucken in schäbigen Bars, verlieben und streiten sich. Und diese Momente erzählt Chase mit großer Zärtlichkeit. Diese Lust am Moment ist gerade ein ziemlicher Trend unter den großen Serien-Erfindern, die sich nach Jahren, in denen sie sich von Plots und Twists haben beherrschen lassen, wieder danach sehnen, mehr den Bildern zu vertrauen als nur der Geschichte - weshalb sich neben Chase auch diverse andere Serien-Schöpfer eine TV-Diät verordnet haben.

Zum Beispiel Joss Whedon. Der "Buffy"-Erfinder und "Avengers"-Regisseur hat sich kürzlich während einer 200-Millionen-Dollar-Produktion mit einer kleinen No-Budget-Shakespeare-Adaption entspannt. Mit befreundeten Schauspielern hat er in seinem Haus in Santa Monica eine quirlige Westküstenvariante von "Viel Lärm um Nichts" inszeniert, in bester Screwball-Tradition und ohne den üblichen monströsen Apparat. Zwölf Drehtage, winziges Team, keine Stars - im Gegensatz zu seinem "Avengers"-Spektakel bekam der Film lauter gute Kritiken, in Deutschland war er in diesem Sommer auf dem Filmfest München zu sehen.

Oder "Mad Men"-Erfinder Matthew Weiner: Der hat gerade auf dem Festival in Toronto seinen ersten Kinofilm "You Are Here" vorgestellt, eine kleine melancholische Indie-Comedy mit Owen Wilson und Zach Galifianakis. Sein "Not Fade Away" hat sich Chase von Mark Johnson produzieren lassen, dem "Breaking Bad"-Produzenten.

Gandolfini in einer seiner schönsten Rollen

Natürlich ist sich der Filmemacher David Chase, der bei einigen Serienfolgen auch schon Regieerfahrungen gesammelt hat, nicht komplett untreu geworden. Auch "Not Fade Away" spielt, wie die "Sopranos", im italo-amerikanischen Milieu. Und als Douglas' skeptischen Vater, der mit den Rock 'n 'Roll-Eskapaden seines Sohnes vollkommen überfordert ist, hat er die "Sopranos"-Ikone James Gandolfini besetzt, der hier in einer seiner letzten und schönsten Rollen zu sehen ist. Unbeholfen versucht er seinem Sohn bei einem gemeinsamen Abendessen zu vermitteln, dass er nicht nur ein herrisches Vatermonster ist, sondern auch nur ein Kerl, dem die jungen Mädchen früher den Kopf verdreht haben.

Der Film ist ähnlich elliptisch aufgebaut wie die "Sopranos", da Chase nicht viel von langen Erklärungen hält und gerne einfach mal ein halbes Jahr nach vorne springt, mitten in neue Beziehungskonstellationen und Gemütszustände - bis plötzlich das Jahrzehnt vorbei ist. Das beweist einen für Hollywoodverhältnisse erstaunlichen Respekt vor der Intelligenz des Publikums; die Dramaturgieabteilungen der Studios achten sonst peinlich genau darauf, dass Geschichten so verständlich und bekömmlich wie möglich erzählt werden.

Auch beim Soundtrack hat Chase auf einen "Sopranos"-Veteranen vertraut: Steve Van Zandt spielte in der Serie einen Mafioso, war für die Musikauswahl mitverantwortlich und hat auch jetzt wieder für seinen Regisseur kompiliert - Bo Diddley, Lee Hazlewood, Elmore James, die Stones, Einspieler aus der "Twilight Zone".

Bezaubernd ist aber eben vor allem die Nonchalance, mit der sich Chase dem TV-Hamsterrad und dessen Zwang zur rasanten Narration entzieht. Was ihn stattdessen fasziniert, sind die Augenblicke in jenem schmalen Zeitraum des Lebens, in dem man die Zeit vollkommen auf seiner Seite zu haben scheint - ein Urthema des Kinos. Es gibt keine Vergangenheit und auch keine Zukunft, sagt Douglas zu seiner Freundin. Nur das Jetzt.

Not Fade Away, USA 2012 - Regie, Buch: David Chase. Kamera: Eigil Bryld. Schnitt: Sidney Wolinsky. Mit: John Magaro, Jack Huston, Bella Heathcote, James Gandolfini. Paramount, 112 Minuten.

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SZ vom 25.09.2013/ahem
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