Jazzkolumne:Uncool

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Eine durch und durch amerikanische Musik: Norah Jones bei einem Auftritt auf dem Münchner Tollwood Festival 2010. (Foto: Robert Haas/lok)

Vor zwanzig Jahren rettete die Liedermacherin Norah Jones das Jazzlabel Blue Note. Und veränderte mehr in der Musik, als man ihr zugestand.

Von Andrian Kreye

Zwanzig Jahre ist es her, dass die damals 22-jährige Liedermacherin Norah Jones das coolste Jazzlabel aller Zeiten, Blue Note Records, mit dem ausgesprochen uncoolen Album "Come Away With Me" rettete, das nun in einer Jubiläumsausgabe erscheint. Der Mutterkonzern hatte sich damals überlegt, das Label ins Archiv zu verbannen. Blue Note war zwar die Heimat von Thelonious Monk, Herbie Hancock und Lee Morgan gewesen und hatte mit seinen Plattencovern mit den Fotos von Francis Wolff, den Zeichnungen von Andy Warhol und der Typografie von Reid Miles die Bildsprache des Cool geprägt. Um die Jahrtausendwende war das allerdings nur noch Vergangenheit für Liebhaber. Doch dann kamen von Jones drei Millionen verkaufte Alben im ersten Jahr (inzwischen sind es fast 30), acht Grammys, weltweit 20 Nummer-1-Plätze und mit "Don't Know Why" eine richtige Hit-Single. Als sie sich damals im Büro von Blue Note zum Interview traf, waren gerade die Möbelpacker da, weil die Firma in schickere Räume umziehen durfte.

Jetzt kann man es ja zugeben. Man (also ich) fand das Album grauenhaft. Aber da war man (also ich) noch jung, cool und Bürger der notorisch sarkastischen Stadt New York. Um das anekdotisch noch mal auf den Punkt zu bringen: Norah Jones war in dem Sommer Headlinerin eines Festivals am Südzipfel von Manhattan. Im Vorprogramm spielte Robbie Williams. Und dann kam nach einer Stunde Sinatra-haftem Vollgas Jones mit ihren traurigen Klavierakkorden und der unfassbar melancholischen Hauchstimme, die wie ein Seidenschal über die New York Bay wehte. Nach ein paar Takten meinte einer: "O Mann. Da kriege ich Lust, mir die Pulsadern aufzuschneiden." Hahaha. Genau.

Inzwischen sind die Zeiten anders. Über psychische Erkrankungen macht niemand mehr Witze. Ich bin alt, uncool und Bürger der notorisch freundlichen Stadt München. Und Norah Jones? Wird als Liedermacherin immer besser, kommt immer noch in die Charts und hat sehr viel mehr verändert, als nur die Bilanzen ihrer Plattenfirma. Das wird deutlich, wenn man sich die Jubiläumsausgabe von "Come Away With Me" noch mal als Dokument der Mentalitätsgeschichte anhört.

Ein halbes Jahr nach den Anschlägen vom 11. September traf sie einen Zeitgeist

Vor zwanzig Jahren war sie die Erste, die immer wieder betonte, dass das alles eh kein Jazz sei, auch wenn sie gerne Jazzsängerin geworden wäre. "Warum sollte ich Standards singen? Billie Holiday, Sarah Vaughan und Dinah Washington haben das viel besser gebracht", sagte sie damals zwischen den Umzugskisten bei Blue Note. Formal gesehen hatte sie recht. Auf dem Album haucht und perlt und gleitet es dahin, nur swingt nix, groovt nix, und auf der nach oben offenen Skala des Cool liegt das deutlich im Minusbereich.

Im Rückblick ist es sehr viel nachvollziehbarer, warum "Come Away With Me" zur "Lieblingsplatte einer Generation" wurde, wie der Jubiläumspressetext nun behauptet. Wobei man die nicht mit der damaligen Jugend verwechseln darf. Norah Jones hatte vor allem einen Weg gefunden, die Zielgruppe der über 40-Jährigen anzusprechen, für die es damals kaum aktuelle Popmusik gab. Das war aber vor allem die Alterskohorte, die - wie der damalige Blue-Note-Chef Bruce Lundvall witzelte - "noch nicht herausgefunden hat, wie man Musik im Internet klaut". Deswegen der Umsatz.

Norah Jones' "Come Away With Me". (Foto: Blue Note)

Und auch Duke Ellingtons Dogma "It Don't Mean a Thing (If It Aint't Got That Swing)" ist nun mal von 1931. Ellington selbst hatte das längst aufgelöst. Das eigentliche Credo des Jazz formulierte er, als er in einem Interview mit dem Music Journal 1962 sagte: "Es gibt einfach zwei Arten von Musik. Gute Musik und die andere Art." Wie gut Jones 2002 schon war, führen auf der Jubiläumsausgabe vor allem die Demobänder vor, eine Entdeckung vom Kaliber eines "lost album". Muss man (ich) das Urteil von damals revidieren? Auf alle Fälle.

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Da singt sie mal solo, mal in kleiner, akustischer Besetzung mit einer Klarheit und Emotionalität, die ungewöhnlich bleibt. In der Arbeitsweise hatte das sehr viel mehr mit Jazz zu tun als mit dem überproduzierten Pop dieser Zeit (Eminem, Nickelback und Avril Lavigne dominierten damals die Charts). Im Sinne Ellingtons fand sie einen Weg, aus Blues, Folk, Country, Pop und Jazz eine durch und durch amerikanische Musik zu machen, die nicht breitbeinig und cool, sondern verletzlich und melancholisch daherkam. Ein halbes Jahr nach der Zeitenwende der Anschläge vom 11. September traf sie damit einen Zeitgeist, der bis heute anhält. Und der sich nicht zuletzt im Programm von Blue Note widerspiegelt.

Swing und Cool sind inzwischen auch dort nur zwei von vielen Blaupausen des Jazz. Nur wenige haben das so gut verstanden wie der neue Blue-Note-Chef Don Was, der in seinem früheren Leben Rockstar war. Man muss sich nur mal durch die Neuerscheinungen des Frühjahres hören. Da ist Immanuel Wilkins, der auf "The 7th Hand" eine tiefe Spiritualität ergründet, die er als Kind in den afroamerikanischen Kirchen erlebte. Der Ex- Bad-Plus-Pianist Ethan Iverson pflegt auf "Every Note Is True" ein Verständnis von Ästhetik, das eher in den großen Gesten der Filmmusik wurzelt. Der Vibrafonist Joel Ross zelebriert seine Gabe für das Komponieren auf "The Parable of the Poet" in einer Opulenz, die an Charles Mingus erinnert. Der Pianist Gerald Clayton findet auf "Bells On Sand" in der kammermusikalischen Reduktion zu sich. Trombone Shorty wiederum übersetzt die tanzwütige Musik seiner Heimatstadt New Orleans in eine Gegenwart zwischen Blaskapelle, Funk und Rock. Im Juni dann wird der Saxofonist Charles Lloyd mit dem Gitarristen Bill Frisell und dem Bassisten Thomas Morgan die Trioplatte "Chapel" veröffentlichen, in der sie sich dem Hymnischen der Musik widmen. Nein, Cool ist das alles nicht. Aber wer die goldenen Anfangsjahre von Blue Note sucht, kann sich auf einem der vielen Streamingdienste den wunderbaren Dokumentarfilm "It Must Schwing" ansehen. Oder sich die vielen Wiederveröffentlichungen anhören, die Don Was herausbringt. Mit großer Leidenschaft und Swing in all seinen Schattierungen. Ultracool.

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