Norah-Jones-Album "Little Broken Hearts":Bissige Lyrik in Kuschelwatte

Norah Jones versucht sich in ihrem fünften Album "Little Broken Hearts" an neuem Look und neuem Sound. Aber was will sie uns mit ihrer Verwandlung sagen? Will das süße, bittersüße Mädel auch mal verruchtes Luder sein? Einen auf Grunge machen?

Volker Breidecker

Über Norah Jones, die heute 33-jährige amerikanische Musikerin und zwölffache Grammy-Preisträgerin, die als Hauptdarstellerin und Titelsonginterpretin des Films "My Blueberry Nights" ein Mädchen mit gebrochenem Herzen und gewaltigem Hunger nach Blaubeerkuchen mimte, sagte dessen Regisseur Wong Kar Wai, sie habe eine "Kinostimme". Wie ein Kinoplakat aufgemacht ist auch das Cover ihres neuen, ihres fünften Albums, das unter dem Titel "Little Broken Hearts" seit heute im Handel ist: In neuem Outfit, mit verwehtem Haar, das eine Auge verdeckt, und lasziver Miene, die pinkfarbenen Lippen zum Kuss - oder zum Biss? - geöffnet, ist ihr Blick frontal auf den Betrachter gerichtet.

Norah Jones mit verwehtem Haar und lasziver Miene: schön bis zum Einschläfern.

Norah Jones mit verwehtem Haar und lasziver Miene: schön bis zum Einschläfern.

(Foto: Frank W. Ockenfells/EMI)

Der in zittrig konturierten Großbuchstaben gehaltene Schriftzug ihres Namens setzt eine Schreckensnote und untermalt sie durch einen dem Konsonanten "S" entweichenden Tropfen symbolhaft angedeuteter Körperflüssigkeit. Filmgemäß auch läuft unter der Rubrik "starring"- "in den Hauptrollen" - am unteren Rand des Covers ein Schriftband mit den Namen der an dieser Studioproduktion beteiligten Musiker und auch demjenigen ihres Produzenten Brian Burton, alias "Danger Mouse".

Verschmutzte Milch

Das Cover ist freilich das Remake eines Posters, das für einen klassischen Schmuddelfilm warb: Russ Meyers B-Picture "Mudhoney" von 1965 aus dem Genre hypermelodramatischer "Sexploitation"-Filme, die ihre gesuchte Verruchtheit nie so ganz ernst nahmen und daher Kultstatus besitzen: Verspricht das Plakat "von Wollust entwürdigte Leidenschaft" und "einen Film voller Derbheit und Gewalt, aus Lebenssaft geschöpft", so lässt auch der mit "Schmutziger Honig" zu übersetzende Titel keinen Zweifel daran, das seine Wiederaufnahme durch Norah Jones ein verderbtes Spiel treibt mit einem älteren Äquivalent zum Latte Macchiato ihrer Generation, der ja auch nichts besseres verspricht als "Verschmutzte Milch".

Aber was will Norah Jones uns mit ihrer Verwandlung sagen? Will das süße, bittersüße Mädel auch mal verruchtes Luder sein? Einen auf "Grunge" machen, so wie jene Punk-Rock-Band aus Seattle, die sich auch schon einmal "Mudhoney" nannte?

Genudelt, gehaucht, gedoodelt

Die Geschichte, wie es dazu kam, ist auch die Geschichte der Entstehung dieses Concept-Albums, und Norah Jones selbst erzählt sie so: Zwei Monate hatte sie für die Aufnahmen in Brian Burtons Studio in Los Angeles verbracht und an den Wänden dessen Plakatsammlung von Filmen Russ Meyers bewundert. Über der Couch, auf der sie täglich saß, hing das Poster zu "Mudhoney", und das habe sie die ganze Zeit über angestarrt mit dem Gedanken: "That's so cool I want to look like her!" So kam das etwas liederliche neue Outfit zustande, das so gar nicht zu dem gewohnten Bild von der braven Norah als dem bezaubernden Girl von nebenan passen will.

Und zu ihren leisen lyrischen Texten und ihrem sanft und sachte säuselnden Gesang tritt ein brandneuer Sound hinzu: Ob im Stil von Country, Soul, Beat, Bollywood (genudelt), French Pop (gehaucht) oder R & B (gedoodelt) gehalten, sind es Retro-Klänge der Sixties, die die Begleitmusik zu Norah Jones' gewohnt schräger Stimme liefern, mehr aber noch ihren Gesang und ihre zuweilen herbe und bissige Lyrik in kuschelweiche Watte verpacken oder in luftige Klangwolken einlullen.

Ein Film, zu dem man sich die Bilder selbst ausdenken muss

Die Zusammenarbeit der Sängerin und Komponistin mit dem Musiker, Produzenten und DJ Danger Mouse, einem Virtuosen des Samplings und des Mashups - also des Verblendens von Soundschnipseln der unterschiedlichsten Stilrichtungen und Musiktraditionen zu neuartigen Melanges -, reicht schon länger zurück. Erst im vorigen Jahr lieferte Burton gemeinsam mit dem italienischen Komponisten Daniele Luppi auf dem Album "Rome" den kühnen Wurf einer Hommage an Ennio Morricone und die Großzeit der italienischen Filmmusik, wozu Norah Jones auf einigen Tracks ihre Stimme beisteuerte. Der Gesang und die Begleitmusik von "Little Broken Hearts" aber kommt wie aus einem schalldichten, von der Außenwelt durch eine Glaswand getrenntem Aquarium daher.

Es gleicht einem Film, zu dem man sich die Bilder selbst ausdenken muss, unterstützt von den Stichworten der Songs. Und diese stehen hier unter einem einheitlichen Programm, das die Zerrüttung, das Scheitern und den Bruch von Liebesbeziehungen in allen Phasen durchspielt, samt Widersprüchen und Ambivalenzen.

Während Stimme und Gesang aber keine großen Passionen aufkommen lassen und allenfalls zu vermuten ist, dass es unterhalb solch apathischer Übungen in Schmerzreduktion und unterhalb der ruhig gestellten Oberflächen, auf denen es sich immer noch ganz schön groovy singen lässt, um so mächtiger brodeln könnte, setzen der Sound und setzen Burtons Klangteppiche dem ganzen Entpassionierungsspiel die gar nicht so blauen Noten darauf.

Neben Gitarren, Pianos und Sythesizers kommen auch Streicher, Chöre und Cello zum Einsatz. Mit dieser Musik, die schön bis zum Einschläfern ist, ließe sich jede Yogastunde bestreiten. Glaubt man Norah Jones' Selbstkommentaren, so war bei dieser Produktion "mehr Fun als Arbeit" im Spiel, was eine doch etwas naive Auffassung vom künstlerischen Tun birgt. Hier fehlt, so wie in jedem Aquarium, einfach die Schwerkraft, ohne die auch keine Melancholie zu haben ist. Was bleibt, ist allenfalls Melancholia light. Aber es sind ja auch keine großen, sondern lauter kleine Herzen, die hier brechen. Herzschmerzen bleiben da nicht lange zurück, zumal, wenn es auf zwei der besten Tracks dieses Albums heißt: "Out On The Road" und "Travellin' On".

Norah Jones: Little Broken Hearts, EMI/Blue Note Records

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