"Nocturnal Animals" im Kino:Attraktive Albträume

"Nocturnal Animals" im Kino: Und jetzt bitte verführerisch durch die Haare fahren: Tom Ford (rechts) und seine Hauptdarstellerin Amy Adams in der schicken Kulisse von "Nocturnal Animals".

Und jetzt bitte verführerisch durch die Haare fahren: Tom Ford (rechts) und seine Hauptdarstellerin Amy Adams in der schicken Kulisse von "Nocturnal Animals".

(Foto: Merrick Morton/Universal)

In Tom Fords neuem Film "Nocturnal Animals" wird eine Familie auf nächtlicher Landstraße von Hillbillys terrorisiert. Leider bremst der Modedesigner Ford den Thriller-Regisseur Ford aus.

Filmkritik von David Steinitz

Der zweite Spielfilm des amerikanischen Modedesigners Tom Ford heißt "Nocturnal Animals", der bessere Titel wäre jedoch: "Rothaarige Frauen mit unterschiedlich tiefen Ausschnitten erleben blutige Abenteuer".

Die rothaarige Frau Nummer eins hat das größte Dekolleté, und auch wenn das mit der Handlung des Films überhaupt nichts zu tun hat, kann man schwerlich darüber hinwegsehen, weil Tom Ford sich dafür entschieden hat, sie und ihre Brüste aus allen erdenklichen Perspektiven, aber auf jeden Fall in Nahaufnahme zu porträtieren. Susan (Amy Adams) ist eine reiche und erfolgreiche Galeristin in Los Angeles, die sich aber vor der Dekadenz ihrer Weißwein-Vernissage-Welt zu ekeln beginnt.

Weil das Auswählen von brustbetonten Kleidern keine ausreichende Abwechslung bietet, ist sie nicht unglücklich, als sie eines Tages ein Päckchen von ihrem Ex-Mann bekommt, den sie einst im adoleszenten Liebesrausch geheiratet und nach der baldigen Scheidung zwanzig Jahre nicht mehr gesprochen hat.

In diesem Päckchen findet sie ein Romanmanuskript mit dem Titel "Nocturnal Animals", was quasi eine indirekte Widmung des Verflossenen ist, der sie früher immer ein nachtaktives Tier genannt hat, weil sie an einer Schlafstörung leidet.

Susan setzt sich mit einem Glas Wein und ihrer klobigen Nerdbrille ins Bett und beginnt zu lesen, was uns zu den rothaarigen Frauen Nummer zwei und drei bringt, die einen Hauch zugeknöpfter gekleidet sind. Das Buch handelt von einer Familie - Vater, Mutter, Teenager-Tochter -, die in finsterer Nacht mit einem alten Mercedes durch die Wüste fährt. Der Mann konzentriert sich auf die Fahrbahn, während die Frauen mit ihren Fingern an ihren roten Haaren spielen. Im Kopfkino der Leserin Susan, die sich beim Umblättern ebenfalls durch ihre roten Haare fährt, sind die Hauptrollen dieser Geschichte sofort prägnant besetzt: Der Mann am Steuer (Jake Gyllenhaal) sieht aus wie ihr Ex, die Frauen wie leichte Variationen von ihr selbst.

Erotik statt Fäulnis und sublimes Grauen

Deshalb ist Susans Schock umso größer, als die Familie im Buch von ein paar brutalen Hillbillys ausgebremst wird. Sie entführen und misshandeln die Frauen. Der hilflose Mann muss sich verzweifelt auf die Suche nach den geflüchteten Tätern machen, wobei nur ein Kette rauchender Sheriff mit Lungenkrebs im Endstadium gewillt ist, ihm zu helfen. Die Rekonstruktion dieses Verbrechens, und wie die Leserin Susan damit umgeht, sind dann die eigentliche Geschichte des Films.

In der Welt von Tom Ford sehen auch die Hillbillys aus wie überzüchtete Westküstenmodels

Tom Ford, der für seinen zweiten Spielfilm einen Roman des Schriftstellers Austin Wright adaptiert, seziert in "Nocturnal Animals" die sadomasochistische Lust am Voyeurismus. Der Sex und das Blut sollen seine Zuschauer gleichzeitig abstoßen und erregen, genauso wie seine Protagonistin gleichzeitig abgestoßen und erregt ist von ihrer Lektüre. Das Problem dieses Mystery-Thrillers ist aber, dass der Regisseur Tom Ford leider nie am Modedesigner Tom Ford vorbeikommt und sich damit selbst ein Bein stellt.

Ford ist ein ausgezeichneter Filmkenner, er liebt die Coen-Brüder, Stanley Kubrick, Alfred Hitchcock und besonders David Lynch. "Nocturnal Animals" ist eine überdeutliche Hommage an dessen Kinomysterien "Lost Highway" und "Mulholland Drive". Was bei Lynch aber sorgfältig konstruierte Albtraumlabyrinthe sind, ist bei Ford eher eine Aneinanderreihung von Fotoshooting-Sessions für Hochglanzmagazine. Hinter der erotischen Oberfläche lauern bei Lynch immer die Fäulnis und das sublimierte Grauen, bei Ford aber nur eine weitere erotische Oberfläche.

Schon in seinem Kinodebüt "A Single Man" von 2009 sah die Bohème-Welt der Sechzigerjahre in Los Angeles, die er darin porträtierte, etwas zu glattgebürstet aus. In "Nocturnal Animals" wird dieser Inszenierungsstil endgültig absurd. Auch die Hillbilly-Bande, die den letzten White Trash aus dem amerikanischen Hinterland darstellen soll, sieht aus wie verzogene Westküstenmodels in 1000-Dollar-Jeansjacken, die gerade vom Fitnessstudio zum Zähnebleachen joggen.

Dieser Hochglanz-Bazillus scheint gerade umzugehen in Hollywood. Kürzlich startete der Thriller "The Neon Demon" von Nicolas Winding Refn. Darin wollte der Regisseur eigentlich die bösen Untiefen der amerikanischen Model-Industrie zeigen, war wohl allerdings von der Spitzenunterwäsche seiner 18-jährigen Hauptdarstellerin Elle Fanning ein bisschen abgelenkt, weshalb er den angekündigten Abgrund hinter der Fassade leider vergaß. Genauso ist "Nocturnal Animals" weniger ein Film über den Voyeurismus der Zuschauer geworden als über die glatt gebügelten Obsessionen seines Schöpfers.

Nocturnal Animals, USA 2016 - Regie, Buch: Tom Ford. Kamera: Seamus McGarvey. Mit: Amy Adams, Jake Gyllenhaal, Isla Fisher, Ellie Bamber, Michael Shannon, Aaron Taylor-Johnson, Armie Hammer. Universal, 117 Minuten.

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