Nobelpreis für Literatur:Singe in mir, Muse, und sprich durch mich!

Nobelpreisträger Bob Dylan hat tatsächlich nach Stockholm geliefert. Er reicht pünktlich seine 20-minütige Vorlesung bei der Nobelstiftung ein, in der er sich gesungen wie gesprochen literarisch erklärt.

Von Jan Kedves

Da ist sie nun also, die Vorlesung. Bob Dylan musste sie einreichen, um die Nobel-Stiftung in Stockholm nicht noch weiter zu düpieren und das Preisgeld von 820 000 Euro überwiesen zu bekommen. Erst hatte er sie ja ordentlich zappeln lassen, man wusste wochenlang nicht, ob er den Literatur-Nobelpreis, von dem es so oft geheißen hatte, dass er ihn nun endlich bekommen müsse, annehmen würde. Dann hatte er zur Verleihung im Dezember seine Freundin Patti Smith geschickt.

Die Nobel-Statuten sehen vor, dass der Preisträger spätestens sechs Monate nach der Auszeichnung noch eine Vorlesung zu halten oder in schriftlicher oder anders aufgezeichneter Form vorzulegen habe. Eine Vorlesung, die Einblick in seinen persönlichen Zugang zur Literatur erlaubt. Am Samstag wäre diese Deadline verstrichen, et voilà! Auf der Website www.nobelprize.org steht jetzt Dylans halbstündige Literatur-Lehrstunde, oder: Dylans Lektion in straightforwardness.

Geradeaushaftigkeit deswegen, weil er sich zwar eingangs, wohl aus dramaturgischen Gründen, dafür entschuldigt, dass er hier nur auf Umwegen auf Literatur zu sprechen komme. Was dann folgt, ist eine ziemlich stringente Nacherzählung der drei literarischen Werke, die ihn in der Schule am stärksten beeindruckt haben. "Da steckt alles drin: die jüdisch-christliche Bibel, hinduistische Mythen, britische Legenden, Saint George, Perseus, Herkules - sie alle waren Walfänger" (Dylan über "Moby Dick"). "Ich wollte nie wieder einen Kriegsroman lesen und habe es auch nie wieder getan" (Dylan über "Im Westen nichts Neues"). "Rastlose Winde, fröstelnde Winde, unfreundliche Winde" (Dylan über Homers "Odyssee").

So weit, so klassisch. Dylan ist aber recording artist, und deswegen hat er nicht nur den Text geschickt, sondern eine Audio-Datei, aufgezeichnet am Sonntag in Los Angeles. Darin spricht er seine Vorlesung, untermalt von dudeligem Jazz-Bar-Geklimper, selber ein. 27 Minuten und sieben Sekunden herrlich monotones Dylan-Stimmekratzen, das dann gar nicht mehr monoton ist, wenn man in den Kratzsog hineingefunden hat und heraushört, wie Dylan an manchen Stellen darüber nachdenkt, wie er den Worten Nachdruck oder besonderen Ausdruck verleihen könne, etwa indem er sie vielleicht doch sänge, was er dann aber nicht tut, oder vielleicht nur halb. Überhaupt: seine Idiosynkrasien in der Aussprache. Er erzählt, dass er als Junge "ein natürliches Gespür für klassische Balladen und Country-Blues" gehabt habe, den Rest aber "from scratch", von Grund auf, habe lernen müssen. "Scratch" klingt bei ihm so: "skrätz".

Das ist große Unterhaltung, aber noch keine Rechtfertigung. Es ist ja ohnehin eine absurde Idee, dass nun ausgerechnet Dylan erklären solle, warum er zu Camus, Kertész und Jelinek gehört - er hat den Preis ja längst erhalten. Andere haben entschieden, dass er ein großer Literat ist. Er selber insistiert eher auf der grundsätzlichen Verschiedenheit der Genres: "Die Worte in Shakespeares Stücken sind dazu gedacht, auf der Bühne gespielt zu werden. Genauso wie die Texte von Songs zum Singen gedacht sind und nicht dazu, auf Papier gelesen zu werden."

Gralshütern der hohen Literatur wird das wohl zu wenig sein, was soll's: Sie können sich an dem Homer-Stöckchen festhalten, das Dylan ihnen zum Schluss hinhält. Er zitiert Homers Urszene des epischen Erzählens, seine Anrufung der Muse, die eben nicht spricht, sondern singt. So wie Bob? Vielleicht sind gerade Singer-Songwriter die literarisch Geküssten. Gerissen, und auf unterschwellige Art total unbescheiden, dieser Dylan.

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