Nobelpreis für Herta Müller:"Kompromissloser Widerstand"

Herta Müller hat in Stockholm den Nobelpreis für Literatur erhalten. Jury-Mitglied Anders Olsson lobte in der Laudatio ihre sprachliche Energie und ihren unsentimentalen Blick.

Die deutsch-rumänische Schriftstellerin Herta Müller hat den Literaturnobelpreis 2009 für die literarische Verarbeitung des Lebens in der kommunistischen Diktatur in Rumänien überreicht bekommen. Für die Schwedische Akademie sagte Jury-Mitglied Anders Olsson am Donnerstag in seiner Laudatio im Beisein der schwedischen Königsfamilie im Stockholmer Konzerthaus:

Nobelpreis für Herta Müller: Herta Müller nimmt den Nobelpreis von Schwedens König Carl XVI. Gustav in Stockholm entgegen.

Herta Müller nimmt den Nobelpreis von Schwedens König Carl XVI. Gustav in Stockholm entgegen.

(Foto: Foto: reuters)

"Es gibt Literatur, die ihre tieferen Qualitäten erst langsam, Schritt für Schritt offenbart. Und dann gibt es Literatur, die den Leser sofort direkt anspricht und fesselt. Herta Müllers Werk gehört zu letzterer. In ihrer Prosa findet sich eine sprachliche Energie, die uns von Beginn an mit einbezieht. Es steht etwas auf dem Spiel, bei dem es um Leben und Tod geht. Wir spüren das schon an der Temperatur, dem kurzen Atmen, dem markanten Detail, an allem, das angedeutet wird, aber ungesagt bleiben muss.

Diese Energie kommt aus der Weigerung, das zu akzeptieren, was ist. Herta Müller wählt den Widerstand als Methode, dabei dem österreichischen Autor Thomas Bernhard eng verwandt. Aber ihr Werk wurzelt stärker als Bernhards im Selbsterlebten. (...) In Herta Müllers Prosa gibt es keine epische Linie, keinen Handlungsverlauf von Anfang bis Ende. Wenn die Welt zweideutig und undurchschaubar ist, muss die Literatur dem entsprechen und ein trügerisches Ganzheitsbild von ihr geben. Herta Müller hat gesagt, dass nur die erfundene Überraschung uns der Wirklichkeit nahekommen lässt. (...)

Mit unendlichem Einfühlungsvermögen und unsentimentalem Blick setzt sie ihr Gegen-Exil in dem großen Roman "Atemschaukel" (2009) fort, in dem es um die Deportation der Deutsch-Rumänen ab 1945 mit ihrer Zwangsarbeit in der damaligen Sowjetunion geht. (...) Auch hier gelingt es ihr, in stärkerer Abhängigkeit von dokumentarischem Material als vorher, die Anschaulichkeit der Prosa mit der Schockwirkung des poetischen Bildes zu vereinen. (Olsson schloss seinen schwedischen Vortrag in deutscher Sprache ab und wandte sich direkt an die Preisträgerin.)

Liebe Herta Müller. Sie haben großen Mut gehabt und provinzieller Unterdrückung und politischem Terror kompromisslos Widerstand geleistet. Es ist der künstlerische Gehalt dieses Widerstands, für den Sie diesen Preis verdienen. Ihr Werk ist ein Kampf, der weitergeht und weitergehen muss, eine Form des unwiderruflichen Gegen-Exils. Und obwohl Sie gesagt haben, dass Sie das Schreiben vom Schweigen und Verschweigen gelernt haben, haben Sie uns Wörter gegeben, die uns unmittelbar und tief ergreifen - mit dem Schweigen, über dem Schweigen. Ich möchte die wärmsten Glückwünsche der Schwedischen Akademie aussprechen, wenn ich Sie jetzt auffordere, den Nobelpreis für Literatur aus der Hand Seiner Majestät des Königs entgegenzunehmen."

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