Nobelmarken:Unerwünschte Kundschaft

Fußballerfrauen, Neonazis und Soapstars: Wenn Modelabels nicht rechtzeitig steuern, wer ihre Sachen kauft, bekommen sie ein Problem.

Rebecca Casati

Welcher Autor hat seinen Klassiker der Weltliteratur schon im Mode-Milieu angesiedelt? Zwar sieht man ab und an lesende Models in Backstagebereichen sitzen, aber meist hinter einem zerfledderten Bestseller, der von Geishas oder den Intrigen auf Eliteinternaten handelt und in dessen Verfilmung sie sich eine Nebenrolle erhoffen.

Nobelmarken: Victoria Beckham.

Victoria Beckham.

(Foto: Foto: ap)

Dass man Modemagazine lieber durchliest als durchblättert, würden wohl nicht einmal die Macher von Modemagazinen behaupten. Und so weiß man erst seit dem Bestsellererfolg von "The Devil wears Prada", wie unterhaltsam es sein kann, über die Modewelt zu lesen.

Auch das kürzlich erschienene Enthüllungsbuch "Fashion Babylon" - der Ko-Autor heißt vorsorglich "Anonymous" - birst vor hinterhältigen Anekdoten. Und eine davon geht so:

Kostenlose Outfits für Prominente

Vor Jahren, als Tom Ford noch Creativdirektor von Gucci war, stieß er auf ein paar Fotos von Victoria Beckham, die in einem seiner Outfits durch die Gegend stakste.

In großer Sorge ließ er sich mit seiner Londoner PR-Frau verbinden und forderte die sofortige Beendigung dieses ärgerlichen Unfugs, denn natürlich verschickte ein Label wie Gucci schon damals kostenlose Outfits an Prominente. Und an viele eben bewusst nicht - wie an Victoria Beckham.

Die Londoner PR-Frau jedenfalls fand heraus, dass Beckham ihre Sachen in einer Gucci-Boutique kaufte, und das sogar für den vollen Preis, wie jede andere Kundin auch. Woraufhin der Meister sich an den Hals griff und röchelte: "Dann haltet sie ab sofort davon ab!"

Gefahr von Verprollung

Tom Ford war damals einer der Ersten, der erkannte, dass die Dämme des modischen Klassensystems im Begriff waren zu brechen. Der ultimative Albtraum ereilte dann bekanntlich vor einigen Jahren Burberry.

Das etwas eingestaubte Label verprollte, nachdem die Firma ihre Verluste in den Neunzigern mit einer viel zu plakativen Produktstrategie zu kompensieren versucht hatte. Und so musste sich eines der alteingesessensten Labels überhaupt komplett neu erfinden und positionieren.

Die eilends engagierte Managerin Rose Marie Bravo ließ die Karos von den Produkten verschwinden und heuerte erst den Italiener Robert Menichetti und dann den Briten Christopher Bailey als Hausdesigner an.

Heute ist Burberry eines der profitabelsten und respektiertesten Labels der Welt - weil es den Imagewechsel rechtzeitig und drastisch vollzog.

Calvin Klein erholt sich noch von den Achtzigern und Neunzigern, als man das Label mit billigen Sub-Labels einer breiten Öffentlichkeit zugänglich und damit für die High Society unattraktiv gemacht hatte.

Unerwünschte Kundschaft

Versace war nie billig, doch dank seiner goldenen oder glitzernden Omnipräsenz auf Jeans und Gürteln wirkte es in den späten Neunzigern uncool und pompös.

Ähnliches galt für Moschinos riesige Schriftzüge. Und auch Ralph Laurens "Komme-gerade-aus-meinem-Landhaus-auf-Martha"s-Vineyard-Aura" hat unter einer flächendeckenden Vermarktung gelitten.

Kleingärtner oder Gutsbesitzer?

Denn seit jeder überall Ralph Lauren kaufen kann und trägt, lässt sich der Unterschied zwischen einem Kleingärtner und einem Gutsbesitzer von Martha"s Vineyard nicht mehr ausmachen - zumal, wenn beide hübsch gebräunt sind. Gut für den einen, ein sozialer Gau für den anderen.

Und schließlich Dior. Von dem Genie Christian Dior ins Leben gerufen und von John Galliano weitergedreht, lieben das Label mittlerweile alle: Prinzessinnen, Politikerinnen, Supermodels und, ja, eben auch Frauen wie Tatjana Gsell oder das sogenannte Botschaftsluder Djamila Rowe. Dass irgendeine Klientel bald abspringen wird, ist klar.

Bedrohliche Fußballerfrauen

Eine besondere und sehr konkrete Bedrohung für das Image etablierter Luxuslabels stellen die Fußballerfrauen dar, und zwar vornehmlich die britischen. Im Jargon werden sie WAGs genannt, ein Akronym von "Wives and Girlfriends".

Sie gelten als gelangweilt, konkurrenzbewusst, Red-Bull- und modesüchtig. Getreu dem Beispiel Victoria Beckhams sind sie sich keiner Schuld bewusst, wenn am Monatsende die Kreditkartenabrechnung ihrer Männer eintrifft.

Sie sind natürlich ein Segen für die Besitzer von Baden-Badener Sammelboutiquen. Für Luxuslabels können sie, dank ihrer Publikums-wirksamkeit, zum Fluch werden und die Verfalldauer eines Trends in nicht mehr einholbarem Maße beschleunigen.

Sonnen- und Paparazzischutz aus Pythonleder

Bei Chloé beispielsweise musste man diese Erfahrung bereits machen. Die Taschen des Pariser Modehauses wurden vor einigen Jahren so begehrt wie unerreichbar, schon da sie teurer waren als fast alle anderen Taschen.

Dann expandierte Chloé, und die Fußballerfrauen wurden aufmerksam, allen voran die selbstverständlich haar- und nagelverlängerte Alex Garrard, die diesen Sommer ihre Chloe-"Silverado"-Bag aus kostbarem Pythonleder abwechselnd als Sonnen- und Paparazzischutz verwendete. Und plötzlich wirkte die Silverado aus Pythonleder nicht mehr kostbar. Sondern nur noch sehr, sehr teuer.

Unerwünschte Kundschaft

Das Vorgängermodell, die Paddington-Bag von Chloé, gilt heute sogar als noch eindeutigeres Emblem der Neureichen und Balltreter-Gespielinnen. Was man auch daran sieht, dass Frauen wie Sienna Miller, Cate Blanchett oder Nicole Kidman - den Labels als Kundinnen stets willkommen - sie nicht mehr tragen.

Die Paddington-Bag ist an sich eine sehr schöne, stabile, zeitlose Ledertasche in zwei perfekten Größen. Aber sie hat vorne als deutliches Erkennungszeichen ein dickes Schloss mit Schriftzug hängen. Und wer das Schloss nicht gerade abstreifen und die Tasche nurmehr als Behältnis statt als Statement nutzen will, der trägt wahrscheinlich längst eine andere, brandneuere, nicht so leicht zu decodierende.

Wenn das Zeug am Ende der Falsche trägt, ist es eben falsch

Nachdem auf die Weise Chloé zu unliebsamer Beliebtheit gekommen ist, soll nun Stella McCartney im Visier der WAGs sein. Auch weiterhin gefährdet: Missoni, Lanvin, Chanel. Und die rotbesohlten Schuhe von Christian Louboutin. Praktikum in der Savile Row und Ausbildung am St. Martin"s College hin oder her - wenn das Zeug am Ende der Falsche trägt, ist es eben falsch.

Die Firma Fred Perry hat vielleicht das schwerste und unverdienteste Los von allen gezogen. Fred Perry findet man nur an ausgewählten Orten. Und leider auch in einer der Lehrbroschüren, die die Berliner Polizei ihren Auszubildenden gibt.

Unter dem Stichwort "Rechtsextremismus" steht dort auf Seite 23: "Die Bekleidungsstücke der nachfolgenden Firmen und Labels werden bevorzugt von Partisanen der "rechten Szene" getragen." Und eines der Labels ist ein Lorbeerkranz, das Fred-Perry-Logo, das auf das Jahr 1947 zurückdatiert.

Warum Nazis Fred Perry mögen, ist der Firma schleierhaft

Der dreimalige Wimbledon-Gewinner Fred Perry war damals der Ansicht, dass Wimbledon-Spieler auf dem Rasen nichts als Weiß zu tragen hatten, und so stiftete er 1947 den Spielern 75 weiße Polohemden.

Um sich zu revanchieren, ließen die ihm ein Zeichen auf ihre linke Brust sticken: einen Lorbeerkranz, so wie Perry es sich gewünscht hatte. Und als er wenig später eine Firma mit Sportkleidung gründete, führte er den Lorbeerkranz als Logo weiter. Schnell wurde aus der Firma ein Imperium.

Dass heute ausgerechnet deutsche Rechtsextremisten der Ansicht sind, der Lorbeerkranz, der Schnitt der Hemden seien ein idealer Ausdruck ihrer Gesinnung - bei Fred Perry kann man sich das nicht bis ins Detail erklären.

Vielmehr nennt man es "absurd": "Das größte Problem damit haben wir tatsächlich in Deutschland, vor allem in Ostdeutschland." Richtig bewusst sei ihnen das Problem erst, seit ihre deutsche PR-Firma sie darauf aufmerksam gemacht habe. Und, beunruhigt sie das?

Unerwünschte Kundschaft

"Sicher!" Warum geben sie keine Presseerklärung heraus, eine Art Anti-Nazi-Verdikt? Weil man gar nicht erst auf ihre Augenhöhe will: "Wir setzen auf Aufklärung und Werte." Und so redet Richard Martin, Marketingdirektor von Fred Perry, am liebsten über die Geschichte des Labels - die geplante und die ungeplante.

Einmal sind da die Kollaborationen mit Designern wie Comme Des Garçons oder - den richtigen! - Prominenten wie dem Popstar Paul Weller, von dem man weiß, dass er in drei Jahrzehnten und trotz diverser Falltüren wie den Eiscremefarben der Achtziger oder den schwarzledernen Designer-Turnschuhen der Neunziger stilistisch noch nie daneben gelegen hat.

Paul Weller also ist in die Archive gestiegen und mit einem Design für ein eigenes Fred-Perry-Hemd wieder aufgetaucht; von September an wird es eine limitierte Auflage von 1000 Stück geben. Das ist der Fred Perry-Style.

Wie sich einst in England die Mode wandelte

Und dann gibt es natürlich noch die eigentliche Geschichte, die, warum die Menschen heutzutage ganz selbstverständlich Sporthemden tragen, wenn sie in ihre Büros gehen. Die geht auf die späten Fünfziger und frühen Sechziger und natürlich auch auf Fred Perry zurück, vor allem aber auf den originalen Skinhead.

Seine Kultur entstand in den Londoner Arbeitervierteln, wo sich damals gerade die jamaikanischen und westindischen Einwanderer ansiedelten. Die trugen ihre Haare und Ärmel kurz, was in Jamaika Sinn machte und was man in England bis dahin nur aus dem Sport kannte.

Nicht nur schauten die Original-Skinheads sich die kurzhaarige und -ärmlige Mode bei den Schwarzen ab, sie hörten auch ihre Musik - Reggae - und integrierten sie in die Gesellschaft. Bis sich wiederum die Skinhead-Bewegung gabelte. Ein Teil fing an, alles Fremde abzulehnen. Und zu dem Skinhead zu mutieren, den wir heute kennen.

Nazis lesen keinen Hochglanz

Hat es also eine besondere Bewandtnis damit, dass die Fred-Perry-Anzeigenkampagne für den Herbst vor allem dunkle Typen zeigt? "So herum denken wir nicht", sagt Martin, "wir suchen nach Models, mit denen sich die Menschen in Asien, Europa, Amerika gleichermaßen identifizieren können."

Eine Anzeigenkampagne mit einer expliziten, antifaschistischen Symbolik würde wohl auch ihren Zweck verfehlen, zumal der typische deutsche Neonazi nicht nur rasierten Dummschädel trägt, sondern keine Hochglanz- oder Stilmagazine studiert, in denen solche Anzeigen geschaltet werden.

Die Nazis in Ostdeutschland nennt Richards "sowieso unkontrollierbar". So gilt es, den anderen Kunden klarzumachen, dass Fred Perry nichts mit Nazis zu tun haben will, hatte oder je haben wird.

Unerwünschte Kundschaft

Nur ein paar wenige Modemacher und Labels müssen sich um ihren guten Ruf nicht sorgen. Da sind zum einen die Superklassiker von Mulberry, die nie reißerisch genug waren, um die Aufmerksamkeit der Masse zu erregen.

Oder die verzwickt-architektonischen Entwürfe von Balenciaga, in denen eine Fußballspielergattin diesen Herbst die Silhouette eines Borkenkäfers annehmen würde. Und eine Fußballerfrau möchte das noch hunderttausendmal weniger als alle anderen.

Nur wenige sind wirklich resistent

Sich die konstante Bewunderung aller Schichten zu sichern, haben im Grunde nur zwei wirklich geschafft. Der eine ist Roberto Cavalli, dessen Kleider mitunter bei Baby-Prostituierten abgeschaut sein könnten. Aber Cavalli darf das, denn erstens macht er auch andere, zweitens ist er Italiener und drittens trägt er selber sein Hemd bis zum Bauchnabel offen.

Der andere ist Marc Jacobs. Der sucht und betont die Nähe zu amerikanischen Hip-Hop-Stars, die wiederum seit einiger Zeit in Stil und Gebaren kaum mehr von Pornostars zu unterscheiden sind. Zur selben Zeit werden Jacobs" Entwürfe immer asexueller.

Wer von alledem ein wenig pausieren will, hüllt sich in seine neue Herbstmontur: drei bis sieben Lagen Grau-Grün-Braun, unter denen drei Fußballerfrauen und fünf GZSZ-Darstellerinnen verschwinden würden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: