Berliner Clubszene:Wo man alles durfte - und nichts musste

NO PHOTOS ON THE DANCE FLOOR!
Berlin 1989-Today, C/O Berlin

Wäre die Welt entspannter, wenn sie sich ab und zu an die Foto-Politik der Berliner Clubs halten würde? Die Ausstellung im C/O Berlin lässt das jedenfalls vermuten.

(Foto: Carolin Saage)
  • "No Photos on the Dance Floor!" im Berliner Ausstellungshaus C/O Berlin widmet sich der Clubszene der Hauptstadt von den Neunzigern bis in die Nullerjahre.
  • Die Fotoausstellung, in der unter anderem Bilder von Wolfgang Tillmans gezeigt werden, thematisiert ironischerweise auch das strikte Fotografierverbot in den Clubs.
  • Die Ausstellung wird zur Zeitschleife aus den analogen Neunzigern, in denen die Digitalisierung von heute noch fern schien - und dadurch umso kostbarer.

Von Peter Richter

Schön ist es, aber auch ein bisschen sonderbar, wenn sie einem da nun auf einmal wie Fundstücke aus einer archäologischen Grabungsstätte wiederbegegnen, all die Clubmarken und Stammgast-Schlüsselanhänger und Flyer aus dem Berliner Nachtleben der Neunziger- und Nullerjahre. Immerhin waren das ja mal Artefakte eines tendenziell uferlosen, mindestens aber von Freitag bis Montag reichenden Dauer-"Now" mit Erweiterungsoptionen aus beiden Richtungen zum Mittwoch hin: lauter kleine Jetzt-Partikel sozusagen, die alle zusammen mal einen Gegenwartszusammenhang formten, von dem gar nicht so leicht zu sagen ist, wann er eigentlich vorbei war und Geschichte wurde.

Zumal die Ausstellung "No Photos on the Dance Floor!" im Berliner Ausstellungshaus C/O Berlin im weiteren Verlauf deutlich machen will, dass er durchaus weiterhin unbeirrbar vor sich hin wummert. Nur die Orte sind halt jetzt andere geworden, nicht ganz so schrottig, vor allem nicht mehr ganz so mittig. Und der zweite Unterschied ist der, dass heute jeder ein Telefon in der Tasche hat, mit dem er auch im Dunkeln noch Fotos machen kann und im Zweifel zur Beglaubigung des Erlebnisses auf Instagram auch begeistert macht, außer er bekommt vom Einlass die Kamera zugeklebt und wird bei Verstoß gegen das Bilderverbot aus dem Club geschmissen. Denn beides ist eine spezifisch Berliner Spezialität, die etwas von tempelhüterischer Mysterienwahrung haben mag, aber so in etwa verhält sich das ja auch: Die Leute benehmen sich nun einmal anders, freier, wenn sie davon ausgehen dürfen, sich nicht umgehend im Internet wiederfinden zu müssen.

In einer besonders hübsch gebundenen Zeitschleife wird heute also hier ein Habitus weitergepflegt, der aus den analogen Neunzigern herrührt, in denen wiederum auf den heute rührend altmodisch anmutenden Handzetteln zackige Computerschriften mit Euphorie die vollumfängliche Digitalisierung des Lebens schon mal vorsuggerierten, die inzwischen den Bouncern vom Berghain das Leben jedenfalls ein bisschen schwerer macht als damals, wo sie noch vor dem Vorgängerclub Ostgut standen - wobei der schon wegen seiner beeindruckenden Anzahl an Tätowierungen und Piercings berühmteste von ihnen, nämlich Sven Marquardt, nebenher ja selbst ein veritabler Fotokünstler ist, allerdings stets in strengem Oldschool-Schwarz-Weiß.

Tillmanns fotografierte die Gäste oft beim Warten - oder beim Ausruhen am Tag danach

Und ist das etwa nicht das Waschbecken auf dem Klo vom Ostgut da auf dem Foto von Wolfgang Tillmans, der nämlich ganz bezaubernd den Moment gefangen hat, in dem eine warme Morgensonne durch die Fenster fällt und über die verschwitzten Beine eines Knaben leckt, welcher nur in knappem Turnhöschen am Wasserhahn steht? Es könnte im Prinzip auch eine Sportumkleide sein, aber das wäre dann ja auch so ein Foucault'sches Heterotop, in dem Kameras eigentlich nichts zu suchen haben.

Dass die Kamera von Wolfgang Tillmans trotzdem recht oft dabei war, erklärt sich aus der Szenenähe und Qualität dieses Fotografen, aber selbst bei ihm ist es am Ende so, dass er das dionysische Rauschen auf dem dunklen Dancefloor nur näherungsweise ins Bild übersetzen kann. Bestimmender sind auch bei Tillmans am Ende die Außenansichten: Menschen vor dem Club. Beim aufgekratzten Anstehen oder beim Ausruhen im Sonnenlicht des Folgetages.

Romuald Karmakar berichtet, wie schwierig und konfliktiv es war, gleich eine Filmkamera neben dem DJ installieren zu wollen, um nicht nur den Moment, sondern die Dauer ins Bild bekommen. Trotzdem sind auch in den frühen Jahren immer mal wieder Bilder entstanden, die auf die eine oder die andere Weise dieses Oxymoron von einer Fotoausstellung über ein Fotografierverbot doch irgendwie möglich und zu einer hellen Freude machen. Gleich zwei Fotografen haben in unterschiedlichen Jahrzehnten DJs direkt nach ihrem Set porträtiert, wobei einige, die heute populär sind, noch gar nicht geboren waren, als einige von den frühen Helden allmählich ihre Plattenkoffer schon wieder zugemacht hatten.

Da sind Bilderserien von den menschenleeren Locations bei Tag, die meisten davon längst Geschichte. Lang verblichene Namen leuchten plötzlich grell wieder auf: der vom technohistorisch fast schon prähistorischen Club "UFO" zum Beispiel. Oder der Schriftzug vom "Casino", über dessen letztem Standort sich heute die grimmigen Büroburgen eines Versandhändlers erheben.

Vielleicht war das Feiern in Berlin nie besser als in den Neunzigern

Dass früher auch nicht alles besser gewesen sei als heute, ist eine fromme Lüge, die man zwar seinen Kindern erzählen kann zum Trost für all das unwiederbringlich Verpasste. Aber wer die selbst glaubt, lügt sich in die Tasche, dass es kracht, jedenfalls in Berlin, wo nicht nur das Leben, sondern auch das Feiern vielleicht nie besser, freier, einfacher, weil ganz einfach günstiger waren als in den Neunzigern bis frühen Nullern, deshalb ja auch oft genug ins eins fielen und vor allem noch in der Mitte der Stadt stattfinden konnten.

Es ist mit anderen Worten eine ganz schön lange Zeit, die diese Ausstellung im C/O Berlin abbilden will. Genau genommen ist es auch eine dieser Begleitausstellungen zu dreißig Jahren Mauerfall, nur vielleicht die freudvollste von allen. Die Bilder beweisen ja, dass das alles letztlich nicht nur ein großer Spaß, sondern auch ein politischer Aufbruch war: Da teilten sich Ostberliner Ex-Hooligans auf einmal mit den Diven aus der Homosexuellensubkultur von Schöneberg die Ecstasy-Tabletten, und Nerds mit Schlabber-Shirts, Igel-Frisuren und Brillengläsern in Form und Größe von Atari-Bildschirmen schmissen ihre Beine bevorzugt zu englischen Breakbeats mit einem Selbstbewusstsein herum, das die ganze öde alte Dichotomie von Cool und Uncool zu etwas machte, das längst zurückgelassenen Galaxien angehörte, sagen wir: Hamburg oder München.

Dass hier beim Ausgehen alle im Prinzip aussehen konnten, wie sie wollten, solange sie nicht ausgerechnet aussahen, als wollten sie in eine Disco, war aber natürlich nur der eine Teil des Geheimnisses. Der andere bestand immer auch darin, dass es in den Berliner Clubs eher um die Location, die Musik und das Tanzen ging als um die Anbahnung späteren Geschlechtsverkehrs. Sondern allenfalls um sofortigen. "Zu dir oder zu mir?" - "Och, gleich hier", hatten sie einmal auf eine der Postkarten gedruckt, die man damals am Ausgang vom Ostgut mitnehmen konnte und die jetzt hier wieder in einer großen Vitrine auftauchen. Auf einer anderen steht einfach nur: "Mut zur Utopie".

Diese Einladung wurde von Anfang an zwar bevorzugt, aber eben ausdrücklich auch nicht nur von Homosexuellen gerne angenommen. Neben allem anderen ist es nämlich offensichtlich bis heute nicht zuletzt auch der Aspekt der nach allen Seiten offenen Libertinage, der nicht nur die Berliner Clubszene immer noch gut am Leben hält, sondern auch die strikte Foto-Politik, die aus guten Gründen dort notwendig scheint, wo im Prinzip alles gedurft und nichts gemusst wird. Wobei das auch schade ist. Denn wenn die Welt da draußen sich häufiger mal ein Beispiel nehmen könnte an der fried- und lustvollen da drinnen, wäre sie mit Sicherheit eine sehr viel angenehmere.

"No Photos on the Dance Floor! Berlin 1989 - Today". C/O Berlin. Bis 30.11.2019.

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