Nicolas Chamforts vollständige Aphorismen:Die Sache mit der Liebe und dem Rauch

Nicolas Chamforts vollständige Aphorismen: "Die Hoffnung ist nur ein Scharlatan, der uns immerfort täuscht, und für mich begann das Glück erst, als ich sie verlor": Nicolas Chamfort.

"Die Hoffnung ist nur ein Scharlatan, der uns immerfort täuscht, und für mich begann das Glück erst, als ich sie verlor": Nicolas Chamfort.

(Foto: Leemage/Imago)

Albert Camus nannte ihn den "Moralisten der Revolte", Nietzsche fand, er sei der witzigste unter ihnen, als Frauenverächter macht ihm so leicht keiner etwas vor: Nicolas Chamforts Aphorismen liegen jetzt vollständig vor.

Von Joseph Hanimann

Auch das witzig gesellige achtzehnte Jahrhundert brachte in Paris ein paar Schwarzseher, Neinsager und Menschenverächter hervor. Einer von ihnen war Sébastien-Roch Nicolas Chamfort. 1740 mutmaßlich als Sohn eines Domherrn und einer Adeligen geboren, in Clermont-Ferrand im Haus eines Krämers aufgewachsen, vierundzwanzigjährig unter dem Namen de Chamfort Erfolgsautor in Paris, Salonlöwe, Frauenliebling, Einzelgänger von grenzenlosem Freiheitsverlangen, undankbarer Günstling der Adelsgesellschaft, dann Sympathisant der Revolution und schließlich unter der Schreckensherrschaft 1794 Selbstmörder: Schon die Biografie macht diesen Wiedergänger zwischen den Epochen interessant. Sätze wie "Leben ist eine Krankheit, von der uns der Schlaf alle sechzehn Stunden erleichtert, das Heilmittel ist der Tod" sind von Cioranscher Schwärze.

So sehr dieser gestrauchelte Gesellschaftsmensch in seinen Schriften den Rückzug und die Seelenruhe in der Einsamkeit empfahl, so wenig nimmt man ihm persönlich das ab. In die Literatur eingegangen ist er, dem Voltaire in jungen Jahren voraussagte, er würde es weit bringen, nicht mit seinen Jugenddramen und akademischen Reden, sondern mit seinen erst postum veröffentlichten "Maximen und Gedanken, Charakterbildern und Anekdoten". Man erkennt in ihm gern einen Nachzügler der französischen Moralphilosophen des 17. Jahrhunderts, La Bruyère, La Rochefoucauld. Doch war sein Temperament zu verworren und zu sehr ins Gesellschaftsleben verstrickt, als dass er aus kontemplativer Distanz einfach sprachlich geschliffene Lebensweisheiten hätte von sich geben können. Nietzsche sah in ihm den witzigsten aller Moralisten, "düster, leidend, glühend" zwar, aber einen, "der das Lachen als das Heilmittel gegen das Leben nötig fand". Der französische Literaturkritiker Sainte-Beuve hingegen deutete 1851 seine Gedankenschnipsel aus einem tief empfundenen gesellschaftlichen Ressentiment.

Die nach Chamforts Tod aufgetauchten Aphorismen machen wohl nur einen Teil der über Jahrzehnte hin auf lose Zettel notierten Aufzeichnungen aus. Der Rest gilt als verloren. Ein Freund des Autors hat das Erhaltene thematisch geordnet, durchnummeriert und 1795 ediert. Weitere Editionen mit neu aufgetauchten Fragmenten sind seither erschienen, auch auf Deutsch. Dank einer aktuellen Ausgabe liegt nun alles vor, was an Aphorismen von Chamfort bekannt ist. Und es lohnt sich, diesem radikalen Konventionsbrecher, über den Matthes & Seitz schon seit 2007 die lesenswerte Biografie von Claude Arnaud unter dem Titel "Chamfort - Die Frauen, der Adel und die Revolution" anbietet, auf den gewundenen Wegen seines Denkens über Vernunft und Leidenschaften, über Liebe, Freundschaft, Verstellung und Eitelkeiten, sprich: über die schrille Komik der Menschen in der Gesellschaft zu folgen.

Seine Geringschätzung der Menschen überbot er mit der für die Frauen

Die Tücke der philosophischen Menschenverachtung liegt darin, dass sie im Kontakt mit persönlichen Erfahrungen leicht zum Groll vergärt. Chamfort war dagegen nicht gefeit, etwa in Bezug auf die Frauen. Zwar hat er sich mit dem Aphorismus, die beste Philosophie bezüglich der Welt sei es, gegenüber dieser den Sarkasmus der Heiterkeit mit Nachsicht in der Verachtung zu verbinden, ein vorzügliches Rezept zurechtgelegt. Seine Geringschätzung der Menschen überbot er jedoch mit jener für die Frauen. Lagen seine billigen Ausfälligkeiten ihnen gegenüber daran, dass er sich im Verkehr mit einer Frau, wahrscheinlich einer Prostituierten, in jungen Jahren bereits eine ihn verunstaltende und periodisch schwächende Krankheit zuzog? Von der Liebe zwischen den Geschlechtern hielt er jedenfalls wenig. "Die Liebe, wie sie in der Gesellschaft vorkommt, ist nur der Austausch zweier Launen und die Berührung zweier Häute", lautet einer seiner berühmten Aphorismen. Und die Heirat schon gar, heißt es anderswo, komme nach der Liebe wie der Rauch nach der Flamme.

Diese Schärfe hinderte Chamfort immerhin daran, in die Pose abgeklärten Schnurrens zu verfallen. Die Leidenschaften stellte er stets über Vernunft und Weisheit. Mit den Leidenschaften, die die Natur an die Seite der Vernunft gestellt habe, habe sie dem Menschen offenbar über das Unerfreuliche dieser letzteren hinweghelfen wollen, schrieb er, und wie aus Mitleid erlöse sie ihn dann kurz nach dem Verlust der Leidenschaften auch von einem Leben, dem nur noch die Vernunft blieb. Chamfort war klug und aufrichtig genug, die Falschheit der Gesellschaft in seiner Epoche zuerst an sich selbst auszumachen. Er verachte den Adel, doch seine Freunde seien höfisch aufgeplustert, gestand er, er liebe die Genügsamkeit und verkehre doch in Gesellschaft der Reichen, die Literatur sei sein fast einziger Lebenstrost und doch habe er kaum Umgang mit den Schöngeistern, und Illusionen halte er für unentbehrlich, komme aber ganz ohne sie aus. Fazit: "Die Hoffnung ist nur ein Scharlatan, der uns immerfort täuscht, und für mich begann das Glück erst, als ich sie verlor."

Wenn ein Wesenszug aber unverrückbar in diesen Betrachtungen durchhält, dann ist es der der Charakterstärke. Sie war für Chamfort zugleich ein Lebensprinzip und eine gelebte Realität. Er war von der Notwendigkeit nicht nur des Spotts, sondern mitunter auch des Hasses auf die Gesellschaft überzeugt. Ein geistreicher Mensch sei verloren, wenn er nicht zugleich die Energie des Charakters habe, schrieb er, denn "hat man die Laterne von Diogenes, braucht man auch seinen Stock."

Diese Überzeugung setzte er im persönlichen Leben um, indem er als Freund Mirabeaus gegen seine eigenen Interessen und Privilegien sich der Revolution verschrieb. Ebenso unerschrocken wandte er sich danach offen gegen den Machtmissbrauch der Schreckensherrschaft und kam dafür vorübergehend ins Gefängnis. Diese Erfahrung war für ihn so traumatisch, dass er aus Angst vor einer neuen Verhaftung auf grauenhafte Weise Hand an sich legte. Erstaunt, dass er nach dem Pistolenschuss noch lebte, schnitt er sich mit einem Rasiermesser die Halsschlagader auf, öffnete auch Hand- und Fußgelenkadern, bis die Nachbarn das Blut unter der Tür durchrinnen sahen. Albert Camus rühmt ihn in einem dieser Ausgabe vorangestellten Vorwort aus dem Jahr 1944 als "Moralisten der Revolte", dessen Gerechtigkeitssinn die jeder Tat innewohnende Ungerechtigkeit nicht akzeptierte, der allerdings geglaubt habe, dies in der totalen Verweigerung äußern zu müssen. In der sorgfältig edierten und übersetzten Ausgabe von Ulrich Kunzmann und Fritz Schalk lässt sich nachlesen, wie viel Lebensbejahung hinter Chamforts radikalem Einspruch gegen die Gesellschaft mitschwingt.

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