Süddeutsche Zeitung

Nicki Minaj in Berlin:Rap-Königin unter Druck

Nicki Minaj macht bei ihrem Konzert in Berlin eine unverständlich lange Pause. Das bringt viel Zeit, darüber nachzudenken, wer im weiblichen Rap gerade wirklich regiert.

Von Jan Kedves, Berlin

Vielleicht will die Königin des Rap ja einfach mal die Loyalität und Leidensfähigkeit ihrer Untertanen testen. Wie lange seid ihr bereit, mich Pause machen zu lassen und in der Zwischenzeit eine schreckliche Überbrückungsshow zu ertragen? Die Frage steht im Raum, als Nicki Minaj, die 36-jährige Star-Rapperin aus Queens, zur Halbzeit ihres Auftritts am Donnerstagabend in Berlin nach einer tollen Darbietung ihres Große-Hintern-sind-sexy-Hits "Anaconda" von 2014 gegen 22 Uhr erst einmal verschwindet. Statddessen kommen auf die Bühne: ein absolut furchtbarer, dauerbrüllender Animations-DJ. Und ein ebenso furchtbarer 20-jähriger Rapper namens Juice Wrld aus Chicago, Illinois.

Es mag sein, dass manche Juice Wrld für einen gleichberechtigten zweiten Haupt-Act der "Nicki Wrld"-Tour halten, aber: Wie soll dessen hechelndes Herumgehüpfe und dieser "Mein Arzt wollte mir keine Pillen mehr verschreiben, aber ich hab sie mir trotzem alle eingefahren"-Trap-Quatsch zu der durchaus erhabenen Botschaft von Minaj passen? Weibliche Selbstbehauptung, grenzenlose Sexpositivität, ihr könnt mich alle mal? Man versteht es nicht.

Vor allem: Was macht Nicki denn hinter der Bühne? Sich massieren lassen? Mit ihren in Sadomaso-Kostüme eingeschnürten Tänzerinnen und Tänzern Karten spielen? Instagram checken?

"Ich bin jetzt ganz schön müde", sagen jedenfalls in der zur Hälfte gefüllten Arena am Ostbahnhof einige Leute, als Juice Wrld um 22.45 Uhr endlich wieder im hydraulischen Bühnenboden versinkt und die Spannung, ob Nicki Minaj endlich wieder herausgefahren wird, noch ganze fünf Minuten lang von Synthesizer-Wabern gesteigert werden soll, was leider klingt, als wäre man im Menü einer Actionfilm-DVD hängengeblieben, weil man sich nicht entscheiden kann, ob man Untertitel will oder nicht. Es ist inzwischen 22.50 Uhr, und die Frage, ob Nicki Minaj immer noch die Königin des Rap ist, möchte man vorerst so beantworten: Die Königin des Rap ist in dieser sehr merkwürdig, nämlich komplett antiklimaktisch konzipierten Show jedenfalls nicht da, wo in einer normalen großen Popshow die Klimax gewesen wäre.

Deshalb bleibt viel Zeit, um sich daran zu erinnern, dass Minaj (mit mehr als 100 Millionen verkauften Tonträgern die zahlenmäßig weiterhin erfolgreichste Rapperin aller Zeiten) gerade eine schwierige Zeit durchmacht.

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem aktuellen Album "Queen", mit dem Minaj, bürgerlich Onika Tanya Maraj, für ihre Verhältnisse und Ansprüche eher baden ging. Es kam im vergangenen Jahr in den USA nur auf Platz 2 der Billboard-Charts. Der prägnanteste Hit darauf heißt "Fefe", ein zu düsteren Synthie-Pizzicati hübsch federnder Track, den sie zusammen mit Daniel Hernandez alias 6ix9ine aufgenommen hat. Der bei Teenagern sehr beliebte New Yorker Rapper hat dummerweise kürzlich zugegeben, in Gang-Kriminalität, Drogenhandel, bewaffnete Raubüberfälle und die Verbreitung eines pornografischen Videos mit einem 13-jährigen Mädchen verwickelt gewesen zu sein. Hernandez blickt nun auf eine Haftstrafe von bis zu 32 Jahren.

Pech für Nicki Minaj. Leider nimmt sie "Fefe" deswegen aber nicht aus ihrem Live-Programm - was den Eindruck erwecken kann, dass ihr das mit dem 13-jährigen Mädchen ein bisschen egal ist.

Das größte Problem ist aber Belcalis Marlenis Almanzar alias Cardi B. Die ist gerade die wahre Königin des Rap, oder zumindest: die neue Königin des Rap. Die 26-Jährige hat kürzlich mit ihrem Debütalbum "Invasion of Privacy" einen Grammy für das beste Rap-Album gewonnen. Das ist vor ihr keiner Solo-Rap-Künstlerin gelungen, auch Nicki Minaj nicht.

Nicki Minaj scheint derweil zu schmollen. Im vergangenen Herbst kam es zwischen den beiden auf einer Party des Magazins Harper's Bazaar zum Zoff. Minaj trat Cardi B auf die Schleppe, deren Kleid riss, Cardi B wollte Minaj dann wohl noch einen Schuh hinterherwerfen, wobei die Augenzeugenberichte dazu variieren. Das alles wäre vielleicht lustig und eigentlich völlig egal, wenn es nicht so traurig wäre - und wenn in der langen Pause in Berlin nicht so viel Raum wäre, in dem es nachhallen kann.

Nicki Minaj scheint sich nämlich sehr an ihren Königinnen-Status zu klammern - was nun endlich zurück auf die Bühne führt, wo sie nach ihrer Pause im Thierry-Mugler-inspirierten Roboter-Blechkleid aufläuft, um mit ihren Fans noch ihre Dancefloor-Hits zu feiern. Darin war sie vor einigen Jahren ja wirklich gut: superpraller Kindergarten-Schlumpftechno-Partysound à la Vengaboys, DJ Ötzi und Scooter. "Turn Me On", "Whip It", "Pound the Alarm", "Starships". Hits, Hits, Hits. Sie ballern in Berlin immer noch gut. Danach legt Minaj sich auf ein rundes Bühnenbett, das aussieht wie ein riesiger, aufgepumpter Oreo-Keks aus pinkfarbenem Vinyl. Darauf räkelt sie sich zur Kifferhymne "Ganja Burn", wobei ihr maximierter Po sehr gut zur Geltung kommt.

Danach kommt der Hit "Side to Side", in dem geht es in nahezu perfektem Cockney-Akzent um das Strampeln auf einem "dick bicycle", einem Penis-Fahrrad also. Auch das macht Spaß. Minajs Duett-Partnerin Ariana Grande ist hier, wie viele andere ihrer Feature-Partner und -Partnerinnen, als Videoprojektion präsent.

Und wer dann um halb zwölf, als alles vorbei ist, nachzählt, ist überrascht: Minaj hat in ihrer Show fast 35 Chart-Hits gespielt, sich drei Mal umgezogen, es gab viele hübsche pyrotechnische Effekte und sogar einige ganz süße, gar nicht zu sehr einstudiert wirkende Interaktionen mit dem Publikum. Minaj liebt nämlich ihre Berliner "sexy boys and pretty girls". Kein Grund zur Beschwerde. Außer eben diese viel zu lange Pause.

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