Süddeutsche Zeitung

Kolumne "Nichts Neues":Munich Love

"50 60 70": eine Liebeserklärung an die B-Seite von München.

Von Johanna Adorján

Ich weiß immer nie, was das sein soll: Heimat. Ist damit gemeint, wo man herkommt - wenn ja, wo man geboren ist oder wo man aufwuchs? Von wo man wegwollte? Wo die Familie herkommt (aber die kommt doch nicht schon immer aus demselben Ort)? Wirklich, ich habe keine Ahnung. Das Wort bedeutet mir nichts. Nicht einmal, dass es mir nichts bedeutet, bedeutet mir was. Es lässt sich auch ohne Heimat leben.

In München, wo ich schon lange nicht mehr wohne, weht mich aber ganz selten etwas davon an. Wenn ich dort die U-Bahn rieche etwa, diesen süßlichen Duft, der mich an Tinte erinnert. Wenn ich die ordentlichen grauen Gehwegplatten sehe, mit denen die Fußwege gepflastert sind (und wenn ich mich an eine Zeit erinnere, in denen ich auf keine Ritze treten durfte, sonst wäre etwas undefiniert Schreckliches passiert). Wenn ich das Wort Eierwiese denke (ob es noch eine Wiese ist?). Oder die Amseln im Garten meiner Eltern höre.

Mal war hier ein Karstadt drin, mal ein Eiscafé Venezia

Eines der schönsten München-Bücher überhaupt ist "50 60 70 - Architektur aus drei Jahrzehnten" (Dölling-und-Galitz-Verlag, 2017), herausgegeben von Alexander Fthenakis, mit Fotos von Oliver Heissner. Es zeigt die Architektur, die München insgeheim stärker ausmacht als die Theatinerkirche oder der Hofgarten: all die vielen Bauwerke aus den Fünfziger-, Sechziger- und Siebzigerjahren mit ihren Vorhangfassaden, Betonfertigteilen, Metallkassetten, in denen mal ein Karstadt war oder ein Eiscafé Venezia. Oft kennt man die Namen der Architekten nicht, die nach dem Krieg schnell und pragmatisch wieder aufbauen mussten und dabei Großes geleistet haben, das gerne übersehen wird. Und zu Unrecht verkannt: Einige der im Buch vorgestellten Bauten wurden seit Erscheinen abgerissen, etwa das Hotel Königshof und die Hauptbahnhofschalterhalle. Das Buch ist eine Liebeserklärung an das München, an dem man immer vorbeigeht, ohne es zu bemerken, bis man merkt, dass man es ganz tief in sich gespeichert hat, unbemerkt.

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