Nic Pizzolattos Krimi "Galveston":Hart gekochter Südstaaten-White-Trash

Trailer Park im Süden der USA

Trailer-Park im Süden der USA: Die Ostküsten-Texas-Tristesse passt ganz ausgezeichnet zur Botschaft der meisten Noir-Geschichten, die in Amerika auch als "hard boiled-Krimis" ("hartgekochte Krimis") bezeichnet werden .

(Foto: Mario Tama/AFP)

Mit seinem Debütroman "Galveston" schrieb sich Nic Pizzolatto ins Filmgeschäft, wo er als Schöpfer von "True Detective" jetzt für Furore sorgt. Wie die HBO-Serie war schon "Galveston" eine Verneigung vor dem Noir-Krimi. Jetzt ist der Roman auf Deutsch erschienen.

Von David Steinitz

In Hollywood wird derzeit kein Drehbuchautor so gefeiert wie Nic Pizzolatto. Seit im Januar die erste Staffel der von ihm erfundenen, geschriebenen und produzierten Serie "True Detective" ausgestrahlt wurde, gilt er als neuer Superstar der an Starautoren wahrlich nicht armen amerikanischen Filmindustrie.

Seine Sendung über zwei neurotische Cops auf Serienmörderjagd in den Sümpfen von Louisiana - gespielt von Woody Harrelson und Matthew McConaughey - hatte schnell so viele Fans, dass wiederholt der Streaming-Dienst des Bezahlsenders HBO zusammenbrach, sobald eine neue Folge lief.

Momentan bereitet Pizzolatto die zweite Staffel vor, mit einem neuen Fall und einem neuen Ermittlerteam sowie die Verfilmung seines Debütromans "Galveston" von 2011, für die er ebenfalls als Drehbuchautor und Produzent verantwortlich sein wird.

In diesem Erstling, der seine Visitenkarte ins Filmgeschäft war und nun, nach dem Hype um "True Detective", in deutscher Übersetzung erscheint, kann man bereits genau die Erzählelemente entdecken, für die seine TV-Serie nun so gelobt wird.

"Galveston" ist eine Verneigung vor dem Genre des Noir-Krimis, das der 38-Jährige, der vor seiner Autorenkarriere an den Universitäten von North Carolina und Chicago kreatives Schreiben und amerikanische Literatur unterrichtete, von Raymond Chandler über David Goodis bis James Ellroy genauestens studiert hat.

Mal Kurier, mal Auftragskiller

Sein Protagonist und Ich-Erzähler Roy Cody ist - in klassischer Noir-Tradition - ein an den Mädchen und am bürgerlichen Leben gescheiterter "autodidaktischer Pessimist". Das trifft als Charakterisierung auf einen Großteil von Pizzolattos Figurenpersonal zu, im Buch wie im Fernsehen. Denn viel von diesem philosophierenden Säufer Roy Cody ist später auch in Matthew McConaugheys Rolle in "True Detective" eingeflossen.

Roy ist Anfang vierzig, arbeitet für eine lokale Gangstergröße in New Orleans, mal als Kurier, mal als Auftragskiller, je nachdem, was eben so anfällt. Abends treibt er sich in Bars herum, in denen man eine Schlägerei allein dadurch auslösen kann, dass man etwas anderes als Bier oder Whiskey bestellt.

Fiese Mischung aus schlechter Laune und Eifersucht

Sein Körper ist durch Schrotkugelsplitter, Messerstiche und Hundebisse über und über vernarbt. Sein schönster Besitz besteht in einer "fast vollständigen John-Wayne-Sammlung" auf Video - die Geschichte beginnt 1987 -, was noch mal augenzwinkernd daran erinnert, dass der klassische Noir-Held in der amerikanischen Kulturgeschichte nie eine eigene Kreation war, sondern lediglich ein großstädtisches Update des einsamen Cowboys, der trotz allen Übels im Herzen ein guter Kerl ist.

Nic Pizzolattos Krimi "Galveston": Nic Pizzolatto: Galveston. Roman. Aus dem Englischen von Gunter Blank. Metrolit Verlag, Berlin 2014. 253 Seiten, 20 Euro, E-Book 16 Euro.

Nic Pizzolatto: Galveston. Roman. Aus dem Englischen von Gunter Blank. Metrolit Verlag, Berlin 2014. 253 Seiten, 20 Euro, E-Book 16 Euro.

Dem Leben begegnet Roy mit einer ordentlichen Portion Fatalismus und Lakonie, und um diese Persönlichkeitsmerkmale richtig auf die Spitze zu treiben, stattet Pizzolatto seinen Helden gleich auf der ersten Seite mit Lungenkrebs im Endstadium aus: "Als ich das Sprechzimmer verließ, waren die Leute im Wartezimmer froh, dass sie nicht ich waren. Gewisse Dinge lassen sich im Gesicht ablesen."

Weshalb Roy es plötzlich auch nur noch mittelschlimm findet, dass sein Boss seine Freundin vögelt und ihn aufgrund einer fiesen Mischung aus schlechter Laune und Eifersucht umbringen lassen will.

Nur knapp entgeht Roy der Attacke und kann aus der Stadt fliehen - gemeinsam mit der jungen Prostituierten Rocky, einer Lolita, die durch Zufall in den Mordversuch verwickelt wird, und deren kurzer Rock unverschämt oft unverschämt weit nach oben rutscht, während sie neben ihm im Auto sitzt.

Aus der Not heraus bilden sie eine Zweckgemeinschaft, gegen die Killer im Speziellen und gegen die Einsamkeit des Lebens im Allgemeinen.

Fast wie eine Noir-Parodie

Sie verstecken sich in Galveston, einer kleinen Insel an der texanischen Küste, die vom Öl lebt und außer Bohrtürmen und Tex-Mex-Bars nicht viel zu bieten hat. Quartier beziehen sie in einem kleinen Motel in Strandnähe, "in das ab und an einer eincheckte, um Selbstmord zu begehen" und die Gäste Feinrippunterhemden "Marke Frauenverprügler" tragen.

Viele von Pizzolattos Figurencharakterisierungen und Ortsbeschreibungen könnten zunächst fast als Noir-Parodie durchgehen, denn so stoisch wie er imitiert derzeit wirklich niemand das Genre - nicht einmal der andere aktuelle Krimi-Star Don Winslow in seinen Surfer-Krimis. Aber Pizzolatto meint es ernst, und aus der Imitation entwickelt sich schnell seine eigene Variation des Genres.

Momente schönster melancholischer Anmut

Auch wenn man es über den klassischen Bildern des Noir, von verrauchten Hinterzimmern und verregneten Großstadtnächten, in denen sich Neonreklamen in Pfützen spiegeln, manchmal vergisst: Noir ist klassischerweise ein Westküstengenre, sowohl in der Literatur als auch im Kino.

Pizzolatto aber ignoriert in "Galveston" den alten Westküstencharme und macht aus seiner Geschichte eine Ostküsten-Texas-Tristesse, deren Trailer-Park-Ambiente und White-Trash-Mentalität ganz ausgezeichnet zur Botschaft der meisten Noir-Geschichten wie auch seiner passt: dass der amerikanische Traum nur in Koexistenz mit einem amerikanischen Albtraum zu haben ist, auf Kosten einer Schar von Abgehängten und Verzweifelten.

Roy und Rocky sind die Verkörperungen dieser Kehrseite des gnadenlosen amerikanischen Liberalismus, und für sie interessiert sich Pizzolatto deutlich mehr als für seinen Krimi-Plot von Flucht und Verfolgung. Inmitten der größten Depressionen und fiesesten Kater, die seine Geschichte pflastern, zaubert er für sie Momente schönster melancholischer Anmut.

Darin liegt übrigens nicht nur seine große Kunst, sondern auch die Ironie seines derzeitigen Erfolgs: Weil Pizzolatto ausgerechnet mit diesem Ansatz, der eben die Figuren und nicht die Handlung in den Vordergrund stellt und den er auch auf "True Detective" übertragen hat, einen Hit gelandet hat - als alleiniger Autor inmitten einer Schwemme anderer Hit-Serien, die in erster Linie handlungsgetrieben sind und von ganzen Heerscharen hochbezahlter Autoren gemeinsam ausgetüftelt werden.

Desillusioniert und verkatert

Und so gibt es in "Galveston" zwar eine ordentliche Portion Action, mit nächtlichen Verfolgungsjagden und brutalen Schlägereien, aber der eigentliche Motor des Buchs, bleibt der Versuch des Protagonisten nicht mit der Verfolgung, sondern mit sich selbst zurechtzukommen - denn der Tod naht aufgrund der Krankheit so oder so.

Desillusioniert und verkatert steht Roy Cody im Bad des schäbigen Motels und vertieft sich, während sein Ex-Boss ihm auf der Spur ist, in seine Sinnkrise: "Vierzig Jahre lief ich jetzt mit demselben Gesicht herum, und trotzdem erwartete ein Teil von mir immer noch, einen anderen Kerl im Spiegel zu sehen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: