Netzkolumne:Blaue Tulpen

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"My Muse" von Sonia Matas in einer NFT-Ausstellung in Japan. Kunstwerke wie dieses sind das Vorbild für die NFT-Avatare in den sozialen Medien (Foto: imago)

NFT-Avatare werden hoch gehandelt - als Distinktionsmerkmale in sozialen Netzen.

Von Michael Moorstedt

Was viele Menschen am Internet ein bisschen stört, ist seine im Grunde genommen egalitäre Natur. Vor den Algorithmen ist jeder erst mal gleich. Natürlich, es gibt Follower-Zahlen und Klickstatistiken, die besagen, wer beliebt ist und somit über soziales Kapital verfügt, aber was taugen Zahlen schon als Statussymbol, verglichen mit den schönen Dingen, mit denen man sein Dasein in der analogen Welt ausschmücken kann, dicken SUVs oder edlen Uhren?

Deshalb gibt es Nutzer, die alles in Bewegung setzen, um etwa auf Twitter einen blauen Haken neben ihren Namen gesetzt zu bekommen, der sie als verifizierten User auszeichnet. Da wird telefoniert und es werden Kontakte bemüht, alles, nur für ein kleines Distinktionsmerkmal, das besagt: "Seht mich an, ich bin besser als der Rest!" Auch auf den meisten anderen Social-Media-Portalen gibt es inzwischen Abzeichen, Buttons oder andere optische Marker, mit deren Hilfe die Leute ihren exklusiven Status unter Beweis stellen können.

Diese Ausgangslage erklärt gut, weshalb in den vergangenen Monaten ein sprunghafter Handel mit sogenannten NFT-Avataren in Gang gekommen ist. NFTs, hier nur kurz zur Erinnerung, sind Echtheitszertifikate für digitale Dateien. Was bisher beliebig oft kopierbar und damit a priori ohne Wert war, wird nun zum wertvollen, weil raren oder gar einzigartigen Gut.

Unter den Avataren finden sich Pixelmännchen, Comic-Affen, Enten und Bonsais

Man kann sich das Ganze als eine Art dadaistischen Kunstkreisel vorstellen, nur dass dabei auch eine Menge Geld im Spiel ist. Unter den Avataren finden sich Pixelmännchen, die aussehen wie aus Videospiel-Urzeiten, Comic-Affen oder ebenso gezeichnete Enten, Mode-Mannequins oder stilisierte Bonsaibäumchen. In jeder Serie gibt es nur eine begrenzte Anzahl an Dateien, meistens einige Tausend - und alle sind heiß begehrt, vor allem unter Kryptowährungsanhängern.

Anders als ursprünglich prophezeit, kommt es durch NFTs keineswegs zu einer Demokratisierung des Kunstmarkts. Noch vor ein paar Monaten hatte es geheißen, dass dank NFTs die Sphären von Sotheby's und Christie's bald der Allgemeinheit zugänglich würden. Im Gegenteil: Das internationale Art-Establishment schert die Avatar-Händler nicht im Geringsten. Sie sind eher eine seltsame Kombination aus geschlossener Gesellschaft und Kleinanlegerverein.

Der einzige praktische Nutzen der Bildchen ist, dass man sie als Profilfoto verwenden kann. Bei manchen erhält man außerdem noch Zugang zu einem privaten Chat-Server. Die teuersten Dateien werden inzwischen für achtstellige Dollar-Beträge gehandelt, und jedes Mal, wenn die Bilder den Besitzer wechseln, steigt ihr Wert. Ein teuer erkauftes Zeichen der Zugehörigkeit zu einem mehr oder weniger erlauchten Kreis.

Das plötzliche Aufkommen solcher Blasen ist dabei nicht einmal das bemerkenswerteste Phänomen. Schließlich gab es in der Vergangenheit schon genügend Situationen, in denen zuvor wertlose Dinge auf einmal Gegenstand einer Spekulationshysterie wurden, egal, ob es sich dabei um Tulpen oder mit Kunststoffkörnern gefüllte Kuscheltiere wie die "Beanie Babies" aus den Neunzigerjahren handelte, die manchen Sammler in den Ruin trieben. Viel erstaunlicher ist dagegen die Fantasielosigkeit der Menschen. Es will uns wohl nichts Besseres einfallen, als jede neue Technologie erst einmal für die Akkumulation und Nachweisbarkeit von Besitz zu nutzen.

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