"News of the World": Scotland Yard:Die Bestechlichen

Scotland Yard galt als die beste Polizeibehörde der Welt - bis der Abhörskandal von Murdochs "News of the World" den Ruf ruinierte. Dabei hat Korruption bei der Metropolitan Police eine lange Tradition.

Alexander Menden

Die Times - sie gehörte damals noch nicht Rupert Murdoch - veröffentlichte 1977 den Mitschnitt eines Gesprächs zwischen einem Beamten der Metropolitan Police (Met) und einem Londoner Gangster: "Vergiss nicht, dass du mir immer gleich sagen kannst, wenn du was brauchst", versichert der Polizist seinem kriminellen Kumpel. "Ich kenne überall Leute. Ich bin nämlich eine kleine Firma innerhalb der Firma. Wenn du irgendwo in London verhaftet wirst, telefoniere ich mit jemandem in meiner Firma, der sich darum kümmert." England war schockiert.

FILE - John Yates

John Yates: "Wir alle wissen, dass es korrupte Leute bei der Met gibt, und dass das immer so sein wird."

(Foto: Getty Images)

Im folgenden Jahr ging eine Truppe von 80 aus der englischen Provinz zusammengezogenen Polizeibeamten daran, im Rahmen der sogenannten "Operation Countryman" jener "Firma" das Handwerk zu legen, in die sich Teile von Scotland Yard verwandelt hatten: Es gab Hinweise darauf, dass Angehörige des "Crime Investigation Department" sich nicht nur routinemäßig von Kriminellen schmieren ließen und Beweise fälschten, sondern sogar selbst an Raubüberfällen teilnahmen. Die Ergebnisse der siebenjährigen Untersuchung blieben unbefriedigend. Ihr Leiter, Chief Constable Arthur Hambleton, sprach von "Sabotage" seitens der Londoner Polizei. Es war einer der größten, wenn auch beileibe nicht der erste (oder letzte) Korruptionsskandal in Scotland Yards langer Geschichte.

Der Name "Scotland Yard" hat einen geradezu mythischen Klang. Deshalb ist es ernüchternd, wenn man das Hochhaus besucht, vor dem heute das dreiseitige Schild mit der Aufschrift "New Scotland Yard" rotiert. Manche Londoner Gebäude entsprechen ja in allem den touristischen Erwartungen: Das Parlament dominiert in befriedigend viktorianischem Bombast das Themse-Ufer, und der Buckingham-Palast ist tatsächlich so klotzig, dass die tapferen Bärenfellmützenträger davor ganz verloren wirken. Nur das legendäre Scotland Yard, auf halber Strecke zwischen Palast und Parlament am St. James's Park gelegen, hat so gar nichts von jener schwarz-romantischen Aura, an die unwillkürlich denkt, wer mit deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen aufgewachsen ist.

Der monströse Bau will einfach nicht zusammenpassen mit der Vorstellung von Bobbies mit Trillerpfeife, die bei Gaslaternenschein Jack-the-Ripper-artige Gestalten durch den Nebel verfolgen. New Scotland Yard ist eine mit High-Tech vollgestopfte Festung aus Stahl und verspiegeltem Glas, umgeben von Barrieren, Schranken und einem Wald von Sicherheitskameras. Drinnen ziehen sich lange, mit welligem Linoleum ausgelegte Korridore unter Neonlicht hin.

Korrekt müsste es "New New Scotland Yard" heißen, denn dies ist bereits das dritte Gebäude, das den Namen trägt. Das erste stand am Great Scotland Yard in Whitehall, das zweite, 1890 eröffnet, am Embankment. Seit 1967 residiert die Metropolitan Police am St. James's Park. Scotland Yard ist das Hauptquartier der größten und mit 182 Jahren ältesten Polizeibehörde der Insel, kurz Met genannt. Sie ist nicht nur für die Sicherheit von Greater London zuständig (mit Ausnahme der City, die aus historischen Gründen ihre eigene Polizei hat), sondern auch für landesweite Terrorbekämpfung sowie den Schutz der königlichen Familie.

Doch je länger der Abhörskandal wütet, desto mehr wird Scotland Yard im öffentlichen Bewusstsein - wieder einmal - zum Sinnbild für Polizeikorruption. Met-Chef Sir Paul Stephenson trat am vergangenen Sonntag zurück: Er ließ sich von einem ehemaligen Redakteur der mittlerweile eingestellten News of the World, Neil Wallis, zu einem Kuraufenthalt einladen; Wallis fungierte seinerseits als gut bezahlter Berater der Met. Vergangene Woche wurde er im Zusammenhang mit der Abhöraffäre verhaftet. Stephensons ebenfalls zurückgetretener Stellvertreter John Yates, von den Medien gern "Yates of the Yard" genannt, wehrt sich gegen den Verdacht, die Ermittlungen gegen das Murdoch-Blatt verschleppt zu haben. Und zahlreiche Polizisten ließ sich von Reportern mit Hunderttausenden von Pfund schmieren und lieferten dafür vertrauliche Informationen, unter anderem aus dem Königshaus.

Obwohl diese Auswüchse nicht ganz so monströs wirken wie die der Siebziger Jahre, stellt die Verflechtung der Met mit Rupert Murdochs News of the World zweifellos einen Tiefpunkt in der Geschichte einer Behörde dar, die umsichtig den alten Mythos pflegt: "We always get our man" - wir fassen jeden Täter. Man ist versucht, zu ergänzen: Außer die Täter in den eigenen Reihen.

Die Legende von Scotland Yard

Die Schockwirkung, die von den Korruptionsenthüllungen ausgeht, wurzelt aber weniger in der Diskrepanz zum Image, das Scotland Yard sich selbst gibt, als in seiner überaus positiv besetzten fiktionalen Parallelexistenz. Bereits in den 1840er Jahren machte sich Charles Dickens, um mit dem Kriminalhistoriker Ian Ousby zu sprechen, zum "Förderer und Sprecher des Detective Departments" der Met, indem er Scotland-Yard-Detektive in seinen Romanen auftreten und sehr gut aussehen ließ. In "Bleak House" etwa ist Inspektor Bucket, logisch, präzise und tolerant gegenüber menschlichen Schwächen, eine wichtige Figur.

Grob gesprochen verdanken wir dem Goldenen Zeitalter des britischen Krimis zwei Typen des Scotland-Yard-Beamten, an denen sich die meisten späteren Darstellungen bewusst oder unbewusst orientierten: Den einen verkörpert Arthur Conan Doyles Inspektor Lestrade, der als erster den Beinamen "of the Yard" trug. Benannt nach einem Studienfreund des Autors, ist er eine Figur, deren intellektuelle Fähigkeiten weit hinter denen von Doyles wahrem Helden Sherlock Holmes zurückbleiben. Er wird leicht ungeduldig, wenn der Privatdetektiv ihn nicht in seine genialischen Ermittlungsmethoden einweiht. Aber Lestrade ist korrekt und höflich, zeigt Mitgefühl mit den Opfern von Verbrechen, und wird von Holmes mit dem charakteristisch arroganten Kompliment bedacht, er sei noch "der beste unter den Professionellen".

Den zweiten Typ repräsentiert Inspektor Joseph French. Er wurde vom irischen Autor Freeman Wills Crofts erdacht und ist weit weniger berühmt als Lestrade. Dennoch ist er von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung eines ganzen kriminalliterarischen Genres, des verfahrensorientierten "Police Procedural": Anders als Sherlock Holmes, der sich ganz auf seine Geisteskräfte verlässt, begreift French seine Arbeit als Handwerk. Sein Vorgehen ist langsamer, methodischer und wirkt realistischer. Ian Rankins Edinburgher Inspektor Rebus ist direkter literarischer Nachfahre Joseph Frenchs. Und sowohl Lestrade als auch French verkörpern einen Modus Operandi, für den Scotland Yard seitdem in Literatur und Film steht: maßvoll, verlässlich, unbewaffnet, bürgernah - und unbestechlich.

Bei dieser fiktionalen Überhöhung gerät leicht aus dem Blick, dass Korruption bei der Metropolitan Police eine lange Tradition hat. Im Jahre 1877, 100 Jahre vor "Operation Countryman", wurden drei Detektive vom Crime Investigation Department des großangelegten Wettbetrugs bei französischen Pferderennen überführt. Seitdem hat die symbiotische Beziehung von Teilen der Met mit der Unterwelt immer wieder zu Skandalen geführt. Notorisch ist der Fall des sogenannten "Porn Squad". Unter Detective Chief Superintendent Bill Moody beteiligte sich die Sitten-Einheit der Met rege am Handel mit pornographischem Material und der Prostitution im Rotlichtbezirk von Soho. Das Schmiergeld, das die Strip-Club-Besitzer zahlten, wurde nach Dienstgrad aufgeteilt. Erst der neue Scotland-Yard-Chef Robert Mark räumte weitgehend mit dieser Praxis auf. Er nannte das Criminal Investigation Department damals in einem internen Gespräch die "am routinemäßigsten korrupte Organisation in London".

Ob dieser Ruf die Metropolitan Police bei ihren News-of-the-World-Ermittlungen einholen wird, ist noch nicht abzusehen. John Yates stellte vergangene Woche vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss jedenfalls sachlich fest: "Wir alle wissen, dass es korrupte Leute bei der Met gibt, und dass das immer so sein wird.". Dennoch wird jede Korruptionsaffäre bei der Met aufs Neue als ebenso überraschend wie niederschmetternd aufgenommen.

Die Legende "Scotland Yard" ist eben dauerhafter ist als jede schmerzliche Erfahrung. Und deshalb wird der frei erfundene, aber stets korrekte Lestrade of the Yard wohl auch dann noch das Bild der Met prägen, wenn Yates of the Yard längst wieder vergessen ist.

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