New Yorker Fotograf Boogie:"Den Menschen in den Ghettos ist Trump egal"

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"Es ist fantastisch und macht süchtig, von Menschen mit Waffen und Drogen umgeben zu sein", sagt Fotograf Boogie.

(Foto: Boogie)

Der New Yorker Künstler Boogie macht seit zwei Jahrzehnten Fotos am Rand der Gesellschaft. Dabei kommt er auch Gangstern und Drogensüchtigen nahe - und gibt ernüchternde Einblicke.

Interview von Juliane Liebert

Der Fotograf Boogie, der mit bürgerlichem Namen Vladimir Milivojevich heißt, ist in Belgrad aufgewachsen. In den Neunzigern begann er während des Bürgerkrieges in Serbien zu fotografieren. 1998 zog er nach New York. Dort entstanden die Fotos seines ersten Bildbandes "It's All Good". Schwarzweißaufnahmen von Gangmitgliedern, aus Ghettos, vom Rande der Gesellschaft, die immer dar-, aber nie bloßstellen. Der Band wurde, zehn Jahre nach seinem Erscheinen unverändert aktuell, Ende vergangenen Jahres von powerHouse Books neu aufgelegt.

SZ.de: Die erste Auflage von "It's All Good" erschien vor zehn Jahren. Wie hat New York sich seitdem verändert?

Vladimir Milivojevich: Nichts hat sich verändert. Ich denke nicht, dass sich je irgendetwas verändert. Nicht in diesen Bezirken der Stadt. Vielleicht kommt mal eine neue Droge auf, eine neue verschreibungspflichtige Medizin wird beliebter. Aber Ghettos sind immer gleich.

Also ereignet sich Geschichte innerhalb und außerhalb von Ghettos unterschiedlich?

Den Menschen in den Ghettos ist Trump egal. Wenn du da jetzt hingehen würdest, es wäre dasselbe wie vor zehn Jahren. Ghettos bleiben Ghettos.

Warum?

Ich habe nie darüber nachgedacht, aber Ghettos sind dazu da, die Armen an einem Ort zusammenzuhalten. Diese Aufgabe erfüllen sie gut. Dort wartet keiner der Bewohner mehr darauf, dass jemand kommt, um ihnen zu helfen.

Sie haben eine Hassliebe gegenüber Ihren frühen Arbeiten.

Ich kann mich nicht einfach zurücklehnen und für immer meine alten Arbeiten zeigen. Ich fotografiere die ganze Zeit. Ich werde besser. Meine Arbeiten mit Gangs und Drogen waren anders als die jetzt, denn als die erste Auflage des Bildbandes herauskam, machte ich nie Kontaktbögen. Ich hatte nicht mal eine Lightbox. Ich sah mir die Negative über einer Glühbirne an und entschied: Ich werd' das hier scannen, und das. Die Auswahl war okay, aber sie hätte besser sein können. Ich entdeckte ein paar Bilder, die wirklich ins Buch gehört hätten. Deswegen gibt es jetzt eine aktualisierte Edition.

Also benutzen Sie inzwischen Kontaktbögen?

Klar, in letzter Zeit... also, nein. In Wirklichkeit nicht. Ich fotografiere lieber. Ich schau mir nie alle Bilder an. Meine Heimatstadt Belgrad hat sich in den letzten Jahren sehr verändert. Es kommen mehr Touristen als je zuvor, neue Hotels eröffnen, bestimmt fünfzehn in den letzten paar Jahren. Die Wirtschaft ist natürlich im Arsch, und es sieht nicht so aus, als ob das bald besser werden würde. Aber das Nachtleben explodiert. Meine entscheidenden Lebensjahre waren während des Krieges. Und natürlich haben sie mich beeinflusst, wer ich bin, meinen Stil, meine Fotografie. Aber an irgendeinem Punkt musst du einfach weitermachen.

"Was du siehst, bläst dich weg"

Sie sehen sich als jemanden, der die Dinge dokumentiert, ohne sie zu werten oder ändern zu wollen?

Ja und nein. Ich versuche nicht, zu moralisieren. Ich bin nicht wahnsinnig. Ich denke nicht, dass ich die Welt ändern kann. Man kann die Welt nicht durch Fotografie ändern. Wenn du die Welt ändern willst, schnapp dir eine Knarre und geh in den Wald. So änderst du die Welt. Nicht mit einer Kamera. So wahnsinnig bin ich nicht.

Sie haben mal gesagt, dass München für Sie die furchtbarste Stadt der Welt ist. Immer noch?

Oh, ich weiß nicht, wann ich das gesagt habe. Vor langer, langer Zeit. Ich weiß nicht, welche Stadt ich jetzt am schlimmsten finden würde. Egal, wo ich hingehe, ich fotografiere wie wild. Aber Paris hat mich zum Beispiel auch nie inspiriert. Es hat nie geklickt. Ich habe dort nie gute Fotos gemacht. Es geht nicht darum, wo du bist. Wenn du inspiriert bist, siehst du gute Bilder. Sie sind überall.

Sie haben mal gesagt, dass Sie sich in den Staaten als Serbe, in Serbien als Amerikaner fühlen. Ist das immer noch so?

Ja. Es fühlt sich schizophren an, ein Immigrant zu sein. Du gehörst nirgendwo hin. Es ist, als ob du jedes Mal eine andere Person bist.

Sie werden oft gefragt, wie Sie es schaffen, dass diese Gangster Sie so nah an sich heranlassen - und sagen jedes Mal, dass die zu ihnen kommen. Sie mögen Sie einfach und behandeln Sie gut.

Genau. Für mich sind sie gleichberechtigte Menschen. Ich respektiere sie, also respektieren sie mich. Sie mögen mich einfach, und ich mag sie. Ich liebe es, sie zu fotografieren. Es ist wie im Film. Es geschehen lauter Dinge, die normale Menschen nie erleben. Es ist fantastisch und macht süchtig, von Menschen mit Waffen und Drogen umgeben zu sein. Was du siehst, bläst dich weg.

Ist das der Grund, warum Ihre Fotos so beliebt sind? Weil Sie die Menschen an Orte führen, die sie selbst nie zu betreten wagen würden?

Vielleicht! Aber ich jage keinen Extremen mehr nach. Diese Dinge finden mich einfach, und ich folge ihnen, statt wegzulaufen.

Es würde auch nicht funktionieren, oder? Diejenigen, die Sie fotografieren, würden es fühlen, wenn Sie nur auf Effekte aus wären?

Ja. Auf jeden Fall. Ich geh' einfach mit dem Flow. Ich mache Fotos, und manchmal passiert etwas Merkwürdiges. Ich war vor Kurzem in Bangkok und habe Prostituierte fotografiert, in Chinatown, und das ist die Untergrenze, die letzte Etappe ihres Weges. Es ist, als liefe man zwischen Dämonen umher. Es gab organisierte Straßenkämpfe, sie kämpften bis zum Knockout. Aber in normalen Situationen ist genauso viel Schönheit wie in Extremsituationen. Ich interessiere mich gar nicht mehr so sehr für Menschen. Früher dachte ich: Ein Foto ohne ein menschliches Wesen darin ist nicht gut. Inzwischen warte ich manchmal darauf, dass die Leute den Frame verlassen, bevor ich abdrücke.

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