New Rhythm & Blues Quartet:Denkbare Einstiegsdroge

New Rhythm & Blues Quartet: Gegenmodell zu den Hitfabriken - das New Rhythm & Blues Quartet NRBQ.

Gegenmodell zu den Hitfabriken - das New Rhythm & Blues Quartet NRBQ.

(Foto: label)

Schon Bob Dylan schwärmte von der Band NRBQ, die seit 1966 unfassbar kunstvolle Rockmusik produziert. Hits hatten sie trotzdem nie, denn es gibt keine Gerechtigkeit im Pop.

Von Thomas Meinecke

Es war in den mittleren Achtzigerjahren, als die partisanische Style-Versessenheit der Schnösel-Fraktion, der ich mich seit der feierlichen Mitbegründung des Underground-Magazins Mode & Verzweiflung 1978 zugehörig gefühlt hatte, im ästhetischen Leerlauf der aufkommenden Lifestyle-Zeitschriften verwässerte und wir uns unserer schütteren Vintage-Anzüge sowie anderweitig extravagant herbeizitierten Monturen entledigten, um fortan Trachten wie karierte Flanellhemden über Blue Jeans zu tragen, als mir einige Freunde Schallplatten sogenannter Musicians' Musicians vorzuspielen begannen, deren Exzentrik (betrachten wir einmal Harry Nilsson) derjenigen der großen Proto New Wave Poser, an deren Werk wir unseren Blick geschult hatten, mitunter in nichts nachstand.

Ich glaube, es war Detlef Diederichsen, der mir in dieser Zeit zum ersten Mal Songs der US-amerikanischen Combo NRBQ vorspielte (Paul McCartney, Bob Dylan und Elvis Costello taten ein Gleiches in ihren Freundeskreisen). Niemals hätte ich gedacht, dass dieses dermaßen spröde benannte Ensemble (das Kürzel steht für New Rhythm & Blues Quartet) eine solch extreme Stilvielfalt über die Bühne bringen würde, wie es seine zahlreichen Alben, die nun seit viereinhalb Jahrzehnten auf den Markt kommen, veranschaulichen.

Rhythm & Blues, selbstverständlich, und zwar der klassische, Rockabilly (das zweite Album wurde gleich mal mit dem fast vergessenen Veteran Carl Perkins aufgenommen), erweiterter Jazz der dislozierten Extraklasse (Pianist Terry Adams kann sowohl den Thelonious Monk als auch den Sun Ra tun; man konnte ihn mitunter auch an der Seite von Carla Bley und anderen Größen des Jazz glänzen sehen), Country & Western (diese Band bespielte unmittelbar nacheinander sowohl die Berliner Jazztage als auch Nashvilles Grand Ole Opry; darüberhinaus ehelichte Bassist Joey Spampinato vorübergehend die Sängerin Skeeter Davis, und NRBQs Gitarrist Al Anderson ließ sich, auch um seine Gesundheit zu schonen, in Nashville nieder, um dort sein weiteres Leben als erfolgreicher Songwriter zu fristen), wobei ich noch nicht einmal erwähnt habe, dass die Originals dieser Band nicht selten die sophisticatete Klasse der großen Balladen der Beach Boys oder der Beatles besitzen. (Wer mir den Gegenbeweis zu erbringen imstande ist, dem überweise ich mein Honorar für diese Zeilen der Dedication.) Und dann gibt es noch diejenigen, die in der NRBQ-eigenen Eleganz eine Vorwegnahme derjenigen Steely Dans  sehen.

Zugleich kommen wir in den Genuss von Instrumentals, die den Bogen von Charles Ives zu Moondog zu schlagen scheinen. Sie waren die inoffizielle Hausband der Simpsons und lieferten den Soundtrack zu dem Film "Spongebob". Bei Konzerten steht eine Magic Box am Bühnenrand, in die wir Wunschzettel werfen sollen: Diese Musiker intonieren einfach alles, was sie schon mal gehört haben (und scheuen dabei auch nicht die offensichtliche Entgleisung).

Keine Gerechtigkeit im Pop

Womöglich ist es die eklektische Splitterung, die dem gewaltigen Oeuvre dieser Band, die 1966 in Louisville, Kentucky, gegründet wurde und sich bald über Miami, Florida, nach Upstate New York hochbewegte, etwas Fragmentarisches, gleichsam Posthistorisches und den stringenten Verfahrensweisen der Hitfabriken Entgegengesetzes verliehen. Der große NRBQ-Hit blieb jedenfalls bis heute aus, selbst auf den Major Labels, die sie immer wieder auch unter Vertrag nahmen (Nun ist die Popgeschichte mit diesem Phänomen durchaus gesättigt; allein von The Velvet Underground müssten eine Handvoll Songs zu den All-Time Favorites der Geschichte der Populären Musik zählen. Und ich werde auch nicht Gerechtigkeit in Pop einfordern. Never ever).

Mit dem ersten Schlag, den der Schlagzeuger Tom Ardolino auf seiner Snare Drum landete, als ich die Band im Kölner Luxor zum ersten Mal live sah, überwältigte mich der Sound dieses Quartetts, deren damalige Mitglieder mir die besten Instrumentalisten der Welt zu sein schienen: Terry Adams als Madman am Klavier und dem Clavinet sowie anderen Gimmick-Keyboards erwies sich nicht nur als Jerry Lee Lewis-, Monk- und Sun Ra-Schüler, sondern auch als ein solcher des Ur-Hipsters Slim Gaillard, Al Anderson baute seine anfänglich fein gepickten Gitarren-Soli gern zu extensiven slipping and sliding Lärm-Orgien aus, während Joey Spampinato seinen Bass auf eine subtil hüpfende, an Kontrabassisten erinnernde Weise pluckte, die Keith Richards dazu veranlassen würde, ihn für die Verfilmung der Lebensgeschichte Chuck Berrys zu buchen: so spielte einfach sonst niemand auf dieser Welt. Terry, Al und Joey sangen auch, mal raunchy, mal smooth, und hinter ihnen trommelte in sonst nie gesehener Technik der Nachzügler Tom, der als Fan zu dieser Band gestoßen war und nie zuvor in anderen Bands gespielt hatte (und vor zwei Jahren als Bandmitglied viel zu früh verstarb).

Bitterer Moment der Bandgeschichte

Ich interviewte die Musiker für meine Radiosendung und sandte ihnen auf der Rückseite der Kassette mit dieser Radiosendung Musik meiner eigenen Band (F.S.K.). Als ich sie ein paar Jahre später live in New Orleans wiedersah, knutschten sie mich wegen der seltsamen Musik meiner Band backstage ab. Mitte der 1990er Jahre befanden wir uns in Richmond, Virginia, im Studio, als NRBQ in die Stadt kamen und wir sie uns abermals live ansehen konnten. (Nach Köln waren wir extra einen Tag vor unserem eigenen Gig im kleinen Rose Club, der dem Luxor gegenüberlag, hochgefahren.)

Nach der Show durften wir in die Garderobe der Band kommen und konnten Terry Adams dafür gewinnen, ein Klaviersolo im zickigen Stil Floyd Cramers auf einen unserer Songs zu spielen. Wir fuhren zu dem Haus, in dem unser Engineer John lebte und klingelten Sturm. Ein Fenster wurde hochgeschoben, Johns Freundin erschien im Nachthemd, war aber nicht bereit, John zu wecken. Also kehrten wir zu dem Club zurück und mussten Terry Adams unverrichteter Dinge in seinen Band-Bus steigen lassen. (Bitterer Moment der Bandgeschichte.) Terry regte an, unser nächstes Album produzieren zu wollen; aber als es soweit war, fanden wir uns im alten Europa wieder und nahmen lieber im voralpinen Weilheim auf. (Für unser drittes Weilheimer Album luden wir dann den Detroiter Afroamerikaner Anthony Shakir mit seinem MPC Sampler ein.)

In den letzten zwanzig Jahren geriet die grandiose Bandbesetzung (mit dem Ausstieg Big Al Andersons) ein bisschen ins Schwanken, aber man konnte erkennen, dass der idiosynkratische Sound dieser Combo quasi von der Tastatur Terry Adams' ausgeht, also durfte er auch die momentane, vergleichsweise juvenile Besetzung, nachdem ihm, nicht zuletzt durch die eigene schwere Erkrankung vor zehn Jahren, sämtliche amtierenden Mitglieder abhanden gekommen waren, wieder NRBQ nennen. Die neu Hinzugekommenen sehen teils auch noch tatsächlich wie Lookalikes ihrer Vorgänger aus (allen voran der Schlagzeuger Conrad Choucroun). Und sie schreiben Seite an Seite mit dem Bandgründer Songs, die weiterhin die heilige Vielfalt der appropriierten Stile sichern. NRBQs aktuelles Album "Brass Tacks" wurde nun in Europa von Berlins so krediblem wie unabhängigem Staatsakt Label lizensiert und in Premium-Vinyl veröffentlicht. Denkbare Einstiegsdroge.

Der Autor ist Schriftsteller, DJ und Mitbegründer der deutschen Avantgarde-Pop-Band Freiwillige Selbstkontrolle (F. S. K.). Auf der Webseite seines Verlages Suhrkamp betreibt er die Musikkolumne "Schule ohne Worte".

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