Netzkolumne:Weißt du, wie die Sternlein stehen

Lesezeit: 2 Min.

Fast so alt wie die Menschheit – das Versprechen von den großen Wahrheiten. (Foto: Axel Heimken/dpa)

Für fast jeden Aberglauben gibt es eine App. Warum Astrologie, Tarot und New-Age-Rituale nun auch im Netz boomen.

Von Michael Moorstedt

Wirft man heute einen Blick auf die Smartphone-Bildschirme jüngerer Leute, dann lautet der kleinste gemeinsame Nenner oft genug nicht mehr Insta oder Tiktok, sondern Pattern, Co-Star oder Sanctuary. Es handelt sich um Astrologie-Software, die in den Download-Charts der großen App-Stores ganz weit oben steht. Inzwischen, so scheint es, werden ganze Freundeskreise und Unternehmensteams maßgeblich durch die Push-Meldungen der Astrologie-Apps gesteuert. Ein Blick zeigt da etwa, dass man Kumpel A heute besser mit Fingerspitzen anfassen sollte, während die Schwingungen mit Kollegin B ein kaum gekanntes Maß an Kreativität freizusetzen versprechen.

Eine von vier jungen Frauen, so die Marktforschung, hat derartige Astro-Apps auf ihrem Telefon installiert. Zeitgenössische Astrologie unterscheidet sich freilich von den matrizenhaften Formulierungen in den hinteren Seiten der Illustrierten von früher. Heutzutage kommt die Sternendeuterei „hyperpersonalisiert“ und „in Echtzeit“ daher. Co-Star nimmt beispielsweise für sich in Anspruch, „das Geheimnis menschlicher Beziehungen durch Nasa-Daten und bissige Wahrheiten“ zu entschlüsseln.

Wer will, findet Manifestationen, Mantras und Welterklärungskonzepte

Seit jeher gilt: Wer ein Muster sucht, der findet auch eines, und in wirtschaftlich und politisch instabilen Zeiten feierte Aberglauben schon immer eine Renaissance. Es ist ja auch beruhigend, in einer ungewissen Welt endlich mal wieder verbindliche Ansagen zu erhalten. So ist es kein Wunder, dass die Astrologie-Apps zusammen mit Tarot-Livestreams auf Instagram und New-Age-Influencern, die auf Tiktok Hunderttausende Follower haben, inzwischen eine veritable Social-Media-Nische innehaben. Wer will, findet Manifestationen, tägliche Mantras und zahlreiche andere Welterklärungskonzepte, die bis vor wenigen Jahren in räucherstäbchenschwangeren Esoterikbüdchen vor sich hindämmerten.

Gerade sei Auramaxxing schwer im Kommen, berichtet etwa das New York Magazine. Hauptsächlich junge Nutzer legen sich hierbei allerhand absurde Mini-Rituale auf, um so die eigene Persönlichkeit zu stärken. Doch nicht nur geistige Heilung oder innerer Frieden sind die Hauptmotive der postdigitalen Esoteriker, sondern eben immer auch Erfolg, Schönheit und mithin auch eine bessere Wirkung bei Personen des romantischen Interesses.

Natürlich ist das alles auch ein Spitzengeschäft. Die Premiumversionen der Apps winken mit heftigen Abopreisen und die Betreiberfirmen haben sich längst zu Multimillionen-Dollar-Unternehmen entwickelt. Insofern unterscheidet sich die Wiederentdeckung der New-Age-Praktiken nur marginal von den zwischenzeitlich sehr populären Quantified-Self-Methoden, von Körper- und Leistungsvermessungs-Apps und Gesundheitstechnik, die in Form von smarten Ringen oder Broschen ja stets etwas Talismanhaftes behalten haben.

Die Vermengung von Spiritualität und Hightech ist deshalb auch nur im ersten Moment widersprüchlich. Je unerklärlicher und magischer die Produkte des täglichen Gebrauchs zu sein scheinen, desto diffuser werden die Grenzen zwischen Wissen und Glauben. Wirkt nicht das Smartphone, schimmernd wie ein Edelstein, bestehend aus seltenen Legierungen und Flüssigkristallen, bisweilen auch wie ein quasi-arkanes Objekt? Wird nicht das Dasein auf sozialen Plattformen durch kaum nachvollziehbare Algorithmen gesteuert, die so zu einer modernen Entsprechung von Vorsehung und Schicksal werden? Und dann sind da ja auch noch neuronale Netze und künstliche Intelligenz. Deren eigentliches Wirken ist selbst für die Entwickler noch immer nicht zu erklären.

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