Süddeutsche Zeitung

Neues "The National"-Album:Musik gegen die Schmerzen unserer Zeit

Der amerikanischen Indierock-Band "The National" gelingt das, was sich jeder Fan von seiner Lieblingsband wünscht.

Von Meredith Haaf

Auf dem neuen Album der amerikanischen Indierock-Band The National geht es im Song "The Day I Die" um eine dieser Beziehungen, von denen man einsehen muss, dass sie zwar unerträglich, aber auch vollkommen unersetzlich sind: "Ich brauch dich nicht, ich brauch dich nicht, außerdem sehe ich dich eh kaum, und wenn ich es tue, fühlt es sich an, als wärst du nur halb da." Wem außer der Person, die man sehr dringend braucht, müsste man so etwas sagen? Das lyrische Ich der Band zieht sich in Alkohol und die innere Emigration zurück, während es von seinem Gegenüber gnadenlos vollgelabert wird, aber am Ende heißt es dann doch: "Let's just get high enough to see our problems" - "Lass uns high genug werden, um unsere Probleme zu sehen." Versöhnlicher wird es auf diesem Album nicht mehr. Mit anderen Worten: Man kann zur Musik der Band hervorragend Auto fahren, kochen, trinken oder die Hüften wiegen. Man kann sich von ihr sogar bis aufs Mark gemeint fühlen. Als Ratgeber in emotionalen Fragen taugt sie allerdings ausdrücklich nicht.

Vor zwanzig Jahren gründeten sich The National, 2008 wurden sie mit ihrem Album "Boxer" bekannt - und der damalige demokratische amerikanische Präsidentschaftskandidat spielte ihr Lied "Fake Empire" bei einigen Großveranstaltungen, bevor er die Bühne betrat. Die Konzerte, die Sänger Matt Berninger als eine Art Exorzismus-Ritual exerziert, während seine Kollegen stoisch ihre Instrumente bedienen, werden seit Jahren immer größer und sind grundsätzlich ausverkauft. Etwa alle vier Jahre - und zwar in einer seltsamen Parallele zu den Legislaturperioden ihres Heimatlandes - veröffentlichen The National ein neues Album und immer gelingt ihnen dabei das, was sich jeder Fan von seiner Lieblingsband wünscht, das aber alles andere als selbstverständlich ist: leicht wiedererkennbare und trotzdem überraschende Musik. In diesem Fall also Musik für Menschen, die lieber drinnen als draußen sind und die unter gelungener Freizeit eher ausgedehnte Gespräche unter dem Einfluss von zu vielen Spirituosen verstehen als ein Volleyballturnier. Verrätselte Texte voller Selbstanklagen und Wortspiele können wenige so gut. The National sind damit schon ein bisschen auch ein Klischee, aber eben immer auch sehr gut.

Berningers Bariton knurrt und grummelt, rastet aus und reißt sich zusammen

"Sleep Well Beast" (4AD) ist nun das achte Album und der etwas umständliche und düstere Titel passt gut, denn es ist sperriger als seine Vorgänger. Die Arrangements sind schlichter, die Instrumentalisierung sparsamer und ruppiger als etwa bei "Trouble Will Find Me", dem letzten und bislang erfolgreichsten The-National-Album.

Kein Zweifel, Berninger ist kein herausragender Sänger, aber dafür macht er mit seiner Stimme ungewöhnlich viel: Sein Bariton knurrt und grummelt, bittet und versteht, rastet aus und reißt sich zusammen. Man höre nur "Walk It Back". Da murmelt er teils panisch, teils genervt, teils schmeichelnd ein Mantra der streitlustigen Konfliktvermeidung vor sich hin und das Ganze endet - klassischer The-National-Humor - mit dem Zitat eines republikanischen Spin Doctors.

Berningers besondere Gabe, immer zugleich angespannt und verletzlich, in sich gekehrt und aufgeschlossen zu klingen, wird auf dem neuen Album noch deutlicher. Auch wenn er offensichtlich das am wenigsten musikalische Mitglied der Band ist, gibt er der Sache die nötige Portion sozialer Unverträglichkeit.

Alle fünf Mitglieder von The National stammen aus Cincinnati im Bundesstaat Ohio. Ohio ist eines der ehemaligen Stammterritorien der Demokraten, die sich bei der jüngsten Wahl als leichte Beute für Donald Trump entpuppten. Das ist hier insofern bedeutsam, weil diese fünf amerikanischen Männer mit Trump rein gar nichts verbindet. Sie liefern keine große Kritik an den Verhältnissen, sondern das kleine Hadern und das tiefe Wundern. Immer ist da eine Anspannung, eine Unausgeglichenheit. Das könnte anstrengend sein, ist in den Händen dieser Band aber der Stoff für eine Musik, die gegen die Schmerzen dieser Zeit ganz gut hilft.

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Quelle:
SZ vom 14.09.2017/jdhz
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