Neues Sarrazin-Buch:Deutschland braucht dieses Werk so dringend wie einen Ebola-Ausbruch

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  • Thilo Sarrazin veröffentlicht am Donnerstag sein neues Buch "Feindliche Übernahme", es ist das verlegerische Unglück dieses Jahres.
  • Seine primitive Koran-Exegese ist voller sachlicher Fehler und nur Anlass für eine Ausweitung jener biologistischen Kampfzone, die er bereits in seinem ersten Buch beschrieb.
  • Sarrazin entwirft einen demografischen Konflikt im globalen Maßstab, eine Art eugenischen Weltbürgerkrieg.

Von Sonja Zekri

Thilo Sarrazin hat den Koran gelesen, und er hat ihm keinen Spaß gemacht. Könnte man die Essenz seines neuen Buches so zusammenfassen, wäre Deutschland ein überwiegend sorgenfreies Land. Aber in Chemnitz gibt sich ein rechter Mob als Vorhut des kommenden Aufstandes, der Bundesinnenminister verschwand über Tage im Abgrund zwischen Regierungsamt und Parteiwahlkampf, und das Buch "Feindliche Übernahme" wird von der Sekunde der Auslieferung an diesem Donnerstag an ein Bestseller werden, weil der Koran für seinen Autor Sarrazin eine Funktion erfüllt wie der Tennisball für den Schläger. Niemand würde selbst den gewaltigsten Aufschlag loben, wenn der Spieler nur in die Luft haut.

Die Koran-Exegese dient der Ausweitung der biologistischen Kampfzone

Seit Wochen, nein, Monaten wird das Herannahen von Sarrazins jüngstem Werk mit nervöser Aufmerksamkeit bei den einen, mit Frohlocken bei den anderen begleitet. Wie Sarrazin gegen seinen Verlag Random House vor Gericht zog, weil dessen Tochter DVA zwar seinen ersten Bestseller "Deutschland schafft sich ab" und weitere Bücher herausgebracht hatte, aber das Manuskript von "Feindliche Übernahme" nach Abwägung von materiellem und immateriellem Schaden erst einmal lieber nicht drucken wollte; wie Sarrazin trotz des durchaus gierigen Prozessierens um Schadenersatz versuchte, den Anschein des Geschädigten aufrechtzuerhalten, nachdem er in dem Finanzbuch-Verlag aus der Bonnier-Gruppe längst ein anderes großes Haus gefunden hatte; wie die SPD den Ausschluss ihres Parteimitglieds erwog, verwarf, erwog, verwarf, und alles noch etwas quälender und weniger begründbar war als bei seinem ersten Bestseller. Dies alles ist nun Vergangenheit.

An diesem Donnerstag wird Sarrazin sein Buch in Berlin vorstellen, die Plätze für Journalisten sind überbucht. "Feindliche Übernahme. Wie der Islam den Fortschritt behindert und die Gesellschaft bedroht" ist das verlegerische Unglück dieses Jahres. Und wie bei jedem Unfall ist es schwer, die Augen abzuwenden.

Schauen wir also hin, sine ira et studio, ohne Zorn und Eifer, so lautet das Tacitus-Zitat, das Sarrazin seiner Koran-Lektüre voranstellt. Um die Aufrichtigkeit dieses Vorsatzes zu beurteilen, muss man wissen, dass Sarrazin den Koran nicht auf Arabisch, sondern einfach mal in der respektablen, wenn auch für Laien schwer zugänglichen Übersetzung von Rudolf Paret aus dem Jahr 1966 gelesen hat. Dabei ist keine Buchreligion so eng mit ihrer Sprache verbunden wie der Islam.

Sarrazin hat den Text gelesen, und nur den Text. Offenbarungszusammenhänge? Einordnung zumindest in die mekkanische und medinensische Phase, die den Propheten Mohammed vom Staatsgründer Mohammed trennt? Basiskenntnisse über die Arabische Halbinsel in der Spätantike? Das hat Sarrazin nicht nötig, gerade im unbelasteten Angang, so seine Argumentation, erkennt er den wahren Charakter des Korans und entlarvt ihn als "aggressiven, ungeordneten, emotionalen und wenig abstrakten Text". "Sehr schlicht" seien die religiösen Inhalte, oft gehe es um Hass und den Kampf gegen die Ungläubigen, manchmal auch um anderes. "Die Beschreibung des Paradieses soll zum Glauben verlocken, während umgekehrt die Beschreibung der Hölle durch Erzeugung von Angst vom Unglauben abschrecken soll." Kein Konfirmand hätte das treffender ausdrücken können, wenn auch über eine andere Hölle in einem anderen Buch.

Nun gibt es durchaus Muslime, die - wie Sarrazin - jede Historisierung und Kontextualisierung noch der blutrünstigsten Stellen ablehnen. Allerdings nicht sehr viele. Sie tragen meist lange Bärte und gelegentlich einen Sprengstoffgürtel.

Das Schlimmste sind ja nicht die sachlichen Fehler auf fast jeder Seite, zu deren geringsten gehört, dass Sarrazin Blasphemie und Apostasie verwechselt und die ungläubigen Schutzbefohlenen der Muslime "Djimmis" nennt - sie heißen "dhimmis". Es stimmt nicht, dass allen Muslimen die Heirat mit Ungläubigen verboten ist und muslimische Frauen sich nicht scheiden lassen können, die Genitalverstümmelung von Mädchen oder die Sklaverei sind keine exklusiv muslimischen Verbrechen, und, nein, das Christentum hat sich im Römischen Reich nicht völlig "gewaltfrei" entwickelt, was auch niemand behaupten würde, der je den Namen Hypatia von Alexandria gehört hat.

Und doch wäre all dies zu verschmerzen, auch das Kleinkarierte und Spröde der Sprache, die quälenden Redundanzen und die verklemmten Witze wären hinnehmbar, wenn man nicht davon ausgehen müsste, dass neben Rassisten und Rechten auch Menschen dieses Buch kaufen werden, die ehrliche Fragen an den Islam haben, die manches nicht verstehen, vielleicht fürchten und hier die schlechtesten aller Antworten finden. Die islamische Welt kenne bis ins 20. Jahrhundert weder Literatur noch planvollen Städtebau, behauptet Sarrazin: "Eine eigenständige islamische Baukultur hat sich nie entwickelt." Könnte man für solchen Unsinn ein lebenslanges Zutrittsverbot der Alhambra verhängen, es wäre mehr als verdient.

Und die britische oder französische Besatzung? Ein Glücksfall, immerhin kamen die Araber endlich in den Genuss von Wissenschaft und Technik. So klingt Herrenmenschendenken.

Es ist ja nicht richtig, dass Thilo Sarrazin als Erster versucht, den Rückstand der islamischen Welt durch Gründe innerhalb des Islam zu erklären. Die islamische Welt selbst zweifelt an ihrer Fortschrittsfähigkeit, spätestens seit Napoleon einen Fuß auf ägyptischen Boden gesetzt hat. Dan Diner beschreibt in seinem Buch "Versiegelte Zeit" mit großer Kenntnis, warum beispielsweise die islamische Welt den Buchdruck verschlief und den Rückstand nie wieder aufholte.

Aber Sarrazin interessiert sich nicht für den Islam als Religion, er interessiert sich für gar keine Religion. Zu seinen interessantesten Vorschlägen gehört die Forderung, den konfessionellen Religionsunterricht in den Schulen durch Ethikunterricht oder, jawohl, liebe Leser im Osten, "Staatsbürgerkunde" zu ersetzen. Für ihn ist der Islam kein Glauben, dem Strom der Geschichte ausgesetzt und veränderbar, sondern ein Schicksal, ein genetischer Defekt, der zu Demokratie-Unverträglichkeit und "unterdurchschnittlichen Bildungsleistungen" führt.

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Die primitive Koran-Exegese ist nur der Anlass für eine Ausweitung jener biologistischen Kampfzone, die anders als bei seinem ersten Buch nicht nur Deutschland umfasst, sondern den ganzen Kontinent: "Der demografische Strukturwandel und die Verwandlung der Deutschen zur Minderheit im eignen Land vollziehen sich weitaus schneller, als 2010 von mir unterstellt", was die "fühlbare Abnahme der kognitiven Fähigkeiten in Europa" zur Folge habe. Da ist er in seinem Element, kann mit Statistiken, dem CIA-Factbook und "Nettoreproduktionsraten" hantieren, um das Bild eines Kontinents zu entwerfen, der durch hochproduktive muslimische Gesellschaften von Afrika über den Nahen Osten bis nach Zentralasien eingekreist werde. Und so sehr ihn die Knechtung der muslimischen Frau dauert, so suspekt ist sie ihm doch wiederum als Mutter neuer kleiner Muslime.

Auf dem wachsenden Markt für Ängste muss die Dosis immer weiter erhöht werden

Denn irgendwann ist er unübersehbar, der kaum verdeckte Zuchtgedanke, der in seinem ersten Buch selbst wohlmeinende Leser konsternierte. Nur greift Sarrazin diesmal noch weiter aus und entwirft einen demografischen Konflikt im globalen Maßstab, eine Art eugenischen Weltbürgerkrieg. Angesichts dieser drohenden "demografischen Überwältigung" haben Deutschland und Europa mindestens "das Recht, ja sogar die Pflicht" zu handeln.

Aber ob ihm da alle folgen? Dass er in Kriminalitätsstatistiken und bei Bildungsabschlüssen die Religionszugehörigkeit messen will, ist ja das eine, auch das Kopftuchverbot an Schulen hätte sicherlich noch Chancen. Aber die Änderung der Genfer Konventionen? Die Unterbindung jeder Einwanderung von Muslimen? Oder die militärisch erzwungene Abschiebung von Flüchtlingen in die Herkunftsländer? Die Bereitschaft, einen militärischen Konflikt mit Libyen vom Zaun zu brechen, ist womöglich begrenzter, als Sarrazin das hofft.

Deutschland braucht dieses Buch so nötig wie einen Ebola-Ausbruch, und doch ist der Erfolg unabwendbar. Die zweitschlimmste Deutung dafür wäre, dass ein Autor auf einem gewachsenen Markt für Islamängste nur die alten Thesen in höheren Dosen anbietet.

Aber was, wenn viele das Buch gar nicht als Überdosis empfinden? Wenn ein Teil seines Erfolges gar nicht darauf zurückginge, dass die Leser ihre "berechtigten" Fragen an den Islam von Sarrazins biologistischen Übersteigerungen trennen, sondern, umgekehrt, Sarrazin gerade mit der Anrufung alter Ängste um Reinheit und Blut einen Nerv trifft? Wenn also, anders ausgedrückt, manche Vorbehalte gegen den Islam nichts mit Religion oder Kopftuch oder Terror zu tun haben, mit kultureller Überfremdung und schon gar nicht mit westlichen Werten, sondern darin eine uneingestandene Furcht zutage träte, etwas nie Bewältigtes, historisch Vererbtes, was jede Debatte über Integration zur Kulissenschieberei macht? Die Antwort auf diese Frage könnte unerträglich sein.

© SZ vom 30.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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