Neues Pop-Album:Wenn die Flut kommt

Die Münchner Band "Claire" legt mit ihrem neuen Album "Tide" ein komplexes Werk vor

Von Dirk Wagner

Mit ihrem Debütalbum "The Great Escape" gelang der Münchner Elektro-Pop-Formation Claire vor vier Jahren ein großartiger Einstieg in den Popmarkt. Unter anderem vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie unterstützt, präsentierte die Initiative Musik das Quintett 2014 sogar auf dem US-amerikanischen Festival SXSW in Austin, Texas. Ein halbes Jahr später wurde der auf Erfolgskurs befindlichen Band dann aber vor ihrem Auftritt in London der Bandbus samt Band-Equipment geklaut. Bus und Instrumente konnten ein halbes Jahr später in Litauen sichergestellt werden. Das erklärt die zeitweilige Zurückgezogenheit der Band, die ohne ihre Instrumente ja nicht auftreten konnte. Es erklärt aber nicht den aktuellen Wechsel der Band zu analogen Synthesizern, die im Gegensatz zum digitalen Erstling das zweite Album "Tides" bestimmen. Keyboarder Nepomuk Heller sagt dazu in einer Pressemitteilung: "Auf diese Art muss man sich gezwungenermaßen sehr viel Zeit für ein Lied nehmen und sich viel intensiver mit den Stücken beschäftigen, als wenn die Songs am Rechner entstehen."

Claire

Nasse Füße für die Kunst: "Claire" blicken in die Zukunft.

(Foto: Muffatwerk)

Die Bereitschaft, sich mit den neuen Stücken intensiver zu beschäftigen, verlangt die Gruppe aber auch ihren Hörern ab. Hooklines, wie sie die Band auf ihrem Debüt noch zu einem regelrechten Fischernetz knüpfte, sind auf "Tides" deutlich rarer geworden. Dafür wirkt es extremer in seinen Stimmungswechseln. Das bestätigt auch der Keyboarder Matthias Hauck: "Laute Songs sind richtig laut und tanzbar, leise Songs dagegen richtig leise und atmosphärisch. Es gibt keinen Mittelweg mehr." Stattdessen gibt es auch mal Störgeräusche, die in solchen Produktionen normalerweise vermieden werden. Das Album dankt ihnen eine geradezu absurde Natürlichkeit in jenem unnatürlichen Klangmeer, das auf "Tides" die Gezeiten auslotet.

So wie der Wattwanderer die Ebbe goutiert, derweil der Surfer die Flut präferiert, kann man auch die unterschiedlichen Songs gesondert genießen. Ihre lunisolare Konzeption erschließt sich aber erst beim aufmerksamen Hören des gesamten Albums, das auditiv den Einfluss des Mondes nicht nur auf die Ozeane nachzeichnet. Da der Mensch zu 80 Prozent aus Wasser besteht, beeinflusst der Mond möglicherweise auch dessen Spannungen, und eine als Burg gedachte Beziehung wird auch mal zum Gefängnis. Die Befreiung daraus stürzt ihn bisweilen in die emotionale Obdachlosigkeit. Von diesen Gefühlen singt die Claire-Sängerin Josie-Claire Bürkle.

Claire, Freitag, 5. Mai, 20 Uhr, Muffathalle

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