Süddeutsche Zeitung

Neues Museum: "Das Maximum":Kein Wort zur Kunst

Andy Warhol und Georg Baselitz mitten im Off: Auf der Landkarte der Kunst hatte Traunreut bislang nichts verloren. Doch genau dort, auf halber Strecke zwischen München und Salzburg, eröffnet am Sonntag eines der kompromisslosesten Museen der Gegenwart.

Laura Weissmüller

Auf der Landkarte der Kunst hatte Traunreut bislang nichts verloren. Die Kleinstadt war nicht einmal in den Tourismusbroschüren der Region zu finden, welche zu den schönsten Bayerns gehört, mit malerisch hingetupften Orten, prächtigen Kirchen und hügeligen Wiesen, deren Grün scheinbar niemals endet.

Mitten in dieser Idylle, auf halber Strecke zwischen München und Salzburg, liegt jedoch Traunreut mit dem Charme einer Sechziger Jahre-Plattenbausiedlung. Denn die Stadt ist jung: Vor dem Zweiten Weltkrieg existierte sie offiziell noch gar nicht - dafür aber eine große Heeresmunitionsanstalt, versteckt im Wald. Erst 1950 wurde sie zur Gemeinde, 1960 dann zur Stadt. Im Nachkriegsdeutschland entdeckte die Industrie Traunreut früh für ihre heute boomenden Unternehmen. Bosch-Siemens unterhält hier eine Firma, die auf die Entwicklung von Herden spezialisiert ist, Heidenhain, ein weltweit operierendes Unternehmen der Hightech-Industrie hat hier seinen Standort, und der Konzern Siteco, der ebenfalls zur Siemens-Familie gehört, stellt hier Beleuchtungstechnik her.

Gleich um die Ecke vom Chiemsee spielt Oberbayern also Ruhrgebiet: Traunreut hat auf den ersten Blick kein erkennbares Stadtzentrum, dafür mehrere Industrieparks und dröhnende Lastwagen als Dauerhintergrundgeräusch. Wer Traunreut ansteuert, der fährt zur Arbeit.

Doch mitten zwischen den metallen glänzenden Fabrikhallen gibt es ab diesen Sonntag etwas, das Kunstinteressierte vermutlich bald die Koordinaten von Traunreut in ihren Routenplaner eingeben lässt. Auf dem Schild, das nur auf ein weiteres Firmengelände hinzuweisen scheint, steht DASMAXIMUM. In Großbuchstaben. Natürlich. Für Heiner Friedrich konnte es nie groß genug sein.

Friedrich war schließlich der Mann, der in den sechziger Jahren zusammen mit seinem Freund Franz Dahlem eine Galerie gegründet hat und dort die bayerische Landeshauptstadt mit Kunst verschreckte, die man bis dahin nur in New York gesehen hatte - wenn überhaupt: Donald Judd, Andy Warhol und Cy Twombly zeigten dort ihre Arbeiten. Auch Sigmar Polke und Joseph Beuys wurden in der Maximilianstraße 15 zum ersten Mal ausgestellt und die "ganze Seuche der Earth Art", wie das der Journalist Wolfgang Christlieb 1969 in der Münchner Abendzeitung so nett formulierte.

Gerade die sogar: Friedrich, Sohn eines Industriellen und ohne große Nähe zur Kunst im oberbayerischen Kirchberg aufgewachsen, fand Gefallen an der so rigorosen wie absoluten Herangehensweise der Minimalisten und Land-Art-Künstler. Während München sich gerade noch daran gewöhnte, abstrakt zu sehen, forderten die ein Verständnis von Kunst, das weit über alles hinausging, was bislang die Schwelle der Ausstellungshäuser passieren durfte.

So füllte der Kalifornier Walter de Maria die Galerieräume Friedrichs 1968 mit Erde. "Münchner Erdraum" hieß die Installation schlicht, und so spektakulär die Ausstellung aus heutiger Sicht war, kaum jemand hat sie gesehen. In die Annalen der Kunstgeschichte ging die Installation trotzdem ein.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, warum das mit der Kunstvermittlung schwierig werden dürfte.

Aber das war Heiner Friedrich egal, genauso wie die Frage, ob sich so etwas überhaupt verkaufen ließ. Ihm ging es darum, Künstler, die er für gut befand, zu unterstützen; ihnen zu helfen, ihre Arbeiten zu realisieren und diese dann dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Egal wie. An diese Aufgabe macht sich der 73-Jährige bis heute in so einer manischen Kompromisslosigkeit, wie man sie eigentlich nur von Künstlern kennt.

Denn Heinrich Friedrich war auch derjenige, der Walter de Maria helfen wollte, Dutzende Meter tief in den Münchner Schuttberg zu graben. Finanziert werden sollte das teure Großprojekt im Rahmen der Olympischen Spiele 1972 als Kunst am Bau - damals die einzige Möglichkeit, öffentliche Fördermittel für zeitgenössische Kunst zu bekommen. Doch die Politik entschied sich dagegen, der "Vertikale Erdkilometer" wurde erst 1977 auf der Documenta 6 realisiert. Für Friedrich ein "tödlicher Schuss". Noch am Tag der Absage setzte er sich ins Flugzeug nach Amerika und wanderte aus.

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten passte zu Heiner Friedrichs Größenvorstellungen. Zusammen mit der Kunsthistorikerin Helen Winkler und seiner späteren Frau Philippa de Menil gründete er in New York 1974 die Dia Art Foundation, um Walter de Marias Projekt "The New Yorker Earth Room" dauerhaft zu erhalten. Dem hochtourig laufenden Ausstellungsbetrieb, in dem eine Schau die nächste jagte, wollten sie etwas Bleibendes entgegensetzen.

Schnell entwickelte sich aus der Foundation eine Institution, die in ihrem Mäzenatentum und vor allem mit dem Geld von de Menil, einer Erbin von Ölmilliardären aus Texas, so großartig wie wahnwitzig war: Projekte, "die wegen ihres Charakters oder ihrer Größe" keine Chance auf finanzielle Unterstützung hatten, fanden hier eine schier nie versiegende Geldquelle.

Mit den Millionen seiner Frau finanzierte Friedrich über die private Stiftung so gigantische Projekte wie die "Lightning Fields" von de Maria, ein 44 Quadratkilometer großes Hochplateau in New Mexico, auf dem der Künstler 400 Stahlpfähle montieren ließ, kaufte Donald Judd 140 Hektar Land inmitten von Wüste und Rinderherden, damit der dort sein Gesamtkunstwerk, das "Museum of the Pecos", verwirklichen durfte, oder spendierte Künstlern wie John Chamberlain und Dan Flavin ganze Häuser, wo sie machten, was sie wollten.

"In New York konnte auf einmal alles unternommen werden, was ich in München und Deutschland immer wieder versucht habe", sagt Heiner Friedrich, vier Jahrzehnte später. Seine heute etwas rundlichere Figur steckt in einem zerknitterten Leinenanzug, doch die Uhr am Handgelenk zeigt immer noch die New Yorker Zeit an. Und das, obwohl er schon seit einigen Tagen wieder zurück ist in der kunstaffinen Diaspora, diesmal in Traunreut.

Denn Friedrich hat die ehemaligen Fabrikhallen seines Vaters mit azurblauen Schindeln gedeckt, bunt gestrichen und in ein Privatmuseum verwandelt, in dem sich mühelos wichtige Etappen der amerikanischen und deutschen Kunst seit 1960 erfahren lassen und zwar so konzentriert, wie der ehemalige Galerist das immer wollte: Fast jeder Künstler hat hier einen Saal für sich.

Nichts lenkt von der Kunst ab

So darf sich Andy Warhol wandfüllend ausbreiten, mit Werkgruppen der achtziger Jahre und so großformatigen Gemälden wie "Camouflage". Als wollte sich das Bild selbst unsichtbar machen, imitiert es meterlang ein militärisches Tarnmuster. Eine Halle davor stimmt der deutsche Künstler und Beuys-Schüler Imi Knoebel mit "Fishing Blue", "Fishing Red" und "Fishing Yellow" einen Dreiklang an und antwortet mit der Arbeit "Ich nicht" selbstbewusst auf den Zyklus Barnett Newmanns "Who is afraid of Red, Yellow and Blue?"

Ein paar hundert Meter weiter dann - vorbei an dem früh verstorbenen Uwe Lausen, dem Künstlerfürsten Georg Baselitz und dem leider etwas zu zahlreich vertretenem Werk der deutschen Malerin Maria Zerres, deren Gemälde neben ihren prominenten Nachbarn verblassen, kann John Chamberlain seine frühen Stahlskulpturen großzügig in einer ganzen Halle verteilen, und die grandiose Arbeit von Dan Flavin "European Couples" von 1966 bis 1971 ist zum ersten Mal in vollem Umfang überhaupt zu sehen.

Wer die 2500 Quadratmeter der privat getragenen Stiftung durchwandert, für die Friedrich wieder mit Franz Dahlem zusammenarbeitet, merkt wie wohltuend es tatsächlich sein kann, wenn Künstler nur ein Gespräch mit sich selbst führen dürfen. In der Halle von Walter de Maria entsteht dadurch fast so etwas wie ein sakraler Raum. Unter dem wieder freigelegten Dachstuhl liegen dort drei Quadrate und drei Kreise aus blank poliertem Edelstahl flach auf dem Boden. Wie in Quecksilber spiegeln sich darin die dunklen Holzbalken und vor allem das Licht, das durch die vielen Fenster hereinbricht. Quadrat und Kreis wirken dadurch wie Energiefelder, die von unten zu strahlen scheinen.

Nichts lenkt im Maximum, einem Tageslichtmuseum, von der Kunst ab, der Betrachter ist mit ihr allein - ganz allein: Heiner Friedrich mag keine Werkangaben. Einführungstexte und Audioguides sind ihm ein Graus. Kein Wort zur Kunst, ist das Motto. Und man weiß schon jetzt, dass das schwierig werden dürfte, hier mitten im Industrieviertel, ohne jegliche Vermittlung, scheinbar Lichtjahre entfernt von der nächsten Galerie für zeitgenössische Kunst.

Aber Friedrich ist da kompromisslos, nicht zuletzt diese Haltung dürfte zum großen Desaster der Dia Art Foundation geführt haben, als im Jahr 1985 - nach mehr als 30 Millionen Dollar für die Kunst - die Stiftung vor der Pleite stand und Friedrich als Direktor zurücktreten musste.

Aber egal, ob Traunreut, New York oder New Mexico: Bei Heiner Friedrich geht es eben immer um die Kunst, nicht um den Betrachter. Der kann sich schließlich selbst helfen.

In die erste Version des Artikels haben sich leider einige Fehler eingeschlichen, die in der aktuellen Fassung korrigiert worden sind. So hieß es, dass die Munitionsfabrik in Traunreut im Krieg zerbombt wurde. Das ist falsch, die Heeresmunitionsanstalt St.Georgen wurde erst nach dem Krieg abgebaut.

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SZ vom 09.07.2011/rus
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