Süddeutsche Zeitung

Neues Magazin "Symbolia":Journalistische Artenvielfalt

Lesezeit: 5 min

Ein neues Magazin präsentiert journalistische Inhalte in interaktiver Comicform. "Symbolia" ist eine App, die bislang nur für das iPad produziert wird. In jeder der Reportagen gehts ums Leben, ums Überleben und ums Weiterleben.

Von Anja Perkuhn

Da sind Millionen zertretene Fischgräten anstelle von kalifornischem Strandsand. Da sind bleiche, blinde Fische im Kongo-Fluss, und da sind Inlineskatende Jugendliche im Nordirak, die ein Leben unter Saddam Hussein nicht mehr kennen.

In jedem der Comics geht es ums Überleben. Ums Leben, Weiterleben. Damit das deutlich wird, braucht Symbolia keine Farbfotos und keine spektakulären Videos, es reicht beispielsweise eine Audio-Datei, die nichts enthält als das Geräusch von knirschenden Schritten am toten Uferstreifen des Salton Sees, gebettet in klare, trocken und blass kolorierte Zeichnungen.

Symbolia ist eine Application, ein interaktives Magazin, das die beiden US-Amerikanerinnen Erin Polgreen, 30, und Joyce Rice, 25, bisher ausschließlich für das iPad produzieren. Es setzt sich zusammen aus großen, relativ zeitlosen journalistischen Reportagen in Comicform, die alle das selbe Thema bearbeiten aus jeweils eigenwilligen Blickwinkeln.

"Illustrated journalism"

Das Magazin ist kein simples Infotainment, kein Zwitter aus Nachricht und Unterhaltung, bei dem eine Blondine im Bikini in einen Kühlschrank steigt, um zu demonstrieren, dass es darin kühl ist. Es ist eine weitere Spielform des Versuchs, den Journalismus mit den Möglichkeiten der neuen Medien begreifen und ergreifen zu wollen - und ihn schön, optisch ansprechend zu machen.

"Illustrated journalism" nennt Erin Polgreen es, nach dem Vorbild eines Comicjournalismus, wie ihn beispielsweise der maltesisch-amerikanische Journalist Joe Sacco in den Neunzigern mit Büchern über palästinisch-israelische Beziehungen oder den Bosnienkrieg populär gemacht hat, Magazine und Zeitungen wie Harper's Magazine oder der Guardian öffneten sich für das Konzept.

"Comics erreichen etwas, das Aufnahmegeräte nicht erreichen können"

Die Kunst schafft hierbei den Zugang zu den Inhalten, "Comics erreichen etwas, das Aufnahmegeräte nicht erreichen können", sagt Polgreen, "sie vermenschlichen komplizierte Geschichten und erzählen in einem Bild mehr als ein Essay mit zehntausend Worten." Damit folgt sie der Grundidee des amerikanischen Comiczeichners und -theoretikers Scott McCloud, dass ein vereinfachtes Bild den Betrachter dazu bringt, sich in die Rolle des Reporters zu versetzen und die Themen dadurch anders zu betrachten als bisher.

Fünf Autoren oder Teams aus Journalisten und Comiczeichnern haben an der ersten Ausgabe mitgearbeitet, die Anfang Dezember erschienen ist unter dem Oberthema "How we survive". Die international wohl prominenteste von ihnen ist Sarah Glidden. Im vergangenen Jahr ist die 1980 geborene Künstlerin in den USA als Entdeckung gefeiert worden, in ihrem ersten Buch "Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger" (2011, Vertigo-Verlag) hat sie sich bereits mit dem Nahen Osten auseinandergesetzt, hat ihre Eindrücke von Israel und den dort lebenden Menschen aufgezeichnet in zart kolorierten Bildern.

Gliddens Beitrag zu Symbolia ist dann auch keine streng journalistische Arbeit und Faktensammlung, sondern eher wieder eine Art Reisetagebuch: Über ihren Besuch in Sulaymaniyah im Norden Iraks verknüpft sie graugetuscht die Vergangenheit der Region - 1988 veranlasste Saddam Husseins Cousin einen Giftgasangriff in der Stadt Halabja - mit deren Gegenwart, indem sie Zeitzeugen befragt, Museen besucht, Gedenkstätten in klaren Zeichnungen abbildet.

Glidden spart mögliche Anreicherungen, die das interaktive Format anbietet, aus und beschränkt sich auf die comichafte Aufarbeitung ihrer Geschichte, was "The Rollerbladers of Sulaymaniyah" zum Ruhepol der Ausgabe macht.

Ganz neue technische Möglichkeiten

Die anderen Beiträge dagegen spielen mit den technischen Möglichkeiten einer App: "Sea Change" von der amerikanischen Journalistin und politischen Cartoonistin Susie Cagle beschreibt ausführlich die Entwicklung des Salton Sees, der in den vergangenen Jahrzehnten versalzen und zu einem blinden Auge im Gesicht Kaliforniens geworden ist. Sie kombiniert Zeichnungen von ihren Interviewpartnern mit deren wichtigsten Zitaten in Sprechblasen, aber auch mit Audiodateien der Aussagen.

Dazu gibt es gezeichnete Landkarten mit Zusatzinformationen, die sich mit der üblichen iPad-Handbewegung hervorwischen lassen, mit Erklärtext, der über die petroltraurige Tiefe eines Sees getippt ist, einem Klangteppich aus Geräuschen vom größten See Kaliforniens und gezeichneten Graphen, die den Anstieg des Salzanteils im Wasser in den letzten hundert Jahren zeigen - und eben den knirschenden Schritten über die Gräten.

Illustrationen wie ein populärwissenschaftliches Geografiebuch

Die anderen drei Graphic Novels sind in Teamarbeit jeweils von einem Autoren und einem Zeichner entstanden. Sie sind von recht unterschiedlicher Qualität: Die Erklärung, wie Forscher herausfanden, dass der Congo River kein einförmiger Lebensraum ist, sondern aus verschiedenen Strömungsschichten mit großer Artenvielfalt besteht ("Secret Species in the Congo", Audrey Quinn/Kat Fajardo), ist ein Kurztext, der durch die simplen, erdfarbenen Illustrationen anmutet wie ein populärwissenschaftliches Geografiebuch.

Die Audiodateien liefern kein Zusatzmaterial, sondern unterstützen den lesefauleren Nutzer: Im Namen von Dr. Melanie Stiassny, der Protagonistin, wird der Text verlesen.

Der kleine Exkurs in die Bedeutung von Mikroben im menschlichen Körper am Beispiel des chinesischen Mikrobiologen Zhao Liping und seiner experimentellen Bittermelonen-und-Yam-Diät ("Live long, die quick", Lauren Sommer/Andy Warner) beschränkt sich ebenfalls auf die Möglichkeiten des Comics an sich: Jede der charmant-simplen Zeichnungen ist Unterstützung für den informativen Text darüber oder darunter; einzig die Effekte von Mikroben auf den menschlichen Körper haben ein paar Infokästen bekommen, die sich öffnen und schließen lassen.

Und die Kulturgeschichte der psychedelischen Rockmusik in Sambia ("Ask me about Psych Rock in Zambia", Chris A. Smith / Damien Scogin) lebt vor allem von den Musikerinterviews, mit denen sie angereichert ist; die drei farbstarken, kontrastreichen Comic-Bilder sind eher nettes Beiwerk.

Seit März 2012 haben die Journalistin Erin Polgreen und die Illustratorin Joyce Rice an der ersten Ausgabe gearbeitet. Der anfängliche Aufruf für Journalisten und Zeichner ging noch von einer amerikanischen Leserschaft als Zielgruppe aus, bis den beiden auffiel, dass die eingereichten Vorschläge für Reportagen, Essays oder Memoiren sich mit weltweiten Themen befassten.

"Das Projekt hat ein großes globales Potenzial", sagt Polgreen. "Der Markt für Comic-Journalismus ist da, vor allem in Europa scheint man dafür offen zu sein." Sie sucht deshalb jetzt nach Übersetzern, um Symbolia zum Beispiel auch für Frankreich attraktiv zu machen.

Emotionale Themen werden gesucht

Das Team will außerdem mit Buchverlegern zusammenarbeiten, vielleicht Workshops mit den Comiczeichnern vermitteln oder Autoren als Sprecher auf Tagungen. Denkbar sind auch Kooperationen mit anderen Medienunternehmen. Für die kommende Ausgabe hat beispielsweise ein Journalistenteam ein Thema beigesteuert, das eigentlich ein Randaspekt einer größeren Recherche ist, die das Team für einen spanischen Fernsehsender produziert.

Für Symbolia suchen die beiden Chefinnen nun vor allem emotionale Themen, erzählt um einige wenige Protagonisten, kleine Gemeinschaften oder Orte. "Die Leser müssen sich identifizieren mit dem Hauptcharakter, sich emotional anknüpfen", sagt Polgreen. Ob sie dieses Konzept beibehalten, werde man sehen. "Wir sind noch ganz am Anfang", sagt sie - und meint auch das Geschäftsmodell.

Die Zahlen der Leser steigen

Etwa 300 zahlende Leser hatte "How we survive" nach den ersten anderthalb Wochen im AppStore, 500 sind es inzwischen. Das Ziel für die nächsten sechs Monate sind 1500 zahlende Abonnenten, nach einem Jahr sollen es 3000 sein - ab dieser Zahl gäbe es den ersten Profit. Die erste Ausgabe "How we survive" ist noch kostenlos verfügbar sowohl für das iPad als auch im Pdf-Format für alle, die keinen Tablet-Computer besitzen. 3500 Mal wurden beide Versionen abgerufen.

Die im Zwei-Monats-Takt erscheinenden kommenden Ausgaben werden je 2,99 Dollar kosten, 11,99 Dollar für ein Jahresabo. Die nächsten zwei Ausgaben mit den Arbeitstiteln "We don't belong" und "The mating ritual" sind bereits in Produktion, der Etat für die einzelnen Ausgaben liegt zur Zeit bei etwa 1500 Dollar. Die Veröffentlichung von "We don't belong" in der ersten Februarwoche ist dann der offizielle, fliegende Start des gezeichneten Experiments.

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Quelle:
SZ vom 15.01.2013
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