Süddeutsche Zeitung

Neues Eminem-Album:Rap im Kamikaze-Flug

  • Der US-Rapper Eminem hat überraschend sein neues Album "Kamikaze" veröffentlicht.
  • Es soll eine Antwort sein auf alle Kritiker, die sein Vorgängeralbum "Revival" im vergangenen Jahr verrissen.
  • "Kamikaze" selbst ist ein strunzdummer Schwanzvergleich, mit seiner rhythmischen Bandbreite und Flexibilität beweist Eminem aber nichstdestotrotz, dass er noch immer in einer komplett eigenen Liga spielt.

Von Julian Dörr

Oh nein. Nicht der auch noch. Der US-amerikanische Rapper Eminem hat in der Nacht zum Freitag überraschend ein neues Album veröffentlicht, ohne Vorankündigung. Es ist sein zweites in nur acht Monaten, und die erste Zeile, an der man hängen bleibt, geht so: "My beef is more media journalists". Eminem hat also ein Problem mit Journalisten. Natürlich keimt da sofort die Befürchtung auf, ob er jetzt auch noch in Medienschelte macht? Kultur-Fake-News? Und das, nachdem er sich im vergangenen Jahr so klar und wortgewaltig gegen US-Präsident Donald Trump und dessen Anhänger gestellt hat?

Schnell noch mal zurückgespult also. Puh. Doch keine Rolle rückwärts. Der Kontext verrät: Trump ist immer noch der Feind, Agent Orange, der ihm den Secret Service auf den Hals hetzt. Aber warum ist Eminem dann so wütend? Warum wünscht er Journalisten den Genuss eines ganz besonderen genitalen Fleischgerichts? Die Antwort ist sympathisch banal: Er habe so viel riskiert, erklärt er im Eröffnungssong "The Ringer", er habe seine Fans verprellt, die zu großen Teilen ja auch Trump-Fans sind, er habe richtige und wichtige Dinge gesagt. Und dann finden die Journalisten sein Album "Revival" trotzdem einfach doof.

Das Richtige zu tun, reicht also nicht für Eminem. Er will auch Applaus dafür. Was bitte nicht falsch zu verstehen ist. Es ist gerade dieser von Selbstsucht durchtränkte Geltungswahn, der Eminem zu einem sehr guten Rapper und "Kamikaze" (Interscope) zu einer ziemlich guten Rap-Platte macht. Denn Eminem hat sein neues Album aus dem vielleicht besten Grund aufgenommen, den es für einen Musiker geben kann: Weil die Leute sein vorheriges schlecht fanden. Fehde statt politschem Statement. Rückzug ins Private statt Gesellschaftskritik. Das kann man nun bedauernswert finden. Trotzdem, oder gerade deswegen, ist "Kamikaze" sehr unterhaltsam. Es kommen noch ein paar Hasstiraden, dann hört man plötzlich eine Sprachnachricht von Manager Paul Rosenberg, der von der Idee eines Rachealbums wenig begeistert ist. Was solle denn dann als nächstes kommen? Etwa "Kamikaze 2", das Album, auf dem Eminem jedem antwortet, der das Album nicht mochte, auf dem er jedem antwortete, der das Album davor nicht mochte?

Eminem fliegt den Rap mit ausgestrecktem Mittelfinger und absoluter Technikkontrolle gegen die Wand

Aber genau das macht der Rapper. Neben Donald Trump und den Medien bekommt das halbe Rap-Business im Vorbeitiefflug eine Klatsche. Denn Eminem hasst den Gleichklang, der so viele zeitgenössische Rap-Produktionen eint. "Do you have any idea how much I hate this choppy flow/ Everyone copies though?", rappt er auf "The Ringer", und das beachtenswerte ist, dass Eminem für diese zwei Zeilen genau das ausstellt, was er so verachtet, nämlich den "choppy flow", den abgehakten Duktus der Trap-Triolen.

Man kann Eminem viel vorwerfen, seine leicht altbackenen Produktionen, seine Beats, die sich auf einem guten, aber unspektakulären Qualitätsniveau eingependelt haben. Aber mit seiner rhythmischen Bandbreite und Flexibilität tänzelt der 45-Jährige noch immer in einer komplett eigenen Liga. Das kann keiner, wirklich keiner so wie er. Alles an dieser Platte ist, im übertragenen Sinne, ein Schwanzvergleich. Wobei, im Titeltrack "Kamikaze" wird es wortwörtlich einer: "I'm no conspiracy theorist but something here is afoot/ Oh, yeah, it's my dick/ Get the measurement stick/ Twelve inches of wood".

Eminems neues Album ist damit über weite Strecken tatsächlich einfach strunzdumm, verfolgt diese Einfältigkeit aber mit einer sturen Konsequenz, der man fast schon wieder Respekt zollen kann. Eminem fährt beziehungsweise fliegt den Rap mit ausgestrecktem Mittelfinger und absoluter Technikkontrolle gegen die Wand, wie der Düsenjäger auf dem Cover von "Kamikaze". Eine kleine Anspielung auf das Plattencover von "Licensed to Ill" von den Beastie Boys, die Eminem verehrt, wie er in einem Interview verriet.

Das ist natürlich alles großes Theater, denn am Ende ist ihm schließlich überhaupt nichts egal. "Kamikaze" ist das Produkt einer ernsthaften Kränkung, die den Rapper so tief schmerzt, dass er in einem kleinen Zwischenspiel, wiederum auf dem Anrufbeantworter seines Managers, erklärt, er habe eben nicht, wie ein Kritiker ihm vorhielt, den einfachen Reim von "rhymes" mit "chimes" gewählt, er habe natürlich den ganzen verdammten Satz in sich reimen lassen. Und jetzt habe er die Adresse dieses Typens in Michigan rausgefunden und sei auf dem Weg zu ihm. Wie es scheint, teilen Trump und Eminem mehr als nur eine gemeinsame Fanbasis. Impulsive Narzissten sind sie beide auch.

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SZ vom 01.09.2018/doer
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