Neues Buch von Max Goldt:Warum ein Mann 80 werden sollte

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Der glänzende Nebensächlichkeitenbeobachter Max Goldt berichtet in seinem neuen Buch "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" von ebensolchen und anderem Ungemach. Ein großer Spaß - mit kleinen Abstrichen.

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Es ist nochmal warm in Berlin an diesem Septemberabend, die Besucher kuscheln sich in die laue Luft vor dem Berliner Ensemble - in wohliger Erwartung dessen, was die Nacht noch bringen wird. Die meisten kennen es schon und sind doch neugierig. Weil sie wissen: Es wird ein bisschen anders als beim letzten Mal - und doch vertraut.

Der Berliner Autor Max Goldt ist zu Gast und er hat mal wieder ein neues Buch dabei. "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" ist bereits sein 26., nicht mitgezählt die Comics (mit Stephan Katz) und Hörspiele. Beim Titel hat er sich nun nicht mal mehr die Mühe gegeben, einen gänzlich neuartigen zu wählen (wie bei seinen Büchern "Ä" oder "Gattin aus Holzabfällen", für deren Originalität er bekannt ist), eines seiner letzten Bücher trug ebenfalls die Vorgesetzte im Titel ("Die Chefin verzichtet", 2010).

Gestelzt versus tumb

Seine Leser wissen, was sie von Goldt (der mit richtigem Namen Matthias Ernst heißt, aber das passt nun wirklich nicht) zu erwarten haben, nämlich: alles andere als Ernst. Wohl aber eine sehr gediegene Sprache, konterkariert mit sowohl Beobachtungen als auch tumben Phrasen aus einem deutschen Alltag, den er karikiert. Und somit auch sich selbst. Kaum ein Autor weit und breit, der so lustvoll und konsequent ins Nebensächliche abdriftet, um dabei en passant fundamentale Fragen des Menschlichen zu berühren.

Kleine Kostprobe aus dem neuen Buch:

Warum ein Mann 80 werden sollte

Mit 30 blickt man am Pissoir an einem straffen Leib herunter. Mit 40 kann man wegen des dick gewordenen Bauches seinen Penis nicht mehr sehen. Mit 50 kann man wegen des Herrenbusens seinen Bauch nicht mehr sehen. Mit 60 kann man aufgrund seines Doppelkinns seinen Busen nicht mehr sehen. Mit 70 kann man wegen seiner Tränensäcke sein Doppelkinn nicht mehr sehen. Mit 80 kriegt man, statistisch gesehen zumindest, Krebs, wird dünner und sieht wieder alles.

Immer spielt der oft schwarze Humor bei Max Goldt die größte Rolle, gestützt durch scharfe Beobachtungen, gewürzt mit absurden Übertreibungen oder Wendungen.

Zweite Kostprobe:

Neulich hatten wir ja in Brandenburg innerhalb eines einzigen Jahres die meisten aufeinanderfolgenden sonnenscheinlosen Tage seit Beginn der Wetteraufzeichnungen (19 nämlich), das kälteste Ostern seit 1954, den wärmsten Mai seit 1909, den windigsten 17. September seit 1977. Alles schön und gut. Doch wann fand eigentlich die letzte öffentliche Hinrichtung von eineiigen Zwillingen statt?

Die Einordnung dieser Späße mit ernstem Hintergrund überlässt Goldt seinen Lesern. Ob sie also nun herauslesen, das Männer jämmerliche Geschöpfe und die Verbreitung statistischer Wetterstandsmeldungen eine so lächerliche wie lästige Angelegenheit seien, oder aber die Hingeworfenheit des Menschen in die Welt im Allgemeinen und das schlechte Wetter im Besonderen mit beklagen wollen - Goldts Leser dürfen sich das aussuchen.

Vielleicht deshalb sind bei der voll besetzten Lesung zur Vorstellung seines neuen Buches in Berlin die Besucher so unterschiedlich involviert: Manche brüllen vor Lachen, wann immer es geht (anderthalb Stunden), andere amüsieren sich leise an anderthalb Stellen und lauschen ansonsten ehrfürchtig seiner Sprachgewalt, die sich regelmäßig ins Absurde flüchtet. Für beide hat der Autor gesorgt - für diejenigen, die ihn wegen seines Witzes schätzen, und für diejenigen, die Gefallen an prächtiger Formulierungskunst finden.

Bei der Lesung kommen außerdem die auf ihre Kosten, die den leicht theatralischen Auftritt des Autors lieben, der ein Gedicht über eine 24-Stunden-Diät singend vorträgt. Da wird sogar die schlichte Beobachtung, dass er früher die Redewendung "Einen Toast auf jemanden ausbringen" als "Einen Toast auf jemandem auswringen" falsch verstanden habe, was gelesen eher platt wirkt, live zum Lacher. An diesem Abend ist Max Goldt in Bestform, was man von seinem neuen Buch nicht ganz behaupten kann.

Die Bestform trifft darin allerdings auf die Form zu. Mit dem Berliner Drucker Martin Z. Schröder (der sich darüber im Vorwort auslässt) hat Goldt "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" zu einer optisch durchaus eindrucksvollen Reproduktionssammlung einer Reihe von älteren Texten gemacht. Typografisch und auch sprachlich ist das interessant und auch hübsch anzusehen, wenn kleine Verse oder Kurzgeschichten durch Sütterlin, spiralenförmig versetzte Buchstaben oder spielerische Schriftformen neu hervorgehoben werden. Es passt außerdem zum spielerischen Geist des Autors, der gerne verschiedene Kunstformen ausprobiert, und zu seiner oft herrlich altmodischen Ausdrucksweise. Und es pariert so nett diverse Schlüpfrigkeiten.

"Der witzigste, der je in dieser Sprache geschrieben hat"

Inhaltlich dagegen dürstet man inzwischen doch nach mehr Neuem bei Max Goldt. Die meisten seiner Bücher sind ohnehin Sammlungen älterer Titanic-Kolumnen, nun auch noch diese Sammlung von "Faksimile typografischer Sammlerstücke": Es wäre schon schön, wenn der Autor mal ein Buch ganz neuen Inhalts schriebe.

Vielleicht ist das vermessen. Bis und seit Max Goldt 2008 der Kleist-Preis verliehen wurde, sind so viele Bücher, Kolumnen, Lieder, Comics und Hörspiele mit und von ihm veröffentlicht worden, dass Schriftstellerkollege Daniel Kehlmann ihn in seiner Lobesrede einen der "bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Gegenwart" nannte und darüberhinaus sogar "vielleicht den witzigsten, der je in dieser Sprache geschrieben hat". Das muss man nun wirklich erst mal schaffen.

Womöglich aber muss Goldt, 55, für Neues auch erst 80 werden. In dem Alter sieht man als Mann, wie wir nun wissen, wieder mehr.

Das Buch "Chefinnen in bodenlangen Jeansröcken" von Max Goldt erscheint an diesem Freitag (Rowohlt, Hardcover, 25 Euro).

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