Neues Buch von Matthias Matussek:Ihr Kinderlein frommet

Mit seinem "Katholischen Abenteuer" ist Kirchenfan Matthias Matussek vor einem Jahr vor allem durch die Talkshows gezogen. Jetzt aber! Neuer Versuch, neues religiöses Abenteuer, mit 58 Jahren pressiert's wohl. In "Die Apokalypse nach Richard" vereint er die Familie unterm Weihnachtsbaum - eine schöne Bescherung mit viel Lametta und verschmortem Gänsebraten.

Rudolf Neumaier

Weihnachtlich geschmücktes Haus

Weihnachtlich geschmücktes Haus - Matthias Matussek bringt ein Buch zur Saison heraus

(Foto: dpa/dpaweb)

Matthias Matussek, der katholische Abenteurer, begibt sich auf die nächste Mission. Ein Jahr nach seiner Wutpredigt erzählt der Kirchenfan aus der Kultur-Redaktion des Spiegel "eine festliche Geschichte"; der sogenannten Provokation folgt nun eine Fiktion. "Die Apokalypse nach Richard" nennt Matussek dieses Stück aus zehn Episoden. Aber Apokalypse? Warum so negativ? Im Matussek-Kosmos würde diese Art von Erbauungsbüchlein auch als Evangelium durchgehen. Oder, wenn wir fromm dem Papst folgen wollen: als Neuevangelisierung.

Keine Frage, Matussek ist mit seinem "Katholischen Abenteuer" fulminant in eine publizistische Marktlücke geprescht. Auf die Idee, den eigenen Glauben als Unerhörtheit, als absolute Sensation zu verkaufen, war bis dahin noch keiner gekommen. Außer Gloria von Thurn und Taxis natürlich. Aber weil der Journalist argumentativ nicht allzu weit über das Niveau der sogenannten Fürstenwitwe hinauskam, wurde seine Haltung vor allem in Talkshows diskutiert, die einen lauten, bissigen Diskutanten brauchten. Da saß er dann, schimpfte aufs Stichwort. Und die kreuzbraven Katholiken, die seit Jahr und Tag in die Kirche gehen und zur Beichte und unter manch eitlem Amtskleriker leiden, die wunderten sich nur, warum einer von ihnen die Abgründe, die Exzesse, die Dekadenz, die er überwunden zu haben glaubt, so billig mit dem Geheimnis des Glaubens im Schaufenster ausstellen muss.

Wieder übers Ziel hinaus

Gut, er legte Zeugnis ab. Aber muss es so schmierig sein, und wenn Kirchengegner in der Runde sitzen, so grimmig? Bei Theologen fiel Matussek allerdings aus anderen Gründen durch: erst einmal wegen seiner Ahnungslosigkeit - und dann wegen seiner unfassbaren Eitelkeit. "Seine ,Abenteuer' des Glaubens finden nur im Dschungelcamp der medialen Aufmerksamkeitssucht statt", schrieb Friedrich Wilhelm Graf, protestantischer Gelehrter, in der FAZ, "aber dass amor sui, eitle Selbstliebe, nur Sünde ist, hätte er im katholischen Erwachsenenkatechismus lesen können."

Jetzt aber! Neuer Versuch, neues religiöses Abenteuer, mit 58 Jahren pressiert's wohl. Hat er sich den Katechismus inzwischen vorgenommen? Eher nicht. Aber der Debattenboxer wird zum Literaten, und das ist schon ein beträchtlicher Fortschritt. Matussek schlägt sanftere Töne an. Stellenweise ist seine Geschichte edelfederleicht hingetupft. Wenn er aus Exposition heraus- und ins Erzählen hineinkommt, wenn die Handlung Fahrt aufnimmt, wirkt die Geschichte sogar unaufdringlich. Würde Matussek auf prollige Einwürfe, auf das Zurschaustellen von Halbwissen über Theologen wie Blaise Pascal und Martin Buber, auf Polemiken gegen Priesterinitiativen, "Schwulen- oder Frauengottesdienste" und Heiner Geißler verzichten - die Geschichte könnte ihren missionarischen Zweck erfüllen. Doch mit unnötigen Provokationen ballert Matussek wieder übers Ziel hinaus.

Beschwerlich ist das Leben der säkularen Menschen

Immerhin wirkt Heiner Geißler in dieser Fabel noch recht rege und tingelt durch die Talkshows. Der heutige Papst, also Benedikt XVI., ist nicht mehr im Amt in der Zeit, in der die Geschichte spielt -"resigniert zurückgetreten". Ein Chinese ist ihm nachgefolgt. Aber Heiner Geißler sitzt noch im Fernsehstudio: "Kürzlich", schreibt Matussek, habe sich Geißler wieder mit seinem TV-Opportunismus und mit der Beteuerung hervorgetan, er habe schon länger nicht gesündigt. Kürzlich? Das Gleiche sagte Geißler im vergangenen April bei Anne Will, als ihm Matussek gegenübersaß. Aber egal, Matussek beruft sich auf seine Phantasie, alle Ähnlichkeiten mit der Wirklichkeit seien zufällig. Noch dazu, wenn in Form von Weltraumschrott, der die Menschen bedroht, und denkenden Scheibenwischern Science-Fiction dazukommt. Ja, es geht dem Ende zu, die Welt geht unter. Wappnet euch! Betet!

Wie Richard, der Held. Richard ist 85 Jahre alt und lebt mit seiner Frau Waltraud in Hamburg. Dass er allmählich dement wird, erträgt er mit Gottvertrauen. Solche Männer, solche Zeugen braucht die Kirche. Kreuzbrav, standfest, uneitel - wenn sich weltoffene Katholiken wünschen, dass die Priesterweihe auch für rechtschaffene verheiratete Männer, für viri probati, ermöglicht werden müsste, dann meinen sie genau solche Figuren wie Richard. Aber in Religionsfragen hält Matussek, der Zölibatszerberus, die Weltoffenen für Idioten. "Sind wir in der Modebranche oder beim Glauben?" Solche Sätze legt er seinem Alter Ego in den Mund, Richards Sohn Roman, preisgekrönter Reporter in Berlin, der es spielend unter einen Hut kriegt, zu kiffen, zu vögeln und wider den Stachel der Kirchenkritiker zu löcken. Roman, der Großstadtmärtyrer: Auch er hat ein Buch über seinen Glauben geschrieben, sein katholisches Abenteuer - seitdem meiden ihn die Kollegen.

Lametta leuchtet und die Gans verbrennt

Weiter im Aufgebot um Richard: Romans Sohn (und Richards Enkel) Nick, ein armer Bursche im Jesuiten-Internat; Nicks Mutter Rita, die sich von Roman getrennt hat und mit einem unsympathischen Arzt zusammenlebt, Romans Bruder Bill und seine Frau Karin. Bill ist Banker und besitzt Anwesen in Garmisch und Kitzbühel, beide mit Naturpool. Die Fahrt auf dem Beifahrersitz neben ihm ist für die hochschwangere Karin so anstrengend wie Marias Eseltrip nach Bethlehem.

Beschwerlich ist das Leben dieser säkularen Menschen, bis sie heimfinden zu Richard. Zu Gott. Sie kommen alle heil in Hamburg an, die ganze Familie. Es wird gemütlich, was für ein Weihnachtsfest - ein Wunder! Matussek lässt die Domspatzen singen, Lametta leuchten und die Gans verbrennen. Roman, der Trotzkopf, der alles kritisch sieht außer dem konservativen Katholizismus, gelangt zur Erkenntnis, dass "Stille Nacht, heilige Nacht" zweifelsohne "andauernder und nachhaltiger und wirkungsvoller" sei als die "Internationale". Dort heißt es: "Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser noch Tribun. Uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun!" Jetzt aber zieht Matthias Matussek den Joker für die Ewigkeit: den holden Knaben im lockigen Haar. Mit ihm will Matussek seine Leser auf den rechten Weg bringen. Weihnachtsmusik und Lebkuchen sind gute Hilfsmittel bei der Lektüre, aber eigentlich ist es dafür noch einige Wochen zu früh.

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