Interview-Buch mit Loriot:Interviews mit einem Ungeschwätzigen

Der Rest ist Lachen: Ein jetzt erschienener Band versammelt Interviews mit dem größten deutschen Humoristen und rundet das Bild des ernsten Spaß-Architekten. Loriot gibt auch einige Einblicke in seine souverän gepflegte Privatheit.

Hilmar Klute

Loriot war ein soignierter Herr, einer, dem man ansah, dass er ungern Einblicke in das Innere des Vicco von Bülow zuließ. Wenn einer das Recht hatte, indiskret zu sein, die Distinguiertheit der Bürger zu brechen und in eine bis heute unfassbare Komik zu überführen, dann war es Loriot selbst in seinen Zeichnungen, Sketchen und Filmen. Als er im Spätsommer dieses Jahres starb, konnten selbst die eifrigsten Wanzen des deutschen Boulevards nichts Nennenswertes über seine letzten Stunden berichten.

Loriot, 1996

Loriot mit einem seiner berühmten Knollennasenmännchen.

(Foto: AP)

Dieser souverän gepflegten Privatheit, der Angemessenheit, mit der Loriot die neugierigen Fragen über sein wahres Selbst aufnahm und in elegantes Understatement verwandeln konnte, ist jetzt in einer schönen Interview-Sammlung nachzuspüren, die Loriots Freund Daniel Keel unter dem Titel "Sagen Sie jetzt nichts" bei Diogenes noch mit herausgegeben hat. Der große Verleger starb drei Wochen nach seinem Hausautor - der nebenbei wohl einer der drei, vier wichtigsten und ertragreichsten für Diogenes war. Jedem dieser Gespräche ist eine gewisse Unbehaglichkeit des Interviewten anzumerken, und es sind nicht wenige Stellen, in denen es aus Loriot herausbricht: Der größte, ach, was, der einzige Nachteil des schönen Ruhms ist die lästige Pflicht, Fragen zu Leben und Werk beantworten zu müssen. Es ist gleichwohl interessant zu sehen, dass ausgerechnet einer der Ungeschwätzigsten, die wir hatten, die genauesten, beredtesten und klügsten Auskünfte zu unseren Zeitläuften gibt und zudem präzise die Koordinaten unserer Humorlage setzt.

Die deutsche Jammerlappigkeit hatte nach dem Tode Loriots wieder ihre große Stunde. Der letzte Humorist sei gestorben, hieß es, einer, der den Deutschen die Humorbilanz gesichert habe, nach ihm gebe es nur noch Comedy und Männer-Klo-Witze, mit denen ein grungebärtiger Prolet die Olympiahalle füllt. Loriot hat die Deutschen immer wieder dahingehend beruhigt, dass sie schon Humor hätten, nur eben eine andere Sorte davon. Wo dieser in gekonnten Zynismus umschlägt, seien sie ungern dabei, anders als die Engländer mit ihrer Ohrfeigenkomik.

Loriot liebte ja vielmehr den Gedanken, dass Humor keine Gabe ist, die einem in die Wiege gelegt oder mit einer bestimmten Volkszugehörigkeit aufgesogen wird. Humor ist eine Technik, und die Komik, die angeblich in den täglichen Vorgängen liege, gibt es überhaupt nicht. In einem Gespräch mit Gero von Boehm hat Loriot das sehr klar gesagt: "Aber ich bin nie wie Harun-al Raschid durch die Straßen gegangen, um zu beobachten, ob nicht irgendwo etwas Komisches passiert. Jede Art der Komik, die man wiedergeben will, ist eine Konstruktion und geht über den Intellekt."

"Wir haben uns zu Tode geschämt"

Es gibt einige Mitschriften von Fernseh-Interviews in diesem Band, deren Bilder auch auf Youtube abrufbar sind, zum Beispiel das Gespräch mit Axel Corti aus dem Jahr 1988. Es ist hübsch anzusehen, wie sich Corti ins Zeug legt und mit der reichlich ausgestellten künstlichen Souveränität des umfassend Informierten in den Humoristen dringt, um ihn zu Bekenntnissen zu bewegen, die man bislang nicht gehört hat. Tatsächlich gelingt es Corti, Loriot zu einer ausführlichen Schilderung der Reichspogromnacht zu bewegen, die dieser als Fünfzehnjähriger in Stuttgart erlebt hat. "Wir haben uns zu Tode geschämt", sagt der Humorist, aber er verwahrt sich auch dagegen, mit all jenen in einen Topf geworfen zu werden, die früh von sich behaupteten, sie "hätten davon Abstand genommen". Vicco von Bülows Haltung zu seiner Zeit als Soldat war immer schambesetzt. An anderer Stelle in diesem Buch verneint er die Frage, ob er ein guter Soldat gewesen sei, mit der Replik, er hätte dazu wohl zu den Männern des 20. Juli gehören müssen. Und weil, wie gesagt, die große Komik aus dem Ernst geschöpft wird, kann Loriot auf die Frage nach seinem sportlichen Ehrgeiz antworten: "Wenn Sie den Krieg als Sport bezeichnen wollen, dann habe ich mich dort ziemlich bewegt."

Das mit der Muttermilch eingesogene Preußentum, das während der Kindheit schon im Halbschatten stehende Berliner Großbürgertum und die mit leichter Pose verkörperte Unzeitgemäßheit - all dies kehrt in den Interviews und Fragebögen immer wieder und rundet das Bild des ernsten Spaß-Architekten, der sich von Parteipolitik fernhält, Ideologien verabscheut und dem Fortschritt seine große Komödie des täglichen Scheiterns entgegenstellt.

All dies bedeutet aber nicht, dass dieses Buch nicht auch an vielen Stellen sehr komisch ist. Etwa wenn der Gastrosoph Wolfram Siebeck bei Loriot dessen kulinarische Vorlieben abfragt: "Woran denken Sie bei ,Nouvelle Cuisine'"? - "An eine spät geborene Verwandte zweiten Grades." Es ist schön und erstaunlich zu sehen, wie Vicco von Bülow auf viele Fragen in seinem auf sprachliche Rundung getrimmten Loriot-Ton antwortet. Das macht dieses Interviewbuch - ach, auf das Elend von Interview-Büchern müsste man auch einmal etwas ausführlicher eingehen - zu einem genuinen Loriot-Prosaband. "Früher", so sagt er einmal über die Vorzüge der modernen Flugtechnik, "früher, als die Maschinen noch schwankend durch die Wolken flogen, war ich genötigt, mein Wohlbefinden durch die orale Benutzung von Tüten abzusichern."

Vermutlich benötigen wir überhaupt keine Biographie von Loriot, obwohl dieser Tage eine mehr oder weniger ausführliche Lebensbeschreibung erschienen ist. Was es über das Leben des Vicco von Bülow zu wissen gibt, hat er selbst in den Gesprächen mit anderen erzählt. Der Rest ist Lachen.

LORIOT: Bitte sagen Sie jetzt nichts. Gespräche. Diogenes Verlag, Zürich 2011. 256 Seiten, 21,90 Euro.

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