Neues Buch über Scientology:Ein cruiseliger Verein

Der Promis liebste Sekte: Ein neues Buch gibt darüber Auskunft, wie der "Sektenkonzern" die Welt erobern will.

Philipp Mattheis

Im Jahr 2005 lief eine der lustigsten Folgen der Zeichentrickserie "South Park". In der Gastrolle: Der Sunnyboy-Schauspieler und bekennende Scientologe Tom Cruise, über den seit Beginn seiner Karriere gemunkelt wird, er sei homosexuell.

Neues Buch über Scientology: Tom Cruise ist das berühmteste Aushängeschild von Scientology. Das ist Unglück und Segen zugleich.

Tom Cruise ist das berühmteste Aushängeschild von Scientology. Das ist Unglück und Segen zugleich.

(Foto: Foto: ap)

Tom Cruise versteckt sich nahezu die gesamten Serienfolgen über in einem Kleiderschrank, auf Englisch "closet". Das hat zur Folge, dass ihm von allen Figuren immer wieder zugerufen wird: "Tom, come out of the closet!" Ein Satz, der auch als Aufforderung zum Outing verstanden werden kann. Die Serie sorgte für Wirbel - auch deshalb, weil der Koch in der Serie von dem kürzlich verstorbenen Soul-Sänger und Scientologen Isaac Hayes gesprochen wird.

"South Park" ist für seinen tiefschwarzen Humor bekannt. Wertvorstellungen von Christen, Juden und Moslems werden am laufenden Band aufs Korn genommen. Doch als Hayes sich in seinen religiösen Gefühlen als Scientologe verletzt sah, kündigt er seinen Vertrag als Sprecher. Homosexualität gilt bei Scientology als gefährliche Krankheit.

Ausführlich wird diese Episode im neu erschienenen Buch "Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will" geschildert. Geschrieben haben es die Journalisten Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck, die sich seit Anfang der neunziger Jahre mit der dubiosen Organisation beschäftigen und schon mehrere Bücher über Scientology verfasst haben. Ihr neuestes Werk ist zweierlei: eine Bestandsaufnahme von gut 50 Jahren Scientology und eine Kampfansage gegen die "Psychosekte".

Heißer Sommer

Es gibt genug Anlass, dieses Buch gerade jetzt herauszubringen. Gerade, was die Kontroverse um die Organisation in den letzten Monaten betrifft, kommt man um das Thema Tom Cruise nicht herum.

Ihren vorläufigen Höhepunkt erreichte die Diskussion im Sommer 2007, als bekanntwurde: Der Beau aus Hollywood spielt den von Teilen der deutschen Bevölkerung als quasi Nationalheiligen verehrten Hitler-Attentäter Stauffenberg. Darf "so jemand" "unseren" Stauffenberg spielen?

"So jemand" bezog sich auf die - und auch folgendes Wort ist umstritten - "Religionszugehörigkeit" des Schauspielers. Sie sollte eigentlich nicht Teil der Qualifikation für eine Rolle sein, aber so mokierten sich die Kritiker: Wie kann der Anhänger einer totalitären Sekte den Freiheitskämpfer Stauffenberg spielen, der im Kampf gegen ein totalitäres Regime sein Leben opferte?

Während FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher den Mimen Cruise bei der "Bambi"-Verleihung in den Himmel lobte, liefen Scientology-Kritiker Sturm - allen voran Ursula Caberta, Leiterin der Hamburger Arbeitsgruppe Scientology und Erzfeindin der Organisation.

Der vielleicht vernünftigste Einwurf in die Debatte stammte damals von Zeit-Autor Jens Jessen. Er gab zu bedenken: Das Zeichen ist nicht das Bezeichnete und der Schauspieler nicht die Figur, die er darstellt. Seitdem hatte das Projekt "Valkyrie", das für so viel Furore sorgte, einige irdische Probleme zu bewältigen. Und das ehemalige "Aushängeschild der Sekte", Tom Cruise, hat sich zum PR-Gau für Scientology entwickelt.

Im ersten Kapitel ihres 600-Seiten-Werks zeichnen die beiden Autoren akribisch den "heißen Sommer" 2007 nach - und sparen dabei nicht an Häme. "Aus einem anderen als dem neonationalen Blickwinkel wirkte Frank Schirrmacher in jenen Stauffenberg- und Bambi-Tagen wie ein von der Sekte gesteuerter Einflussagent", heißt es gleich zu Beginn auf Seite 22.

Lesen Sie auf Seite zwei, wie Scientology eine Frau nach einem Autounfall zu Tode "therapiert" haben soll.

Ein cruiseliger Verein

Eine große Front in diesem "Glaubenskrieg" verläuft quer durch Deutschland. 2006 eröffnete Scientology in Berlin ein sogenanntes Celebrity Center - die beiden Autoren haben diesem Thema ein eigenes, 70 Seiten umfassendes Kapital gewidmet.

Aber auch Tom Cruise ist in seiner Rolle als inoffizieller Werbeträger für Scientology kein Einzelfall. Hollywood und seine Stars gehören zum Hauptmissionsgebiet der 1954 vom Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard gegründeten Organisation, deren Status seit Gründung zwischen Unternehmen und Religion schwankt.

Mit der von Hubbard pseudowissenschaftlichen Methode namens "Dianetik" glauben Scientologen, jedes psychologische Problem lösen zu können - weshalb die Psychiatrie zu den erklärten Todfeinden der Organisation gehört.

Welche tragischen Folgen dieser Irrglaube haben kann, zeigt der Fall von Lisa McPherson, der im Buch ausführlich dokumentiert wird: Die 36 Jahre alte Scientologin erlitt, so die Autoren, 1995 in der Scientology-Hochburg Clearwater in Florida einen Autounfall und wurde in ein Krankenhaus gebracht. Dort sei ein "psychiatrisches Problem" diagnostiziert worden; McPherson wurde in der Klinik behalten.

Einen Tag später seien mehrere Scientologen aufgetaucht und hätten darauf bestanden, die Patientin mitzunehmen. 17 Tage später sei sie tot gewesen. Ihr Körper ausgemergelt und mit Insektenstichen übersäht. Als Ursache hätten Ärzte eine Dehydrierung festgestellt, die zu einer Lungenembolie geführt hatte. Aus Aufzeichnungen von Scientologen, so die Autoren, gehe hervor, dass McPherson tagelang gegen ihren Willen in Isolationshaft gehalten worden war. Sie verweigerte schließlich Nahrung und Flüssigkeitsaufnahme.

Was Scientology letztlich ist, diese Frage wird in diesem Buch leider immer nur en passant angeschnitten. Dabei dürfte sich genau an diesem Punkt vieles entscheiden: Religions- und Glaubensfreiheit sind hohe Werte, und vor Scientology schützt Aufklärung mehr als Verbote.

Anonyme Gegner

Höchstens 5000 aktive Mitglieder, so schätzen Experten, hat Scientology in Deutschland. Die Gruppierung selbst behauptet, es sei ein Vielfaches. Angesichts dieser Zahlen drängt sich der Schluss auf, das Problem Scientology ist dabei, sich selbst zu lösen.

Das Buch schließt mit einem Kapitel über die Internet-Bewegung "Anonymous". Als Scientology Anfang 2008 versuchte, ein peinliches Video mit Cruise als fanatischen Scientology-Apologeten aus dem Netz zu nehmen, erklärte eine anonyme Gruppe der Organisation mit einem Youtube-Video namens "Message to Scientology" den virtuellen Krieg. Diese Gruppe fand schnell ihren Weg aus dem Netz zurück auf die Straße. Seitdem demonstrieren weltweit einmal im Monat maskierte "Anonymous"-Anhänger vor Scientology-Zentralen.

Mittlerweile werden die Demonstrationen von immer mehr Sektenaussteigern besucht, die anonym bleiben wollen, da sie noch Familienmitglieder bei Scientology haben. Die alte Scientology-Strategie, Kritiker gezielt mit peinlichen Informationen zu desavouieren, funktioniert bei anonymen Gegnern nicht mehr. Experten sehen in dieser "Anonymous"-Bewegung die größte Gefahr für die Organisation seit langem.

Frank Nordhausen und Liane von Billerbeck ist, alles in allem, ein spannendes Buch gelungen, in dem die Fakten auf mehr als 600 Seiten detailliert recherchiert und belegt sind. Manchmal hätte dem Werk aber eine nüchternere Wortwahl gutgetan.

So wird "Scientology" durchgehend als "Sekte" bezeichnet, obwohl an anderer Stelle ein richterliches Urteil betont wird, wonach Scientology eben "keine Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft ist", sondern eine "Organisation zur Vermarktung bestimmter Erzeugnisse".

Seit 1997 wird Scientology in Deutschland vom Verfassungsschutz wegen Verdachts auf "Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" observiert. Dieses Vorgehen wird mit totalitären Tendenzen und schockierenden Aussteigerberichten gerechtfertigt.

Die Fakten sprechen für sich - bei all dem Spott und der Ironie, die allerdings die Buchautoren für Scientology übrighaben, liest sich das Buch eher als eine Kampfschrift denn als objektive Bestandsaufnahme. Trotz dieser kleinen Mängel wird an dem Werk niemand vorbeikommen, der sich ausführlich über die Organisation informieren möchte.

Den nächsten Film mit Tom Cruise wird man dann wohl mit anderen Augen sehen.

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