Süddeutsche Zeitung

Neues Buch über Humor:Stichwort Bananenschale

Warum lachen wir eigentlich? Im Mittelalter galt Humor vielen Dogmatikern gar als unchristlich - man erinnere sich an Umberto Ecos "Der Name der Rose". Theorien über das Lachen hat es seither viele gegeben. Nun ist ein neues Buch zum Thema erschienen - mit dem gebührenden Ernst und einer neuen These.

Jan Füchtjohann

Einer schrie immer Kuckuck", ärgerte sich der Basler Pfarrer Johannes Ökolampad. "Ein anderer legte sich auf Rindermist". Ökolampads Zorn galt nicht dem Avantgardetheater, sondern den Ostergottesdiensten des 16. Jahrhunderts. Damals erzählten Prediger in der Kirche Witze, schnitten Grimassen, rauften sich die Haare, einer soll ein Ei aus seiner Kutte gezogen und wie eine Henne gegackert haben. Osterlachen hieß dieser Brauch, und nur reformatorische Spaßbremsen wie Luther oder eben Ökolampad waren not amused.

Das Dogma von der Unchristlichkeit des Lachens ist alt. Jesus Christus, so erklärte bereits im 4. Jahrhundert der griechische Prediger Johannes Chrysostomus, habe auf Erden kein einziges Mal gelacht. Dieser Humorlosigkeit widmet sich Umberto Ecos Roman "Der Name der Rose": In einem mittelalterlichen Kloster wird das einzige Exemplar von Aristoteles' Buch über Lachen und Komödie versteckt gehalten und ein Mönch vergiftet die Seiten, damit alle neugierigen Leser sterben.

Um das Lachen wenigstens ein bisschen zu rehabilitieren, brauchte es Jahrhunderte und Theologen vom Format eines Thomas von Aquin. In der unsicheren Zwischenzeit behalf sich zum Beispiel der französische König Ludwig IX. damit, dass er freitags grundsätzlich nicht lachte.

Doch dann kam Dantes "Göttliche Komödie". In dem "besten Buch, das die Literatur jemals gezeugt hat" (Jorge Luis Borges) wird an 70 Stellen gelacht, gelächelt oder über das Lachen gesprochen, und zwar je näher dem Paradies desto mehr: im Inferno fällt das Wort Lachen (riso) nur ein einziges, im Purgatorio sieben und im Paradiso 15 mal - der Weg zum Gelächter ist hier also der gleiche wie der aus der Hölle ans Licht. Dante hatte das Lächeln einmal ein "Leuchten der Seele" genannt, für ihn war es ein Funke des Überirdischen, ein Ausdruck der Teilhabe am Göttlichen.

Diese Geschichte sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man hört, dass der an der Tufts University lehrende Philosophie-Professor Daniel Dennett im vergangenen Jahr eine neue Theorie des Humors vorgelegt hat (Inside Jokes, Using Humor to Reverse-Engineer the Mind, MIT Press, Euro 22,95). Dennett gilt in den USA als "apokalyptischer Reiter des neuen Atheismus". Was er über das Lachen zu sagen hat, handelt also sicher nicht vom Göttlichen.

"Menschen lachen zu 80 Prozent aus Verlegenheit"

Das gemeinsam mit dem Psychologen Reginald Adams und dem Kognitionsforscher Matthew Hurley verfasste Buch geht einer scheinbar einfachen Frage nach: Warum lachen wir eigentlich?

Mit der überzeugenden Antwort von Heinz Strunk gab man sich offensichtlich nicht zufrieden: "Mir ist vor kurzem erst aufgegangen, dass die Menschen zu 80 Prozent aus Verlegenheit und oder Dummheit lachen, zu 16 Prozent aus irgendwelchen anderen Gründen, die mir wohl für immer verschlossen bleiben, bei den restlichen vier Prozent gibt es eine Schnittmenge, Stichwort Bananenschale."

Dennett, Hurley und Adams analysieren den Stand der Humortheorie demgegenüber mit dem gebührenden Ernst. Witze erklären ist zwar bekanntlich wie Frösche sezieren - erst interessiert sich keiner dafür und am Ende ist der Frosch tot -, aber trotzdem haben sich nahezu alle großen Denker schon einmal daran probiert:

Nach Kant zeichnen sich gute Witze durch Überraschung aus, laut Hobbes verschaffen sie ein Gefühl der Überlegenheit, für Freud befreien sie von unterdrückten Ängsten. Allerdings sind, so rechnen die Autoren detailliert vor, eben doch nicht alle Überraschungen lustig, Stichwort Krebsdiagnose. Außerdem gibt es auch noch ein feineres Lachen als das "Harhar" der Blondinen; und obwohl manche Witze tatsächlich Ängste adressieren ("Ich möchte friedlich im Schlaf sterben wie mein Vater, nicht panisch schreiend wie seine Passagiere"), gibt es doch auch genug harmlose Späße.

Die vielen Humortheorien beleuchten also zumeist sehr interessant einen oder mehrere Aspekte, vergessen dafür aber andere oder ordnen sie sich allzu großzügig unter. Laut Dennett ist dies ein systematisches Problem: Denn so wie man mit einem Mikroskop eine rote Oberfläche nach der anderen untersuchen kann, ohne je zu verstehen was "Rot" bedeutet, kann man auch einen Witz nach dem andern erklären, ohne je zu begreifen, was Humor ist. Der kleinste gemeinsame Nenner alles Lächerlichen liegt nämlich im Grunde nicht da draußen - es sind vielmehr wir selbst.

Oder besser: unser eigenes fehlerhaftes Denken. Der hier entworfenen Theorie zufolge ist Humor eben kein Aufblitzen der göttlichen Allwissenheit, vor der alles Menschliche zur Komödie wird. Im Gegenteil, er ist die Strategie eines beschränkten, permanent Fehler machenden Verstandes. Denn genau so sehen Dennett, Hurley und Adams das menschliche Gehirn - als eine notorisch unvollkommene Rechenmaschine, die, um zu überleben, ständig Annahmen darüber treffen muss, was als nächstes geschieht.

Fährt das Auto an mir vorbei oder muss ich ausweichen? Klopft mir der Mann da auf die Schulter oder will er mich verprügeln? Ist das da wirklich eine Bananenschale? Bin ich wach oder träume ich? Obwohl das Gehirn nie genug Information oder ausreichend Zeit hat, sein Wissen zu prüfen, muss es trotzdem in Echtzeit ein plausibles Modell der Wirklichkeit entwerfen.

Fehler lustvoll lachend korrigieren

Das geht erfahrungsgemäß manchmal schief, und das kann dann ziemlich lustig werden. Die These lautet also: Das Lachen ist eine Belohnung, die Karotte vor der Nase der permanent fehlersuchenden Vernunft. Es motiviert uns, nach Irrtümern im Denken und Wahrnehmen zu suchen und diese zu korrigieren.

Beispiel: Ein Mann mit einem Frosch auf der Nase geht in eine Bar. "Wo haben Sie den denn her?", fragt der Bartender. "Keine Ahnung", antwortet eine leise Stimme, "ich saß in meinem Teich und hatte plötzlich dieses Kratzen am Hintern." Auch hier liegen "Aha" und "Haha" nicht zufällig nahe beieinander - man lacht, weil man begreift, dass anders als erwartet der Frosch geantwortet hat.

Dieser Witz und überhaupt aller absichtlich produzierte Humor, von Woody Allen bis zu den YouTube-Filmchen, von Loriot bis David Letterman, von Aristophanes bis Mario Barth, hat das von der Evolution zur Fehlersuche angelegte Belohnungssystem gekapert. Wir produzieren erst absichtlich Fehler, falsche Erwartungen und Irritationen, mit anderen Worten Witze, um sie dann lustvoll lachend zu korrigieren.

Darum legen auch Kontaktanzeigen so viel Wert auf Humor: Er ist ein Indiz dafür, wie gut die alte Rechenmaschine noch funktioniert. Die Autoren erklären sogar, dass man von künstlicher Intelligenz im vollen Sinne erst dann sprechen könne, wenn die Maschinen zu witzeln beginnen. Doch ob wir das überhaupt merken würden? Schließlich basiert Humor immer auf geteilten Erfahrungen: Die Witze der Computer wären für uns also vermutlich wenigstens so unergründlich wie das Gelächter der Götter.

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SZ vom 07.03.2012/mapo
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