Neues Buch "Räusper" von Max Goldt:Mitleid in alle Richtungen

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Max Goldt schlägt wieder zu und lässt sich über veganen Kuchen, lästige Interviews und einen Erotikdreh im Zoo aus. Überhaupt scheint er mit dem Alter immer frivoler zu werden.

Von Ruth Schneeberger

Über Veganer zu lästern ist angesagt, so auch bei Max Goldt. Wobei der Meister des gewitzten Wortes selbstredend nicht einfach lästert. Er lässt in dem Kapitel "Der vegane Kuchen" eine Mutter, deren Sohn ihr einen ebensolchen zu backen aufgetragen hat, stattdessen sagen: "Ist doch besser, sie werden Veganer, als dass sie nach Syrien fahren und Menschenrechtsaktivisten enthaupten." Und schon sind wir mitten im neuen Buch des Kleist-Preisträgers, "Räusper".

Goldt wird des Schreibens und immer wieder neu Verlegens nicht müde, und das ist gut so. Dies ist sein 28. Buch - nicht mitgezählt die Comics, Hörbücher und Platten. Allerdings kann man sich nach Lektüre seines neuen Werkes aus 30 Kurzgeschichten des Eindrucks nicht erwehren, dass es zunehmend um Sexuelles geht.

Gut, beim veganen Kuchen ausnahmsweise nicht. Auch nicht beim sehr lustigen Text über drei interviewmüde breitschultrige Rockerinnen auf "Hackbrät-Tour". Das wäre sonst auch schlimm. Und beim "Trick mit dem Reis" ist eher von der Vorteilsnahme eines sich als irre gerierenden Restaurantgastes die Rede als vom Eros.

Aristokratischer Tonfall, schlüpfriger Inhalt

Das Buch ist ein Derivat von Comics, die Goldt mit dem Zeichner Stephan Katz als Künstlerduo "Katz und Goldt" herausgebracht hat. Allerdings besteht es nur aus dem Dramensatz ohne die Zeichnungen. Recht schlüpfrig ist es trotzdem. Nicht dass das neu wäre bei diesem Autor. Schon immer hat Max Goldt seinen fürnehmen Tonfall durch frivole Späße konterkariert. Aber diese geballte Erotik scheint neu zu sein.

Im Text "Erotikdreh im Zoo" geht es tatsächlich um einen solchen, inklusive entblößtem Po. In "Stets riskant: ein freier Stuhl" verführt ein "lockerer Typ" in einem Restaurant den männlichen Part eines Pärchens. In "Dem Strauche wohnt was inne" wird eine Frau von einem Grobian belästigt, was ihr aber dann sehr zupass kommt. Und in "Rasurüberfall!" wird ein Hipster von einem anderen jungen Mann durch Bartabschneiden quasi defloriert. Noch weitere Episoden handeln von irgendwie sexuellen Handlungen oder zumindest Gedanken. Vielleicht kommt der Autor jetzt auch einfach in das Alter (56).

Ansonsten ist alles beim alten: Goldt spreizt sich äußerst gelenk durch den widerborstigen Alltag und schenkt dem Leser goldene Beobachtungen aus den Niederungen des Lebens.

Ein breitbeiniger Berater rät Abiturientinnen vom Beruf der Ärztin ab, indem er von besonders scheußlichen Patienten erzählt. Cem Özdemir verhilft in "Die Emanzipation der Unbefugten" allen nur erdenklichen Minderheiten, die zu kurz gekommen sind, zu mehr Befugnissen. Er kann das, er hat ja ein großes Büro. In "Spröde ist nicht selten das Zusammensitzen" stört ein ewig plappernder Kellner ein Paar im Beziehungsaufarbeitungsgespräch - und ist doch am Ende dessen Höhepunkt.

Es ist wie immer bei Max Goldt: Die Nebensächlichkeiten sind die Hauptakteure. Das aber auf so bezaubernd entwaffnende Art, dass man kaum versteht, warum fast alle anderen Autoren es genau andersrum machen.

Oder, um es mit Goldt zu sagen: Mitleid in alle erdenklichen Richtungen. Vor allem in jene der Nichtleser dieses wieder einmal sehr beschwingten Büchleins.

"Räusper" von Max Goldt ist bei Rowohlt erschienen (Hardcover, 19.95 Euro).

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