Neues Beatles-Album: Love:Das ist doch Lucy im Himmel mit Diamanten!

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Eine neue Beatles-Platte, wie soll das gehen? Es geht so: "Love" entstand als Tüftelei aus sämtlichen Masterbändern, die die Beatles zwischen 1962 und 1969 aufnahmen: Hier einen Basspart, dort Ringos Drums klauen, da drüben noch einen Klavierakkord, und alles unter ein völlig anderes Stück legen. Wozu das alles? Für eine Show in Las Vegas, natürlich.

Johannes Waechter

Zum Glück muss man sich die Zirkusaufführung, für die diese Musik konzipiert wurde, nicht ansehen. Das neue Beatles-Album ,,Love'' ist der Soundtrack zur gleichnamigen Show des Cirque Du Soleil in Las Vegas. Seit Ende Mai läuft die Produktion im Mirage-Hotel, dort, wo einst Siegfried und Roy Tiger verschwinden ließen. ,,Love'' geht auf die Freundschaft von George Harrison mit dem Gründer des Cirque Du Soleil zurück und basiert auf der simplen Idee, Beatles-Lieder szenisch umzusetzen: als ,,psychedelische Reise'', wie man beim Zirkus glaubt, womöglich auch als Orgie von Kitsch und Kleinkunst.

Orgie von Kitsch und Kleinkunst? Nein, es ist faszinierend. (Foto: Fotos: © Copyright: Apple Corps Ltd)

Jedenfalls turnen bei der Show jede Menge Artisten über die Bühne, die als Charaktere aus Beatles-Songs verkleidet sind. Ein schnauzbärtiger Sergeant Pepper trägt eine große Trommel umher, die Fischmenschen treffen sich im Garten des Oktopus', und unter dem Zirkusdach taucht plötzlich ein glitzerndes Mädchen auf - na, wenn das nicht Lucy am Himmel mit Diamanten sein soll ...

Doch Las Vegas ist weit, und nun erscheint ,,Love'' auf CD. Eine neue Beatles-Platte, wie soll das gehen? ,,Love'' entstand unter der Schirmherrschaft des Beatles-Produzenten George Martin; da dieser inzwischen jedoch nahezu taub ist, war es sein Sohn Giles, der die eigentliche Arbeit machte. Giles Martin bekam unbegrenzten Zugang zu sämtlichen Masterbändern, die die Beatles zwischen 1962 und 1969 aufnahmen, und durfte die dort vorgefundenen Musikelemente ganz nach Gusto neu zusammensetzen. Hier einen Basspart, dort Ringos Drums klauen, da drüben noch einen Klavierakkord, und alles unter ein völlig anderes Stück legen. Kurz: ein Traumjob für jeden Audiotüftler. Drei Jahre lang hat sich Giles Martin ,,in all die Musik eingegraben, die sie gemacht haben''. Am Ende spielte er sein Werk pochenden Herzens Paul McCartney und Ringo Starr vor. Und beide gaben ihren Segen.

Das ist verständlich, denn das Resultat von Giles Martins Tüftelei ist, um es gleich zu sagen, faszinierend. Gleich das zweite Stück verbindet den Anfangsakkord von ,,A Hard Day's Night'' mit einer Orchesterpassage aus ,,A Day In The Life'' und einem Trommelbreak aus dem Schlussmedley von Abbey Road, der schließlich in ,,Get Back'' übergeht. Später wird das Gitarrenintro von ,,Blackbird'' über das Streichquartett von ,,Yesterday'' gelegt oder das Cembalo aus ,,Piggies'' über das psychedelische Finale von ,,Strawberry Fields Forever''.

Besonders spannend ist die Kombination der Stücke ,,Within You, Without You'' und ,,Tomorrow Never Knows'' - ein trippiger Party-Kracher, der moderner klingt denn je, auch wegen des brillanten Klangs der Platte. Zwar sind auch einige Stücke enthalten, die kaum verändert wurden, doch erinnern kurze Audiocollagen zwischen den Titeln immer wieder an den experimentellen Charakter des Projekts. Wer sich schon vorher in die Musik der Beatles vertieft hat, wird viel Freude daran haben, die einzelnen Farbtupfer dieses Großgemäldes zu identifizieren, doch die Platte taugt beileibe nicht nur für Fans und Spezialisten, sondern belegt erneut die dauerhafte Anziehungskraft der Beatles-Melodien. Einmal mehr erweist sich ihre Musik - der exzellenteste Songkatalog in der Geschichte der Popmusik - als unzerstörbar.

Puristen werden einwenden, dass die Originalmusik der Gruppe nicht verbessert werden könne, ebensowenig wie Manns Zauberberg eindrucksvoller würde, fügte man Szenen aus den Buddenbrooks ein. Zudem wirkt es wie ein historischer Irrtum, dass die Musik der Beatles, der einstigen Wortführer der Gegenkultur, nun zum Amüsement im Spielerparadies dient. Trennt man aber die CD ,,Love'' von den Gauklern, die in Las Vegas über die Bühne huschen, dann erweisen sich die Beatles mit der neuen Platte als überraschend fortschrittlich. 36 Jahre nach ihrer Auflösung könnten sie der Popmusik neue Impulse geben.

Seit Jahrzehnten ist die Rekontextualisierung von Klängen durch Neumontage eines der zentralen Stilmittel der Tonkunst. Musiker wie Frank Zappa und John Oswald, der Erfinder der ,,Plunderphonics'', arbeiteten schon in den Siebzigern nach dieser Methode, mit dem Durchbruch des Sampling Mitte der Achtziger wurden Diebstahl und Neuverwertung von Audiomaterial zum Massentrend. Anfang dieses Jahrzehnts kam es dann zum Underground-Phänomen Bastard-Pop, bei dem findige DJs Stücke, die nichts miteinander zu tun hatten, zusammenmontierten. Das wohl bekannteste Werk des Bastard-Pop ist ironischerweise das Grey Album, für das der DJ Danger Mouse das Black Album des Rappers Jay-Z mit dem White Album der Beatles kombinierte. Zur Instrumentalspur von ,,Helter Skelter'' war nun nicht mehr Paul McCartneys Geschrei, sondern New Yorker Ghettoslang von Jay-Z zu hören.

Zwar wurde für ,,Love'' wohlweislich darauf verzichtet, viel zu dem existierenden Material hinzuzufügen; einzig George Harrisons Demo-Aufnahme von ,,While My Guitar Gently Weeps'' hat Giles Martin nachträglich mit einem Streicherarrangement veredelt. Dennoch wird mit ,,Love'' die Plündermethode des Bastard-Pop auf eindrückliche Weise nobilitiert.

Die Beatles geben mit diesem Album bekannt, dass ihre Musik nicht als unveränderliches Kulturdenkmal zu verstehen ist, vor dem man für alle Zeiten in Ehrfurcht erstarren müsste. Sie machen sich vielmehr eine Sichtweise zu eigen, die Musik als Rohmaterial sieht, das durchaus einer kreativen Neuverwertung zugeführt werden kann.

Fragt sich allerdings noch, ob die Tragweite dieser Idee Paul McCartney und Ringo Starr bewusst war. Genau erfahren wird man es wohl nicht, deshalb sei hier daran erinnert, wie eng vor über 40 Jahren McCartneys Verbindung zur Audio-Avantgarde war. Im Winter 1965 lernte er einen Mann namens Ian Sommerville kennen, der einige Zeit zuvor dem Schriftsteller William S. Burroughs bei dessen Cut-Up-Experimenten geholfen hatte. Burroughs schnitt Texte auseinander und klebte sie neu zusammen, dann machte er Tonbandexperimente, bei denen er verschiedene Klänge - Radio, Bohrmaschine, Gespräche - miteinander kombinierte. McCartney erkannte den Reiz dieser Methode und ließ sich von Sommerville ein Tonbandstudio einrichten, in dem Burroughs sogar einige Male zu Gast war. ,,Wenn man Zeilen zerschneidet, rinnt die Zukunft heraus'', hat Burroughs einmal über seine Methode gesagt. Paul McCartney scheint sich diese Worte gemerkt zu haben.

© SZ v. 17.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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