Neues Album von U2:Runter mit der Häme-Brille!

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Wird alle Fans (und einen guten Teil der anderen Hälfte der Menschheit) wieder sehr glücklich machen: das neue Album von U2. (Foto: Anton Corbijn)

Denn U2-Spott ist inzwischen selbst zum Klischee verkommen. Das neue Album "Songs of Experience" zeigt: Nichts ist so erfolgreich wie Erfolg.

Von Jens-Christian Rabe

Ach, die Pathosproduktion in Stadionformat ist schon ein Problem. Besonders, wenn man ausnahmsweise mal nicht im Stadion steht, sondern das neue U2-Album "Songs Of Experience" (Island/Universal) einfach so ganz allein zu Hause hören möchte. Dann wollen nämlich die Erlösungsmittel, mit denen die Band auch im 41. Jahr ihres Bestehens noch problemlos jederzeit sämtliche Monsterbetonschüsseln zwischen New York, Rio, Tokio ausverkauft, einfach nicht so richtig zünden. So ein amtlicher "Oh-oh-ooohh-waah"-Massenchor wie in der Vorab-Single "Get Out Of Your Own Way" etwa kann ein quasi-religiöses Vereinigungs-Ereignis sein, wenn um einen herum 70 000 Menschen glücklich einstimmen. Weht er einem bloß aus einem mickrigen Zimmerlautsprecher entgegen, fühlt man sich eher emotional in Instant-Sippenhaft genommen. Die vollständig ironiebefreite U2-Haftigkeit von U2, das Einssein der Band mit dem eigenen Klischee, ist in solchen Momenten wirklich hirnerweichend, und man fragt sich mit letzter Kraft, warum das inzwischen als respektgebietende Unbeugsamkeit durchgeht und nicht einfach als einfallsloser Starrsinn. Die Antwort ist natürlich: wegen des Erfolgs. Nichts ist so erfolgreich wie Erfolg.

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Aber gut. Die U2-Häme ist inzwischen selbst zum Klischee verkommen. Einerseits. Andererseits waren die jüngsten Enthüllungen über kreative Steuersparmodelle Bonos, der sich ja sehr gerne als Retter der Welt inszeniert und fleißig Spenden sammelt für allerlei gute Zwecke, ja doch schon wieder ein Fest: Der Sänger nutzte offenbar eine Firma im Steuerparadies Malta, um in ein Einkaufszentrum in einer litauischen Kleinstadt zu investieren. Erlöse für Erlöser. So richtig Bescheid darüber, was in dem Fall mit seinem Geld passierte, wusste Bono wohl nicht. In einer Stellungnahme begrüßte er die Informationen zerknirscht. Jaja, die moderne Vermögensoptimierung, voller Falltüren. Sämtliche Interviews zum neuen Album wurden dann leider, leider abgesagt. Sei's drum. Wir haben ja das neue Album, und dies soll vorerst Erlös genug sein. Runter mit der Häme-Brille!

Alles, was wir noch haben, ist die Liebe, und ein Baby weint auf der Türstufe

"Love Is All We Have Left" heißt der erste Song, der mit einer flirrenden Synthieorgelfläche beginnt, bevor Bono anfängt, irgendwas bedeutungsschwer sachte hindrüberzuschmelzen und eine mittels Autotune ins Roboterhafte verfremdete Stimme leise mitjault. Bis hierhin: solide stimmungsvolles Intro-Material fürs Stadion, zu dem man noch gemütlich das Bier austrinken und sich das Becherpfand wiederholen kann. Aber dann, meine Güte, dann kommt schon der erste Hammer: Im Refrain reimt er auf die ja ohnehin schon verdächtig mühelos gedichtete Zeile "Love is all that we have left" wirklich "A baby cries on the doorstep". Oha. Okay. Also fürs Protokoll: Alles, was wir noch haben, ist die Liebe, und ein Baby weint auf der Türstufe. Check. Huch, die Häme-Brille! Wie kam die denn schon wieder auf die Nase? Vermutlich so plötzlich wie das Baby auf die Türstufe. Verzeihung. Weiter.

Song zwei: "Lights Of Home". Besser. Bisschen weniger glasiert gespielt könnte das auch ein Bluesrock-Rumpler von Jack White sein. Bis zum Refrain wenigstens. Da gibt's dann schon wieder eine klassische U2-Chorattacke. Also Bono mal tausend. Geht im Ganzen aber schon in Ordnung. Und ist eine gute Einstimmung auf Song drei: "You're The Best Thing About Me". Die Reue-Nummer des Albums. Im Bryan-Adams-Ähnlichkeitswettbewerb wären dafür 1995 mindestens stattliche neun Punkte vergeben worden.

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Beim schon erwähnten vierten Song "Get Out Of Your Own Way" fragt man sich allerdings zum ersten Mal, ob die langen Songtitel wohl Absicht sind. Obwohl, Moment: Man soll hier ja aus seinem eigenen Weg gehen. Clever. Im Refrain die amtliche Oh-Woahahhhh-Chorattacke mit Bono mal zehntausend. Dem Text fehlt vergleichbare Klarheit, der Meister scheint verwirrt zu sein: "Love has got to fight for its existence / The enemy has armies for assistance / The amorist, the glamorous, the kiss / A fist, listen to this, oh." Wie jetzt? Der Kuss ist die Armee der Feinde der Liebe, die um ihr Leben kämpfen muss? Eine Faust - hört zu - oh!? Der Grat zwischen Dichtung und Fahrigkeit ist im Pop natürlich traditionell schmal. Die Kunst ist, auf ihm geschickt herumzutänzeln. Bono bewegt sich hier von der einen zur anderen Seite eher via Arschbombe.

Aber Schluss damit jetzt, die Häme ist ein hässlicher Komplize. Also: Wenn der fünfzehnte Song verklungen ist, muss man eben auch sagen, dass die "Songs Of Experience" alle U2-Fans (und einen guten Teil der anderen Hälfte der Menschheit) wieder sehr glücklich machen werden, kein Zweifel. Es ist schon auch sehr gut gemacht, großer, stolzer Pathosalarm: Uuuaaahh! Alle Übrigen hören anderes. Sollten sie dereinst zufällig - kann ja mal passieren - im Stadion stehen, wenn Bono und Band zum Beispiel zu "13 (There Is A Light)" anheben, dann werden sie doch nicht entkommen können.

© SZ vom 01.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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