Neues Album von U2:Die rollenden Steine aus Irland

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Alter ist kein Thema - nur Altern. Bono und U2 sehen sich als die Rolling Stones der Zukunft. Eine Begegnung.

Georg Diez

Bono ist entspannt, und vielleicht ist das schon die Nachricht. Seine Laune ist bestens, seine Brille ist orange, er lehnt sich zurück und wartet auf die erste Frage wie ein Gourmet auf einen guten Wein.

"Freude, Ekstase, ein wenig Wut, ein wenig Melancholie" - das neue U2-Album "No Line on the Horizon" hat ein bisschen was von allem. (Foto: Foto: Reuters)

Also, Gratulation (das sagt man auf jeden Fall bei so einem Interview, egal was!), das neue Album von U2 ist ja tatsächlich ...

Bono schnellt nach vorne. "Überraschend, oder? Unsere erste Single zum Beispiel, "Get On Your Boots", das ist einfach ein toller, schneller Popsong, 150 Beats per Minute, drei Minuten lang, kein großes Statement, nur ein Polaroid, ein kleiner Schnappschuss meiner Familie - wir waren damals in Frankreich in den Ferien und nachts flogen die Kampfjets und die Bomber über uns hinweg, wir lagen draußen in der Sommernacht und hörten das Donnern und hatten diese Vorahnung. Das war der Beginn des Irakkrieges. Seltsam. Aber der Song ist einfach sexy, durchtrieben, verführerisch - all das, was U2 eigentlich nicht sein darf."

... das neue Album "No Line On The Horizon" ist ja tatsächlich wie ein Echo der alten, vielleicht sogar der uralten U2-Platten, man muss bis zum legendären "Joshua Tree" von 1987 zurückgehen, um diese Energie zu finden, mit der Sie hier ... - das wäre in etwa die Frage gewesen. Aber Bono weist den Weg: Mitten hinein in die Widersprüche von U2.

Also, ganz ohne Statement zur Weltpolitik kriegen sie sexy nicht hin? Tja nun. Auf jeden Fall kann man schon mal festhalten: Wer den Weltuntergang oder die Weltrettung erwartet oder Wale oder Waisenkinder, der wird stattdessen ein paar Herren begegnen, die auch schon auf die fünfzig zugehen und ihre Sonnenbrillen und Mützen und Ohrringe nicht zum Spaß tragen und sich mit ihrer Musik aus der Zone der Midlife-Krise gespielt haben. Die meisten Songs sind privatistisch in der Sache und euphorisch im Ton. "Freude, Ekstase, ein wenig Wut, ein wenig Melancholie", das sind die Worte, die Bono benutzt. War das Kalkül? War es eine bewusste Entscheidung, so unpolitisch zu sein in diesen überpolitisierten Krisenzeiten?

"Ja", sagt Bono schnell und freut sich, dass er auch noch den Namen John Maynard Keynes im Gespräch unterbringt. "Das antizyklische Denken hat mir geholfen, als ich die Songs geschrieben habe. Ein kleiner Trick. Es ist so leicht, die Leute in ihren Erwartungen zu verunsichern."

Bono weiß natürlich, dass er nerven kann. "Es ist so einfach", sagt er, "reicher Popstar, verhungernder Afrikaner- fuck off! Aber wie kriegt man denn den verhungernden Afrikaner sonst auf die Titelseiten der Welt? Ich versuche zwar, mein Leben als Aktivist und als Musiker zu trennen - aber im Grunde mache ich doch nur, was mir beigebracht wurde, in der großen Schule des Rock'n'Roll: Diese Musik ist wie ein Lichtstrahl, ist Energie, die sich vorwärts bewegt, ist das, was dich in deinem Bewusstsein auf eine höhere Stufe bringt."

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Bono Feinde braucht.

Bono lehnt sich zurück. Er schreibt für U2 all die Texte, die dieses Mal zwischen Selbstbespiegelung, Absurdität und Erweckung hin und her wechseln. Er hat die Band 2007 zu einem Festival religiöser Musik nach Fez gebracht. Dort begannen sie das Album, "ganz offen und ohne Ziel", sagte eine halbe Stunde vorher schon The Edge, der so freundlich im Gespräch ist und so furios an der Gitarre. Freundlich sind alle vier von U2 und extrem gut gelaunt. Es ist auf jeden Fall so, dass man U2 nach diesen Interviews lieber mag als vorher.

Allgemein gehasst, spezifisch geliebt

Keine Band der Welt wird ja so allgemein gehasst und so spezifisch geliebt wie U2 - was im Grunde merkwürdig ist, weil sie gerade die Extreme scheuen und immer den mittleren Weg wählen. Sie sind laut, ohne aggressiv zu sein, sie sind sogar laut, ohne laut zu sein, da können sie noch so oft sagen, dass sie The Clash und die Sex Pistols gehört haben. Von Punk sind sie genauso weit entfernt wie von Can oder Kraftwerk, den deutschen Elektronikpionieren, über die sie gerne sprechen - bis The Edge dann doch sagt, dass "die Musik heute darunter leidet, dass alles so perfekt ist, ohne Persönlichkeit, blutleer, daran sind die Computer schuld. Musik ist überall, ist wie eine Ware, es gibt keinen Respekt mehr. Wir wollten ein Album machen, das wirklich ein Album ist und nicht nur eine Ansammlung von Songs."

U2 ist U2, darauf läuft dieses Gespräch hinaus, was eine für manche versöhnliche und für manche ärgerliche Wahrheit ist, die in ihrer Schlichtheit schon wieder meditativ wirkt. "Wir haben experimentiert auf dieser Platte", sagt The Edge, "wir haben mit dem Produzenten Rick Rubin gearbeitet, das hat nicht so richtig geklappt. Er sieht das Studio als einen heiligen Ort an, wo man erst hingeht, wenn man genau weiß, was man will. Für uns ist das Studio wie ein Spielplatz. Mit unseren Produzenten Brian Eno und Danny Lanois haben wir dann einfach angefangen, wir wussten nicht, wohin uns diese Reise führen würde." Magischerweise genau dorthin, wo sie immer waren.

Der einzige Junggeselle der Band

Charmant daran ist, dass sie diesen Widerspruch gar nicht bemerken. Das Album bricht los, als habe es die letzten 20 Jahre nicht gegeben, das latent Schreiende von Bonos Gesang ist sofort da, dieses leiernd Wimmernde, das beim ersten Mal schrecklich klingt, beim 17. Mal aber seltsam vertraut. "Magnificent" erhebt sich dann arglos über alle Selbstzweifel, "Moment of Surrender" ist purer U2-Existenzialismus, der im Zirkelschluss die Freiheit und damit die Liebe feiert: "It's not if I believe in love / But if love believes in me". "Unknown Caller", einer der vier Songs des Albums, die die Band, wie sie immer wieder selbst erstaunt erzählen, gleich beim ersten Mal einspielten, "Unknown Caller" wirkt dann wie eine Art Selbstparodie, "I'll Go Crazy If I Don't Go Crazy Tonight" klingt wie ein echtes Teenagerdrama, enthält aber immerhin die Zeile "every generation get's a chance to change the world", gut versteckt zwischen sehr viel "baby, baby, baby".

Es ging ihnen aber eben um etwas anderes als das erwartete Statement zur Lage der Welt, Bono und The Edge und auch den beiden sympathischen Nebenfiguren der Band, dem Schlagzeuger Larry Mullen, dem manchmal ein irisches "dusn't" herausrutscht, und dem ruhigen, fast weißhaarigen Bassisten Adam Clayton, dem einzigen kinderlosen Junggesellen der Band - es ging ihnen um eine Beschwörung: ihrer Vergangenheit, die sich nach 30 Jahren im Geschäft wie ein nasser Lappen ums Bein wickeln kann; ihrer Zukunft, die sie sich erarbeiten müssen, selbst U2 bekommt heute nichts mehr geschenkt; und überhaupt dieser großen, schönen Idee der Rockband, die sie gern verkörpern würden, wenn die Rolling Stones tatsächlich einmal aufhören. Alter ist nicht mehr das Thema im Rock'n'Roll, dafür haben die Stones gesorgt. Altern ist es dafür umso mehr.

Die Brille sieht bescheuert aus

Man muss heute nicht mehr mit 30 sterben, um ein echter Rock'n'Roller zu sein, dieser Todeskitsch hat sich lange erledigt. Aber man muss für sich selbst eine neue Rolle finden, wenn man die Mitte des Lebens deutlich überquert hat. An diesem Punkt sind U2, und sie wissen das. In "Cedars of Lebanon" formuliert Bono das sogar explizit: "Choose your enemies carefully cos they will define you. Meint er das, wenn er gerne zugibt, dass er eine Figur von Spott und Hass ist - er sucht sich die Feinde, weil sie ihm sagen, wer er ist?

"Ganz genau", sagt Bono und rückt sich die Brille zurecht, ohne die er sehr viel weniger bescheuert aussehen würde. "Es wird im Rock'n'Roll so viel Energie verschwendet mit verlogener Rebellion. Du willst ein Hotelzimmer zertrümmern, du willst dich mit Heroin herumschlagen oder mit dem Establishment? Bitte! Wenn du zwanzig bist, dann ist das Leben vielleicht so einfach, dann gibt es Fronten, dann gibt es uns und es gibt die. Aber irgendwann merkst du, es gibt nicht die, es gibt nur uns. An diesem Punkt sind wir. Wir wissen, wo die interessanten Feinde sind - sie sind in uns, sie sind unsere Heuchelei, unsere Angst, alles, was uns abhält, die Fülle und den Reichtum unseres Lebens zu sehen."

"Wir lieben Hymnen"

Adam Clayton schaut ihn von der Seite an, als wolle er lächeln, aber er kennt Bono ja nun schon lange genug. Der erzählt dann noch ein wenig von seinen spirituellen Momenten und erklärt, warum Buddhismus keine Religion ist und Thomas Merton den Katholizismus mit östlichen Weisheiten vereint hat, und ist dabei angenehm undumm und nur in Maßen selbstgefällig.

"Wir lieben Musik, die eine sakrale Qualität hat", sagt er noch, man ahnte es, "wir lieben Hymnen." Schon der Titel des Albums "No Line On The Horizon" verweist auf diesen meditativen Aspekt, auf den Augenblick, an dem die Vernunft und auch diese Sinne aussetzen, wenn in der Dämmerung über dem Meer Himmel und Wasser nicht mehr zu unterscheiden sind.

Vielleicht ist dies das Geheimnis von U2: Sie bewohnen dieses Zwischenreich, in dem alle Unterschiede aufgehoben sind. Rebellion, Anpassung, Weltverbesserung, Weltvergessenheit, das Werden, Wallen, Wimmern? Alles ist da. Sie selbst haben ein Wort dafür, es ist die poptypische Art der Meditation und Versenkung. "Ekstase", sagt Bono, und lehnt sich entspannt zurück.

"No Line On The Horizon" (Mercury/Universal) erscheint an diesem Freitag. Eine Tournee folgt im Sommer. Termine stehen noch nicht fest, auch wenn schon gefälschte Karten im Umlauf sind.

© SZ vom 27.02.2009/holz - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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