Neues Album von "The Dillinger Escape Plan":Böse Menschen haben keine Lieder

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The Dillinger Escape Plan

"One of Us is the Killer" findet eine zeitgemäße Form für das "Unbehagen in der Kultur".

(Foto: Party Smasher Inc.)

"The Dillinger Escape Plan" erklären mit dem Album "One of Us Is the Killer" die Party des Pop für beendet. Alternativ und utopiefrei, obszön und raffiniert lassen sie der Wut des urbanen Menschen freie Bahn.

Von Jörg Scheller

In einer längst versunkenen Epoche war es der Jazz, der als widersprüchlich und gefährlich galt. Aus der Reibung zwischen physischer Intensität und Improvisationslust auf der einen, Virtuosität und Disziplin auf der anderen Seite, entstand eine abenteuerliche Energie, die heute versiegt ist. Wer nun im 21. Jahrhundert das sucht, was Jazz ausgemacht hat, wird es im Jazz nicht finden. Das entsteht anderswo. Zum Beispiel im sogenannten "Math Core". Zum Beispiel bei "The Dillinger Escape Plan" (DEP).

Math Core muss man sich so vorstellen, als hätten Quantenmechaniker ihre Liebe für Metal, Hardcore und Punk entdeckt und ihre Anzüge gegen Streetwear und Tattoos getauscht. Math Core ist Brachial-Pop für Hochbegabte, Furor-Jazz für Algorithmiker. DEP, gegründet 1997 in Morris Plains, New Jersey, haben dieses Genre mit ihrem akustischen Brutalismus maßgeblich geprägt. Was zunächst wie ein Fliegerangriff mit lockerem Streubombeneinsatz klingen mag, sind de facto ausgeklügelte, nachgerade akademisch konstruierte Kompositionen.

Wut und Arbeit

Wenn sich Bandmitglieder wie DEP-Gründer und Gitarrist Ben Weinman zu ihrem Schaffen äußern, dann formulieren sie hintersinnige Sätze, die nicht zum Dummsprech des Rockzirkus passen: "We never want to be an assembly line of riffs. [...]In reality life is up or down; life is chaotic; and all you can do is jam with it and jam with life. Play jazz with it and improve and try to make something cool out of whatever stuff is going your way." "Spiel Jazz mit dem Leben, dann wird's auch was!", lautet die Botschaft. Albentitel wie "Calculating Infinity" (1999) oder "Ire Works" (2007) deuten darauf hin: Infinitesimalrechnung und Ekstase, Wut und Arbeit sind hier die beiden Seiten einer Medaille.

Wut und Arbeit, und zwar hochqualifizierte, das bringt die Ästhetik von DEP auf den Punkt. Auch auf dem soeben erschienenen Album "One of Us Is the Killer" sind eigentlich alle Standards der E-Musik inklusive des Jazz versammelt, nur eben in den höchsten Härtegraden der eingeschränkt populären U-Musik: vertrackte Tempi- und Taktwechsel, Pendelbewegungen zwischen Unisono- und Frickel-Passagen, Variationsreichtum in der Dynamik, improvisatorische Einwürfe in Nachbarschaft zu monotonen Anti-Grooves und eingängigen Emocore-Melodien, subtile Soundcollagen bis hin zum Ambient.

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