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Neues Album von Taylor Swift:Doch alles, alles echt und wahr

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Ein genialer Hit ist nicht auf dem neuen Taylor-Swift-Album "Reputation". Ein Riesenerfolg wird die Platte natürlich trotzdem. Mit Musik hat das allerdings nur am Rande zu tun.

Von Jens-Christian Rabe

Es gibt ein Ausmaß an Ruhm, bei dem nicht mehr nur interessant ist, was der Berühmte alles tatsächlich tut oder womöglich getan haben könnte. Es ist plötzlich auch noch interessant, was er alles nicht tut oder nicht getan hat. Also wirklich nicht. So eine Berühmtheit hat die 27-jährige amerikanische Pop-Sängerin und Songwriterin Taylor Swift erreicht. Es ist die Art von wahrem Ruhm, bei der im Grunde schon die Berufsbezeichnung "Superstar", die die Namensnennung notorisch begleitet, tautologisch erscheint. Wer wirklich ein Star unter Stars ist, hat keine Berufsbezeichnung mehr, sondern nur noch seinen guten Namen. Taylor Swift also hat sich zum Beispiel noch immer nicht ausreichend von Donald Trump distanziert, woran zum Beispiel die New York Times zur Veröffentlichung ihres neuen Album "Reputation" am Freitag wieder erinnerte.

Das wiederum erinnerte einen dann sofort wieder daran, dass ein neues Album eines solchen Stars längst nicht mehr vor allem ein musikalisches Ereignis ist, sondern eine Art Kampagne. Nur wofür oder wogegen eigentlich?

Ein neues Album eines solchen Stars ist längst mehr als Musik

Für den Star selbst natürlich. Aber das ist die langweilige Antwort und die, mit der man Taylor Swift unterschätzt.

Worauf sie erst mal selbst zu sprechen kommt, in den Prolegomena, die sich auf der Deluxe-CD-Version des neuen Albums befinden, sind die Gefahren der sozialen Medien. Dieser kleine Text liest sich eben jedoch gerade nicht wie die Einführung zu ein paar Popsongs. Er liest sich wie eine Anleitung für den Umgang mit fest erwarteter feindlicher Rezeption. Also, aufgepasst, ihr Swiftianer: Gerüchte sind nicht immer wahr, und das Image der Leute, denen man in den sozialen Medien begegnet, hat oft nichts mit der Realität zu tun. Und wenn das Album herauskommt, werden Gossip-Blogs "die Texte durchforsten nach Hinweisen auf die Männer, von denen die Songs angeblich handeln", und es wird ganze Fotoserien geben, die belegen sollen, was doch nicht stimmt. Und so weiter.

Man reibt sich da schon etwas die Augen, weil noch kein Star in der Geschichte der Popmusik so systematisch mit dem vermeintlichen Wahrheitsgehalt seiner Texte kalkuliert hat wie eben Taylor Swift. Sie dürfte inzwischen so gut wie jede ihrer diversen Beziehungen zu anderen Weltberühmtheiten in ihren Hits verarbeitet ("We Are Never Ever Getting Back Together") und dann schön dafür gesorgt haben, dass eifrig spekuliert wurde. Außerdem kommuniziert über die bösen sozialen Medien niemand so geschickt mit seinen Fans. Auf der Blog-Plattform Tumblr etwa folgt sie 5000 Nutzern und hat seit 2014 über 27 000 Posts gelikt oder sonst wie freundlich kommentiert. Mit Zwinkerzwinkergrinsundknutsch-Emojis und - wahrscheinlich wirklich von ihr selbst geschriebenen - Sätzen wie: "Thanks Megan and Caitlin. So glad you liked it!!"

Mit anderen Worten: Es ist alles so grandios hochgradig geheuchelt, dass womöglich doch alles, alles echt und wahr ist. Und man steht damit nicht irgendwo am Rand des Phänomens, sondern mittendrin. Taylor Swift ist nicht die beste Freundin, die zum Superstar wurde, sondern der Superstar, der die beste Freundin sein will. Und Musik macht sie auch noch! Ach ja, die Musik. Die Vorab-Singles, allen voran der Song "Look What You Made Me Do", der alle Streaming-Rekorde brach, ließen schon erkennen, dass Taylor Swift weiter eine begnadete Pop-Songwriterin ist mit einem im Mainstream seltenen Händchen für ungewöhnlich smarte Herzschmerz-Drama-Texte. Zudem hatte sie mit dem Schweden Max Martin wieder einmal den Pop-Produzenten der Gegenwart im Studio sowie mit Jack Antonoff den im Highscore-Hochadel derzeit beliebtesten und begabtesten jungen Produzenten.

Wir hören also fachmännisch verklebten, mal knallenden, mal süßlichen, mal knallend-süßlichen Hybrid-Chartpop aus monströsen Bröseln aller Art. Ein genialer Hit wie "Shake It Off" ist trotzdem nicht dabei. Dem gigantischen Erfolg des Albums wird das natürlich nicht im Wege stehen, denn die Kampagne ist für unser Zeitalter des Misstrauens furchterregend maßgeschneidert: In seinem Kern ist dieses Album nämlich ein Aufruf zum vorauseilenden Ungehorsam.

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Quelle:
SZ vom 11.11.2017
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