Neues Album von Miley Cyrus:Bloß nicht sein wie Taylor Swift

Miley Cyrus verabschiedet sich mit ihrer neuen Platte in ihre ganz eigene Welt. Dort ist die Erotik so subtil wie ein Wink mit dem Holzdildo. Und das schönste Liebeslied gilt einem Kugelfisch.

Von Felix Reek

Nein, Miley Cyrus ist diesmal nicht nackt. Wenn man denn das Regenbogenhandtuch, die Luftmatratze, die Schnürsenkel oder auch die Frischhaltefolie mit Riesensmarties, in denen sie gerade die Video Music Awards moderiert hat, als Kleidung durchgehen lässt. Sie steht auf der Bühne und präsentiert ihre neue Single "Dooo it". Und ja, das ist durchaus eine Erwähnung wert, denn das klingt anders als alles, was man sonst von ihr kennt. Auf ein paar Hip-Hop-Beats singt sie mit verzerrter Stimme: "Ich liebe Gras, ich liebe Frieden, aber ich geb' einen Scheiß drauf, ich bin kein Hippie". Dann mäht ein Synth-Bass den Song nieder, eine Sirene heult und plötzlich ist alles weg. "Ich fühle mich als Teil des Universums", haucht Cyrus schief. Und das gleiche Spiel beginnt von vorn.

Für einen der größten Mainstream-Popstars der Gegenwart ist das durchaus ein Wagnis. Aufsehen erregte Cyrus in der Vergangenheit mehr durch ihre offen zur Schau gestellte Sexualität als durch ihre Musik. Über Monate hielt sie jeder Kamera ihre Zunge entgegen, ihren nackten Brüsten konnte niemand mit einem Internetzugang entkommen. Im prüden Amerika ist das auch nach 30 Jahren Madonna immer noch ein Affront. Gerade von einem einst geliebten Kinderstar ("Hannah Montana"), der einen Treuering trug und mit dem ersten Sex bis nach der Eheschließung warten wollte. Glaubt man ihrem neuen Album "Miley Cyrus & Her Dead Petz" (hier der Link zur kompletten Playlist), hat es sich damit definitiv erledigt.

Miley Cyrus ist ihr eigener Gegenentwurf

Sex gibt es dort überall. Egal ob im Video zu "Dooo it", in dem sie sich diverse Flüssigkeiten über das Gesicht gießt oder dem Song "Bang Me Box", in dessen Refrain sie mitteilt, dass man doch "hart und schmutzig" ihre "Box" "bangen" sollte. Erotik, so subtil wie der Wink mit dem Holzdildo.

Das mag auf Dauer ermüdend sein, ist natürlich aber kalkulierte Provokation. Als Kind war Cyrus der perfekt harmlose Popstar. Großgeworden im Disney-Universum, eine septisch cleane Parallelwelt zum Alltag der Amerikaner. Jetzt, mit 22, ist sie ihr eigener Gegenentwurf. Eine Sängerin, die den Nippel in die Prüderie ihrer Heimat bohrt. Nicht nett und adrett wie Taylor Swift, bei der sogar Kritik wie ein Kompliment klingt. Miley Cyrus ist der Star, der bewusst aneckt und viele seiner alten Fans damit vergraulte.

Nur das passende Album fehlte bisher dazu. Sicher, im Video zu "Wrecking Ball" ritt sie nackt auf einer Abrissbirne. Doch die Powerballade hätte auch Bon Jovi gut zu Gesicht gestanden. "Miley Cyrus and Her Dead Petz" ist jetzt der endgültige Befreiungsschlag. 23 Songs, fast 90 Minuten Spielzeit. Ein musikalisches Monstrum. Produziert für gerade einmal 50 000 Dollar, auf eigene Faust an ihrer Plattenfirma RCA Records vorbei. Früher hätte man das ein Doppelalbum genannt, in Zeiten von Spotify und Apple Music ist es eher eine sehr lange Playlist.

Was sie wirklich will

Darauf macht Cyrus vielleicht zum ersten Mal, was sie wirklich will. Psychedelik, wirre Effekte, Weltraumelegien, blubbernde Geräusche, die von irgendwoher kommen und wieder verschwinden. Der Einfluss von Wayne Coyne, dem Kopf der Kritikerlieblinge The Flaming Lips, ist nicht zu überhören. Auf deren Album "With A Little Help From My Fwends" sang sie bereits das Beatles-Cover "Lucy In The Sky With Diamonds", danach, sagt sie, habe sie alle Lieder auf ihrem iPhone gelöscht. Und nur noch die schrägen Songs der Weltraum-Popper gehört.

Willkommen im Kopf von Miley Cyrus

Das Ergebnis klingt entsprechend. Verdrogt, zurückgelehnt, als hätten sich Massive Attack nach Disneyland verirrt, um mit den späten Beatles und Space-Bowie eine Kifferparty zu feiern. Willkommen im Kopf von Miley Cyrus.

Denn nichts anderes ist das: eine Bestandsaufnahme der wirren Gefühlswelt einer 22-Jährigen, die noch nicht weiß, wo sie hin will, das aber vollkommen okay findet. Die ein wenig seltsam ist, aber das immer noch spannender findet, als so zu sein wie Taylor Swift. Die in einem Liebeslied "kotzen" und den Kopf unter die Achsel des Liebsten stecken will. Wenn sie nicht gerade ein "Fuck" an das nächste reiht.

Miley Cyrus; MTV Video Music Awards

Gut, subtil sind die Provokationen von Miley Cyrus nicht. Aber sie ist ja auch nicht Taylor Swift.

(Foto: AFP)

Die sich im herzergreifendsten Song der Platte, "Pablow the Blowfish", an ihren verstorbenen Kugelfisch erinnert und am Ende in Tränen ausbricht. Um ein paar Sekunden später zu lachen und alles in Frage zu stellen.

Weltraumballaden zwischen Wachen und Schlafen

Mit der Mainstream-Popwelt, in der sich Miley Cyrus bisher bewegte, hat das nur noch wenig zu tun. Radiotaugliches Single-Material gibt es unter den 23 Songs kaum. Vieles plätschert zurückgelehnt vor sich hin, verliert sich in der Lust am Klang. Ein paar Stücke sind nur Fragmente, der Rest Balladen zwischen Wachen und Schlafen.

Den Durchschnittsmusikkonsumenten erreicht solche Musik nicht. Aber vielleicht sind wir gerade Zeuge, wie sich Cyrus von den letzten ihrer "Hannah Montana"-Fans verabschiedet und künstlerisch emanzipiert. Um sich in ihr eigenes, schräges Universum zu verabschieden. In der ein Stück Frischhaltefolie mit ein paar Smarties auch ein veritables Kleid sein kann.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: