Süddeutsche Zeitung

Neues Album von Helge Schneider:Ich strafe euch mit Jazz

Helge Schneiders Album "Sommer, Sonne, Kaktus!" ist eine radikale, rohe, wahre Platte. Dabei ist es längst ein eher lahmer Dreh, Publikumserwartungen und Hörgewohnheiten zu enttäuschen. Aber es derart drastisch zu tun wie Schneider, dazu gehört Mumm.

Von Joachim Hentschel

Der Künstler spricht mit sich selbst, sogar mit verteilten Rollen. Die eine Stimme ist das pumucklhafte Quäken, mit dem der Sänger, Musiker, Komponist und Komiker Helge Schneider gern die eigene Person interpretiert. Die andere, der Dialogpartner in dem 2007 veröffentlichten Hörspiel "Gespräch mit einem Interviewer, der sich sehr gut vorbereitet hat", ebenfalls von ihm gespielt: ein Radiomoderator, der es schafft, die intellektuelle Verachtung für sein Gegenüber im letzten Moment in etwas Warmes, Väterliches hinein zu transzendieren. Helge interviewt Schneider, schlägt Begriffe wie Eloquenz, Metaphorik und Goethe vor, um das eigene Werk zu deuten. Erklärt sich dann noch selbst, der Witz käme bei ihm ja immer daher, dass nichts so gemeint sei, wie er es auf der Bühne sage.

Das stimmt übrigens gar nicht. Auch wenn es längst eine populäre Ansicht über Helge Schneider geworden ist: der Typ, der nur deshalb so lustig ist, weil er halt jeden Gag kaputt macht, jede Pointe zerlabert. Man muss allerdings nur wenige Minuten eine seiner Shows sehen, um zu erleben, dass der 57-Jährige oft auch ganz einfach Witze erzählt. Über die Sängerin Nena zum Beispiel, die anderthalb Stunden im Bad brauche, weil sie sich so stark schminken müsse. Oder über die Körpergröße von Peter Maffay, seit je einer der ältesten, ödesten Programmpunkte des deutschen Tingeltangels.

Helge Schneider, der in diesen Tagen eine Art Comeback feiert, mit Platte, Film und Tournee, hat vor Kurzem die ersten Ausschnitte aus seinem neuen Kinowerk "00 Schneider 2: Im Wendekreis der Eidechse" veröffentlicht. Als Kommissar im erdnussfarbenen Trenchcoat läuft er durch die üblichen Kulissen, durch unrenovierte Wohnküchen, vorbei an Gestalten, wie man sie morgens um sieben im Kölner Karneval trifft. Bringt ausführlich die Nummer, bei der er so spricht, als höre man ihn durch ein Handy im Funkloch. Wenn erst mal genug Leute gemerkt haben, dass etwas nicht wirklich witzig ist - dann ist es schon wieder ein Witz. Man könnte auch die weniger populäre Ansicht zitieren, dass Helge Schneider als Komiker nicht halb so gut ist wie als Musiker.

Früher hat er seinem Saalpublikum ja ab und zu sogenannten Straf-Jazz verordnet: Wenn es bei einer zeitaufwendigen Klavierimprovisation Zwischenrufe gab, die einen Sketch forderten, dann ließ er das Stück eben gleich noch ein wenig länger dauern. Man weiß, dass Schneider - der Drifter aus Mülheim an der Ruhr, der Glücksritterclown, der sich nach abgebrochener Realschule und mehreren Hilfsarbeiterjobs der bildungsbürgerlichen Musikmanier nicht mal mehr bis auf Saxofonlänge näherte - bereits eine funktionierende Karriere als Sideman an diversen Instrumenten hatte, bevor er Anfang der Neunzigerjahre zufällig und direkt in ein sonderbares Bad-Taste-Revival tapste, das ihn bis an die Spitze der Verkaufscharts brachte. "Sommer, Sonne, Kaktus!", gerade erschienen, ist schon sein 16. Musikalbum. Und wird natürlich längst nicht mehr als Ereignis empfunden, dazu hat der Komiker Schneider in den letzten Jahren ein bisschen zu sehr genervt, die Rolle des bundesdeutschen Maskottchens ein wenig zu begeistert gespielt.

Umso überraschter stellt man fest: Es ist eine radikale, rohe, wahre Platte. Publikumserwartungen und Hörgewohnheiten zu enttäuschen, das ist im Jahr 2013 zwar auch ein eher lahmer Dreh. Aber es derart drastisch zu tun wie Helge Schneider, das bringt die Sache voran, dazu gehört Mumm. Nicht nur künstlerischer.

Den Titelsong hat er als Sommerhit konzipiert. "Sommer, Sonne, Kaktus!" klingt, als würden die zwei Stimmen aus dem anfangs erwähnten Hörspiel im Duett singen. Eine Urlaubshymne aus Sicht der Älteren, die sich im Duisburger Hallenbad ihre Exotismen selbst zusammenspinnen: "Ich will nie mehr arbeiten gehen", darin besteht das Abenteuer. Auch die Entertainment-Combo, die dazu swingt, ist nur eine Illusion, denn Schneider spielt alle Instrumente auf dem Album selbst.

Die spanische Gitarre, die Alleinunterhalterorgel, später das Akkordeon. Auch das Schlagzeug, was er entweder nicht sonderlich gut kann oder absichtlich verhunzt, und da geht sie schon los: die Zumutung, die Verweigerung. Schlimmer als Straf-Jazz. Die demonstrative Nachlässigkeit, mit der Schneider durch seine eigene Platte flaniert, als wolle er den ersten Refrain bekräftigen: Nein, gearbeitet wird hier nicht mehr.

Den Klassiker "Mr. Bojangles" lispelt und speichelt er, als habe er ein paar Billardkugeln im Mund. In die Eigenkomposition "To Be A Man" steigt er mit drei Minuten Improvisation auf der Gitarre ein, einem drahtigem "Besame Mucho"-Nonsens, in dem die ganze Nutzlosigkeit großer Kunst zu stecken scheint. Bei "Somewhere Over The Rainbow" macht Schneider sich nicht mal mehr die Mühe, die Wörter richtig auszusingen, bevor ihm dann ein unglaublich großartiges, weich angesetztes Saxofonsolo aus dem Ärmel rutscht. Oder er in seiner Version von Gershwins "It Ain't Necessarily So" wie ein ganzer Beerdigungszug durch sein persönliches New Orleans kriecht, natürlich mit dritten Zähnen im Maul. Die musikalische Skizzen-Kritzelei, das Abgelenkte, auch im positiven Sinn Phantasieverlorene hat er noch nie so konsequent verfolgt wie auf diesem Album. Das genau deshalb so klingt, als könne es jeden Moment in sich zusammenkrachen. Dann aber doch stehen bleibt.

Thelonious Monk, seinem großen Idol, war Helge Schneider kaum je so nah wie hier. Weil der Hipster, der diesen Namen ernsthaft verdient, auch im Ruhrpott, sich ja durch seinen besonders unfairen Wissensvorsprung auszeichnet. Einen Vorsprung, den er sich womöglich irgendwann hart erstritten und erschwitzt hat, dann aber nur noch aufblitzen lässt, wenn kein Umstand ihn dazu zwingt, keine Erwartung, keine Arbeit. Etwas gleichzeitig zu zeigen und zu verweigern, so ungefähr funktioniert das coole Prinzip, das der Jazz den anderen Künsten voraus hat. Und das den Musiker Helge Schneider von den meisten Populärfiguren in Deutschland meilenweit abhebt.

Die WDR-Talkshow "Helge hat Zeit" gab Schneider Anfang des Jahres leider wieder auf, kurz nach dem Start. Das Medium sei nicht sein Ding, erklärte er, den eigentlichen Grund konnte man ihm ansehen: Seinen Gästen die typisch falsche Euphorie des Metiers entgegenzubringen, das schafft er auf Dauer einfach nicht. In der zweiten und dann auch schon letzten Folge gab es jedoch einen großartigen, sogar bewegenden Moment: Da hatte Schneider - plötzlich allein in der Rolle des Interviewers - die 27-jährige Pianistin Olga Scheps im Studio. Er sprach mit ihr über Chopin und wurde plötzlich sehr verbindlich, sehr wahrhaftig. Während andere schnell Stars werden wollten, habe sie sich buchstäblich die Mühe gemacht und richtig Klavier gelernt, sagte Schneider. Das war keine Frage. Und natürlich kein Witz. Sondern sein voller, bezaubernder Ernst.

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Quelle:
SZ vom 16.08.2013
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