Neues Album von Feist:Auf der Suche nach der inneren Stimme

Würde man einer Blume ihre Schönheit vorwerfen? Die hinreißendste Stimme unserer Zeit, Indiepop-Königin Feist, lässt wieder von sich hören. Und das so schön, dass die Steine weinen.

Thomas Bärnthaler

Es ist nicht leicht Everybody's Darling zu sein. Wenn einen alle lieben, gerät man schnell in den Verdacht, zu gefällig zu sein. Sieht man noch dazu umwerfend aus, nimmt einen eh keiner mehr ernst. Die kanadische Sängerin Leslie Feist, die sich Feist nennt, sieht umwerfend aus, ist mit einer Stimme gesegnet, die Steine zum Weinen bringen kann und hat mit ihrer Musik ein ganz neues Genre etabliert: eine Art Barfolk des 21. Jahrhunderts, also handgemachte Musik, nur ohne das Vollbartgetue der Jungs, die immer noch denken, Woodstock war doch erst gestern. Manchmal wurde einem das fast zu viel: zu schöne blaue Augen, zu schöne Stimme, zu schöne Melodien. Andererseits: Würde man einer schönen Blume ihre Schönheit vorwerfen?

Die Musik von Feist hat die Leichtigkeit des Bossa Nova, die Empfindsamkeit des Soul, aber eben auch die Coolness des Jazz, hört sich aber in keinem Fall wie etwas an, das es früher schon mal gab. Und das war eine Formel, die nicht nur in den WGs der Bohemiens zündete, sondern auch in allen Coffee-Shops, Boutiquen und iPod-Dockingstations zwischen Toronto und Tokio. Mittlerweile gibt es eine ganze Garde junger hübscher Frauen, die im Windschatten von Feist hübsche Musik machen. Selbst der alte Karl Lagerfeld verfiel ihrem ätherischen Charme und machte sie zum Chanel-Model (nachdem er das zuvor schon mit Chan Marshall alias Cat Power getan hatte). Bald fand Feist ihre Songs als Werbejingle für Apple oder in Starbucks-Filialen wieder und sich selbst als Stargast bei der Sesamstraße. Dort sang sie dann: "1, 2, 3, 4 / monsters walking cross the floor, / I love counting, / counting to the number 4." Ganz schön viel roter Teppich für eine Musikerin, die in ihrer ersten Punkband so laut brüllte, dass ein Spezialist danach ihre Stimmbänder retten musste. Fast hatte man ein bisschen Angst um sie, es hätte so in Richtung Katie Melua gehen können, man sah sie schon bei Hape Kerkeling in "Wetten,...dass?" sitzen. Doch nun hat Feist mit "Metals" (Polydor/Universal) ihr viertes Album, eingespielt, und das straft all jene Lügen, die in ihr nur das neue Pin-up-Girl der Generation iPod sahen.

Wie der Titel schon erahnen lässt, geht es auf "Metals" deutlich erdenschwerer zu, als auf ihrem Vorgänger "The Reminder", das in seiner Verspieltheit zwar extrem herzerwärmend war, aber manchmal auch eine Spur zu wohltemperiert. Das beginnt schon beim Sound, der weniger nach Studio, als nach Scheune klingt, was nicht nur daran liegt, dass die Songs tatsächlich in einer alten Strandscheune im kalifornischen Big Sur aufgenommen wurden, sondern auch an der Intimität, mit der hier Stimme und Instrumente zusammenfinden. Man hört das Knarren des Klavierpedals, das Klackern des Plektrums auf den Saiten, das Hintergrund-sirren der Verstärker, ja manchmal meint man sogar das Rauschen der nahen Brandung zu ahnen. Es liegt keine Anstrengung in dieser Stimme, ganz gleich ob sie jubiliert oder ein leichtes Tremolo hält. Sie ist stark und federleicht zugleich und franst in höheren Lagen leicht aus, was ihr eine delikate Verletzlichkeit verleiht.

Kein Hit für Mark Zuckerberg

Und doch tut Feists Musik nicht wirklich weh. Sie ist nicht so weltverloren wie etwa der düstere Folk von Cat Power, sie reißt keine Abgründe auf wie der wunde Jazz einer Billie Holiday. Und doch hat Feist von beiden gelernt. Feist ist keine gebrochene Seele, sie ist eine Herzensbrecherin und eine gute Beobachterin. Gleich der erste Song, eine Art Blueswalzer, der das Dilemma beschreibt, dass auch zwei gute Menschen fähig sein können, das schlechteste im jeweils anderen hervorzubringen, ist so bestürzend schön und wahr, dass man in der Falle sitzt, noch ehe das Album überhaupt Fahrt aufgenommen hat. Da taucht man schon in das verschattete "Graveyard", einer dunklen Ballade, für die Will Oldham wahrscheinlich seinen Vollbart geopfert hätte. Die Begleitband um Langzeit-Weggenosse und Mentor Jason "Chilly Gonzales" Beck, jenem rappenden Kanadier, der Klavier spielt wie Glenn Gould und gefühlte 24 andere Instrumente beherrscht, bettet all das in sparsam gesetzte, aber unendlich weise Klangfarben mit viel Weißraum. Jedes Glockenspiel, jeder Akustikbass, jede Violine und jedes Saxofon sitzt hier an seinem Platz. Dazu holterdipoltert das Schlagzeug schleppend und überraschend laut, was manchen Songs etwas Prozessionshaftes und Tribalistisches verleiht. In jedem Fall geht es sehr ernsthaft und innig zur Sache. Nur einmal scheint Feist sich an ihre alten Punk-Tage zu erinnern und packt ein Paar Rockriffs aus, dazu grölt sie wie Joan Jett, während im Hintergrund jemand Flaschen zerschmeißt. Doch das ist nur ein kleiner Wutanfall auf einer sehr introspektiven, pastoralen Platte, auf der eine Großstadtseele die Natur beschwört: die Nachteule, die Zikaden, die Möwen und immer wieder das Meer, den Himmel und den Horizont. Durchweht wird diese Andacht vom allgegenwärtigen Wind, den Feist in "Caught a long wind" besingt: "Little bird have you got a key? / Unlock the lock inside of me / Caught me a long wind / where will we go / to keep ourselves afloat?"

All das ergibt eine entgrenzte Grundstimmung, die man von Werken wie Van Morrisons "Astral Weeks" kennt oder von Minnie Ripertons "Perfect Angel". Und vielleicht ist das der sympathischste Zug an Feists neuem Album - es ruht sich nicht auf Erreichtem aus, sondern dringt weiter vor zur Magie, die diese Ausnahmesängerin und Songschreiberin zu entfachen vermag. Hörte man auf den beiden Vorgängeralben immer auch das Genie des Produzenten Gonzales durch, so wirkt Feist auf "Metals" ganz bei sich. Und ganz weit weg von den Aufgeregtheiten ihres früheren Lebens, wo sie mal da Gitarre spielte (bei Broken Social Scene), mal dort mitsang (bei den Kings of Convenience und Wilco) oder bei Konzerten von Peaches auf der Bühne herumhopste, als Sidekick im lilafarbenem Trikot. Sie hat eine Auszeit genommen nach ihrem letzten Album und sich vier Jahre Zeit gelassen. All jenen, die sich an ihrem Apple-Spot gestört haben, sagte sie in einem Interview neulich völlig zu recht: "Na und, nach so viel Jahren Arbeit, will man irgendwann so weit sein, sich eines Tages ein Haus kaufen zu können."

Da war es wieder das alte Stigma des Ausverkaufs, das eine Indierockerin wie Feist immer noch verfolgt. Zu hübsch, zu gut, zu erfolgreich. Auch deshalb mag "Metals" vielleicht ein Spur weniger gefällig, weniger poliert geraten sein. Mark Zuckerberg wird hier keinen Hit finden, mit der er sein neues Facebook bewerben kann. Hier breitet niemand sein Leben aus, um Like-Buttons zu sammeln. Es ist eher eine Suche nach der inneren Stimme, nach Gefühlen, die wie Erze unter der Oberfläche liegen. "Shadows of the mountain / don't tell of what's on earth / The bredth and the height / of an undiscovered first", singt Feist in "Undiscovered First", dem vielleicht sperrigsten, zornigsten Song des Albums, und: "Is this the way to live / Is it wrong to want more?" Dazu scheppert und klirrt es, dass so manchem Frappuchinotrinker der Milchschaum sauer werden könnte. Doch schon zu "Cicadas And Gulls", einer Lagerfeuer-Ballade, in der Feist mit sich selbst Harmonie singt, kann man ganz beruhigt sein Baby einschlafen lassen.

Es ist also wieder alles drin in diesem Album. Ihre Engelsstimme wird uns den Herbst versüßen, Videos ihrer Songs werden Postingwellen auf Facebook lostreten. Wir werden uns in den Armen liegen, wenn die Nächte länger werden und den Like-Button drücken und dankbar sein, dass es jemanden gibt, der dieser nach Empfindsamkeit und Tiefe dürstenden Zeit eine so schöne Stimme gibt.

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